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Abtreibung

Wir haben deutsche Parteien gefragt, wann sie endlich etwas am Abtreibungsgesetz ändern

Die Ärztin Kristina Hänel wurde zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie auf ihrer Website über Schwangerschaftsabbrüche informiert. Ein Unding.
Foto: imago | Westend61

In Gießen stand heute die Ärztin Kristina Hänel vor Gericht, weil sie "Werbung" für Abtreibungen schaltete. Werbung bedeutet in diesem Fall: Sie veröffentlichte auf ihrer Homepage unter ihren Leistungen das Wort "Schwangerschaftsabbruch" inklusive einem Link zu weiteren Informationsmaterialien. In Deutschland ist bereits das verboten. Der Grund: Für einen durchgeführten Schwangerschaftsabbruch erhält die Ärztin Geld. Viele Juristen werten das als Vermögensvorteil, sagt die Vorsitzende des Deutschen Juristinnenbunds Maria Wersig. Da Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland strafbar sind, ist auch die "Werbung" dafür verboten. Das Gericht folgte laut Prozessbeobachtern dem Antrag der Staatsanwaltschaft und verurteilte die Ärztin zu 40 Tagessätzen à 150 Euro.

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Das passt zur schwierigen Gesamtsituation: Wenn eine Frau in Deutschland eine Abtreibung vornehmen lassen will, steht sie vor mehreren Herausforderungen. Zum einen gilt ein Schwangerschaftsabbruch hierzulande immer noch als "Straftat gegen das Leben". Nur wenn eine schwangere Person sich einem verpflichtenden Beratungsgespräch unterzieht, eine Bedenkpause abwartet und nicht weiter als in der zwölften Schwangerschaftswoche (Ausnahmen sind lebensgefährdende Schwangerschaften) ist, bleibt eine Abtreibung straffrei.

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Doch die rechtlichen Hürden sind nur der Anfang. Denn eine Ärztin oder einen Arzt zu finden, der eine Abtreibung auch vornimmt, ist gar nicht so leicht. Diese dürfen nämlich nicht öffentlich darüber informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche überhaupt durchführen. So steht es im Paragraph 219a des Strafgesetzbuches, der noch aus der Zeit des Nationalsozialismus stammt. Wie einflussreich der Paragraph noch immer ist, sieht man am Fall von Kristina Hänel. Zum dritten Mal bereits zeigten Abtreibungsgegner die Gynäkologin an. Da die Ärztin das Wort "Schwangerschaftsabbruch" bislang trotzdem nicht aus ihrem online aufgeführtem Leistungskatalog strich, ging der Fall nun vor Gericht.


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Doch Hänel will sich wehren: Die 61-Jährige will sich notfalls durch alle Instanzen klagen, um eine Entscheidung herbeizuführen, sagte sie der taz. Und über die Plattform change.org sammelte die Gynäkologin bereits über 100.000 Unterschriften von Unterstützerinnen und Unterstützern. Annika Heintz von change.org unterstützt deswegen die ebenfalls von der Ärztin ins Leben gerufene Hashtagkampagne #219a. "Wir wollen den Hashtag zum Trenden bringen, um die große Solidarität mit Kristina aufzuzeigen und zugleich den Druck auf den Gesetzgeber zu erhöhen, den entsprechenden Paragraphen zu streichen", erklärt Heintz gegenüber Broadly.

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Unterstützung für eine Abschaffung des Paragraphen 219a kommt auch von Juristinnen. Maria Wersig vom Deutschen Juristinnenbund sagte auf Anfrage von Broadly, dass der djb die Streichung aus dem Strafgesetzbuch fordere. Und auf einer Homepage von Unterstützerinnen werden Namen von Ärztinnen und Ärzten gesammelt, die sich mit Kristina Hänel solidarisieren.

Zum Prozess in Gießen haben sich sowohl Gegner als auch Unterstützerinnen angekündigt. So ist Ulle Schauws, Bundestagsabgeordnete der Grünen, vor Ort, um sich mit Kristina Hänel zu solidarisieren. "Es ist schlimm, dass es zu einer Anzeige gegen Frau Hänel gekommen ist. Aber der Fall macht auch deutlich, dass gesetzgeberisches Handeln erforderlich ist", sagt Schauws gegenüber Broadly. Deswegen würden sich die Grünen auch für eine "gesetzliche Klarheit" einsetzen, die man durch die Streichung des Paragraphen 219a erreiche. "Frauen müssen Zugang zu Informationen haben, wo sie Abbrüche vornehmen lassen können", sagt Schauws. "Ihnen das vorzuenthalten, indem Ärztinnen und Ärzte kriminalisiert werden, halte ich für außerordentlich frauenfeindlich."

Auch die frauenpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Cornelia Möhring, betont die Bedeutung der Verhandlung am Freitag: "Der Paragraph 219a ist durch den Gerichtsprozess in die Öffentlichkeit gerückt. Ich glaube, die Chancen stehen gerade wirklich gut, dass wir ihn endlich beerdigen können. Entsprechende Signale aus anderen Fraktionen gibt es auf jeden Fall." Bei Paragraph 219a hört für die Linkspartei die Arbeit aber noch lange nicht auf. Nach einer Streichung der Beratungspflicht stünde letztlich die vollkommene Abschaffung des Paragraphen 218 an: Damit wären Abtreibungen auch in Deutschland legal, so Möhring.

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Etwas verhaltener, aber durchaus offen, steht die FPD einer gesetzlichen Anpassung des Paragraphen 219a gegenüber. Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Stephan Thomae sagte auf Anfrage, dass die FDP einer moderaten Änderung des § 219a StGB offen gegenüber stünde. "In der heutigen Zeit ist es nicht mehr angemessen, wenn Kliniken oder Ärzte nicht einmal auf ihrer Website darauf hinweisen dürfen, dass sie Abtreibungen vornehmen", so Thomae. "Wer ungewollt schwanger wird, befindet sich in einer Zwangslage und sollte schnell und einfach kompetente Hilfe finden können." Entscheidend sei, dass die Information in sachlicher Form erfolge und kein offensive Werbung stattfinde. Eine Möglichkeit sieht Thomae darin, Paragraph 219a so zu ändern, dass Werbung zwingend "grob anstößig" sein müsse, um als Straftat zu gelten.

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Durch die aktuelle unsichere politische Lage ist noch unklar, welche Parteien letztendlich in einer Regierung daran arbeiten werden, den Paragraphen 219a abzuschaffen oder zumindest anzupassen. Die Kandidaten der Großen Koalition, Union und SPD, äußerten sich auf Anfrage von Broadly nicht, auch die AfD verzichtete auf ein Interview. Fest steht, dass Abtreibungen in Deutschland weiterhin ein Politikum sind, und sowohl die Strafbarkeit als auch der erschwerte Zugang zu Informationen die körperliche Selbstbestimmung von Menschen mit Uterus immens erschweren. Entsprechend wichtig ist der aktuelle Prozess gegen Kristina Hänel.

Die potenzielle Entkriminalisierung der Ärztinnen und Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen und darüber informieren, könne die gesamte Gesellschaft beeinflussen, sagt Cornelia Möhring. Die frauenpolitische Sprecherin der Linken sagt, eine entsprechende Entscheidung hätte "eine deutliche Signalwirkung” und sei “eine klare Ansage an all die Abtreibungsgegner, Fundamentalisten, Antifeministen: Das Recht von Frauen über ihren Körper entscheiden zu können, ist für unsere Gesellschaft zentral."

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