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Wie Politik, Polizei und Rechte die eskalierte Abschiebung in Nürnberg für ihre Zwecke instrumentalisieren

Der 20-jährige Afghane drohte nach der versuchten Abschiebung laut Polizei mit einem Anschlag. Wer ist schuld an der Eskalation?
Symbolfoto: Flickr | JouWatch | CC BY-SA 2.0

Es wird immer unübersichtlicher im Nürnberger Abschiebefall, bei dem Polizisten am Mittwoch versuchten, den 20-jährigen Berufsschüler Asef N. nach Afghanistan abzuschieben. Um dagegen zu protestieren, blockierten Mitschüler die Einsatzfahrzeuge. Die Polizei ging dagegen mit Schlagstöcken und Pfefferspray vor. Wie bei einer Schlägerei ums Pausenbrot schieben sich inzwischen alle gegenseitig die Verantwortung für die Eskalation zu.

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Die Schüler beschuldigen die Polizei, die Ausschreitungen provoziert zu haben. Die Behörden sehen wiederum linke Gruppen als Grund für die Gewalt. Die die Polizei sagt, der Flüchtling habe in Gewahrsam gedroht, sich an den Deutschen zu rächen. Unterdessen machen die großen Parteien Wahlkampf und die AfD schürt fleißig Hass. Aber wer hat jetzt eigentlich Recht?


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Bayerische Ausländerbehörde will nichts Falsches gemacht haben

Auch wenn die bayerische Ausländerbehörde mit dem Ausgang der Abschiebung nicht zufrieden sein kann, verteidigt sie das Vorgehen. Der Afghane, der 2012 ohne Pass nach Deutschland kam, soll sich laut der Behörde jahrelang geweigert haben zu helfen, seine Identität aufzuklären. Als er im März eine Aufenthaltsgenehmigung beantragte, habe er laut Regierungspräsident Thomas Bauer (CSU) den Pass dann doch überraschend vorgelegt. Für ihn sei der Fall deshalb klar: Die jahrelange Täuschung sei eine Straftat und der Mann somit ein Straftäter. Auch laut Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) habe der Afghane mit diesem Verhalten jegliche Aussicht auf Duldung verspielt.

Polizei hat nur ihren Job gemacht

Auch die Polizei will nicht der Böse sein und redet sich damit heraus, nur getan zu haben, was man ihr aufgetragen hat. In einem Facebook-Post rechtfertigte sie den Einsatz und verwies darauf, dass die Entscheidung über die Abschiebung immer beim BAMF liege. Die Polizei führe diese nur aus: "Es gibt für uns dabei überhaupt keine Möglichkeit, den Kopf in den Sand zu stecken und der gesetzlichen Verpflichtung auszuweichen."

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Laut Mittelfrankens Polizeipräsident Johann Rast soll der Schüler um sich geschlagen und Widerstand geleistet haben, nachdem die Polizei ihn in ein anderes Einsatzfahrzeug verfrachtet hatte, um die Blockade zu umgehen. "Gegenüber den Beamten äußerte er, dass er in einem Monat sowieso wieder hier sein und dann Deutsche töten werde", sagte Rast zu einer lokalen Nachrichtenseite.

"So eine Aussage, wenn sie gefallen ist, muss man natürlich im Kontext der Situation sehen", sagte der Direktor der Berufsschule 11, Michael Adamczewski, der Deutschen Presse-Agentur. Man müsse bedenken, dass der junge Mann drei Stunden in einem aufgeheizten Streifenwagen saß.

Auch wenn sich die Mitschüler weigerten, die Einsatzfahrzeuge freizugeben, sei die Lage laut Polizeipräsident Rast lange friedlich geblieben, erst als sich "militante Abschiebungsgegner" einmischten, hätten die Beamten durchgreifen müssen. In den anschließenden Tumulten seien neun Beamte verletzt worden, einer verlor einen Zahn.

Schüler beschuldigen Polizei

In einem Interview mit Puls beschuldigt eine Schülerin, die an der Blockade beteiligt war, wiederum die Polizei. Als sich 200 bis 300 Menschen vor der Schule versammelt hatten, sei die Polizei gewaltsam gegen die Blockadeteilnehmer vorgegangen: "Die haben ihre Hände verdreht und sie am Hals gepackt, teilweise auch in die Augen gedrückt – einfach nur, um so viel Schmerz zuzufügen, dass wir die Blockade auflösen."

Politik schränkt Abschiebungen nach Afghanistan ein

Der Vorfall in Nürnberg fällt in die gleiche Woche wie die Bombenexplosion in der Nähe der Deutschen Botschaft in Kabul, bei der mindestens 90 Menschen getötet und mehrere hundert verletzt wurden.

Seit diesen Ereignissen diskutieren Politiker wieder darüber, ob Afghanistan ein sicheres Herkunftsland ist. Die CDU besteht weiterhin darauf, dass es auch in Afghanistan sichere Gegenden gebe. SPD und Grüne forderten dagegen, Abschiebungen in das Land vollkommen auszusetzen.

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Am Donnerstag gab die Bundesregierung schließlich bekannt, Abschiebungen nach Afghanistan vorerst nur noch eingeschränkt durchzuführen. Das bedeutet, dass fürs Erste nur noch Straftäter und Gefährder abgeschoben werden sowie ausreisepflichtige Personen, "die sich hartnäckig ihrer Mitwirkung an der Identitätsfeststellung verweigern", sagte die Bundeskanzlerin. Das gelte so lange, bis die Lage in Afghanistan neu bewertet worden sei. Außerdem soll die Maßnahme die Botschaftsmitarbeiter in Kabul entlasten. Der 20-jährige Afghane konnte die Abschiebehaft deshalb nach einem Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg bereits am Donnerstag wieder verlassen – trotz seiner angeblichen Morddrohung.

Der AfD gefällt das

Während die großen Volksparteien noch über Afghanistan diskutieren, macht die AfD indessen, was sie immer macht, und nutzt den Vorfall für ihre Parteipropaganda.

In einem Post forderte die Partei, den Flüchtling umgehend abzuschieben, und sieht mal wieder die bösen Gutmenschen am Werk.

Inzwischen hat sich Asef N. zu den Vorwürfen geäußert. In einer gemeinsamen Stellungnahme seiner Betreuerin und von Unterstützern heißt es: "An den Vorwurf, er habe bei der Verhaftung damit gedroht, zurück zu kommen und Deutsche umzubringen, kann Asef sich nicht erinnern. Durch die Sitzblockade und die sich daraus entwickelnden chaotischen Ereignisse geriet er selbst in einen emotionalen Ausnahmezustand."

Außerdem teilten seine Unterstützer über das Schreiben mit, dass der Schüler die Behörden nicht wissentlich getäuscht habe: "Mehrere Male seit der Ablehnung seines Asylantrages sprach er beim Konsulat in München vor, um die Ausstellung eines Passes zu beantragen. Dies wurde ihm jedoch verweigert."

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