Ein Sufi raucht eine mit Haschisch gefüllte Zigarette
Longpapes gibt es in Pakistan nicht. Die Besucher des Schreins füllen ihr Haschisch in Zigaretten und rauchen, so wie dieser Mann, meistens aus der Faust | Alle Fotos von Nils Heininger

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Drogen

Kiffen für Allah: Fotos von einem pakistanischen Sufi-Ritual

Der deutsche Fotojournalist Nils Heininger hat in Lahore ein muslimisches Ritual besucht, das westliche Vorstellungen des Islams auf die Probe stellt.

Drogen zu konsumieren, auch Cannabis, ist in Pakistan verboten – genau wie im Islam. Aber in Pakistan führen viele Wege zu Gott. In den vielen Moscheen des islamischen Landes führt dieser Weg meistens über das Gebet. In den Schreinen der Sufis aber auch über uralte Rituale, bei denen in einigen Gemeinden Haschisch geraucht wird. Und das obwohl auf Drogendelikte in Pakistan unter Umständen sogar die Todesstrafe steht. Oft gilt der Sufismus als liberaler Gegenentwurf zu orthodoxen Formen des Islam. Wie liberal manche Sufis ihren Glauben leben, hat der deutsche Fotojournalist Nils Heininger im Januar im pakistanischen Lahore erlebt.

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Jeden Donnerstag treffen sich dort etwa hundert Menschen in einem Schrein, um gemeinsam Musik zu machen, zu tanzen – und zu kiffen.

Trotz der strengen Gesetze, sagt Nils Heininger, habe er auf seinen Reisen durch Pakistan überall Menschen kiffen sehen, selbst auf Friedhöfen. Weil das Haschisch-Ritual aber bereits an einem anderen Schrein in Lahore verboten wurde, nennen wir den genauen Ort hier nicht, an dem Heininger die Gläubigen fotografiert hat.


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VICE: Wie hast du erfahren, dass in Pakistan Muslime in einem Sufi-Schrein kiffen?
Nils Heininger: Ich war schon öfter in Lahore und von einem Freund habe ich gehört, dass es im Schrein von Shah Jamal, einem Sufi-Heiligen, immer donnerstags dieses besondere Ritual gibt. Vor vier Jahren war ich zum ersten Mal dort und fand es faszinierend. Etwa 200 junge und alte Männer haben sich dort versammelt, mehr oder weniger alles Muslime, und haben einen Joint nach dem anderen geraucht. An einer Bühne standen Drummer, zu deren Rhythmen sich Tänzer im Kreis drehten. Während dieses beeindruckenden Spektakels passierten teilweise bizarre Dinge. Einmal hat dort ein Polizist getanzt. Ich habe ihn nie kiffen sehen, aber so wie er getanzt hat, glaube ich schon, dass da etwas im Spiel war.

Moment, du hast einen pakistanischen Polizisten bei einem Kiffer-Ritual tanzen sehen?
In voller Montur. Zuerst hat er in seiner braunen Polizeiuniform vor der Bühne getanzt. Später stand er in einer Ecke und drehte sich weiter im Kreis zur Musik. Ich würde sagen, er hat die Zeit seines Lebens gehabt. Aber irgendwann wurde der Shah-Jamal-Schrein für diese Donnerstagabende geschlossen, danach habe ich ihn nicht mehr gesehen.

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Sufis in Pakistan

Die Drummer treiben die Tänzer mit ihren Rhythmen wie Marionetten an, während einige von ihnen Lobpreisungen singen. Einer der Tänzer (r.) bat Nils Heininger, ein Foto von ihm zu machen, nachdem er sich zwei Stunden pausenlos auf der Tanzfläche bewegt hatte

Warum wurden die Donnerstags-Sessions dort verboten?
Angeblich aus Sicherheitsgründen. Es gab mehrere Anschläge in der pakistanischen Provinz Sindh gegen Sufi-Schreine. Die Anschläge hatten weniger etwas mit Cannabis zu tun, als vielmehr mit generellen Konflikten innerhalb des Islam. Das ganze Areal wird jetzt von der Polizei kontrolliert. Die Leute sind zu einem kleineren Schrein umgezogen, an dem sich um die 100 Menschen treffen. Dort habe ich die Fotos gemacht. Generell bekommt man in Pakistan sicher größere Probleme, wenn man mit Alkohol erwischt wird. Eine kleine Menge Haschisch wird vielleicht mal eingezogen, dann zahlt man 100 Rupien Bestechungsgeld und die Polizei vergisst es wieder.

Was hat das Kiffen mit der Religion zu tun?
Ich bin natürlich kein Islamwissenschaftler, aber man hört von den Sufis oft den Satz: "Fürchte Gott nicht, sondern liebe ihn." Die Leute in den Sufi-Schreinen sagen, jeder kann seinen Islam leben, wie er will, solange er Gott liebt. Und das Haschisch hilft ihnen dabei, zu Gott zu finden. Den Sufismus soll es schon im 7. Jahrhundert gegeben haben, schon fast seit den Anfängen des Islam. Bei den Sufis sind alle willkommen. Es gibt Schreine in Pakistan, die auch Transgender-Personen, kleinwüchsige oder arme Menschen besuchen können. Für die ist das ein Rückzugsort. Beim Kiffen geht es aber auch um Freiheit. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem jungen Besucher. Ich habe ihn gefragt, ob es nicht illegal ist, Haschisch zu rauchen. Er antwortete, ja, aber hier machen wir unsere eigenen Gesetze.

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Im YouTube-Video sind Aufnahmen aus dem Shah Jamal-Schrein zu sehen, inzwischen ist das Haschisch-Ritual dort verboten

Wie wurdest du als Westler von den Gläubigen aufgenommen?
Allen dort war klar, dass ich Christ bin. Aber das spielte keine Rolle. Alle Gäste sind willkommen, auch Frauen. Wenn man sich hinsetzt, bekommt man die erste Tüte gereicht. Wie in ganz Südasien wäre es zwar schon möglich, Geschenke abzulehnen, aber doch ein bisschen unhöflich. Alle sind sehr zuvorkommend, reichen dir Tee und etwas zu Essen. Alles was man an Strenge und Dogmatismus über den Islam aus den Medien kennt, spielt da überhaupt keine Rolle.

Wie genau laufen diese Rituale ab?
Die ersten Leute kommen gegen sechs Uhr abends. Man sitzt da, unterhält sich, kifft und guckt durch die Gegend. Ich habe mich in einem Hindi-Urdu-Gemisch mit den Leuten unterhalten. Ab neun oder zehn spielen die Drummer ihre Dhol-Drums und die Tänzer beginnen zu tanzen. Ab und zu ruft jemand aus vollem Hals Lobpreisungen aus, an Allah oder an Mohammeds Gefährten Ali. Spätestens dann wird auf einmal die Connection zwischen allen sichtbar: Plötzlich ist der ganze Platz voller Energie und alle rufen voller Inbrunst: "Ya Ali!"

Sufis in Pakistan

Am Schrein kann es auch eng werden. Wenn viele Tänzer vor Ort sind, muss das Publikum oft von "Aufräumern" mit sanfter Gewalt darum gebeten werden, den Kreis weiter zu öffnen

Was genau rauchen die Menschen in dem Schrein?
Haschisch. Sie erwärmen es und vermischen es mit Tabak aus einer Zigarette. Dann packen sie alles wieder in die Zigarette zurück, Paper oder Tips gibt es da nicht. Manchmal kleben sie auch drei Zigaretten zusammen und bauen einen Riesenjoint – allerdings auch mit drei Filtern. [lacht] Andere stecken sich fünf mit Hasch versetze Zigaretten zwischen die Finger und rauchen aus der Faust. Und es gibt eine Ecke, in der sich die älteren Herren eine Chillum-Pfeife rumreichen. Die Qualität des Haschs ist nicht die beste, aber die Menge und die Atmosphäre machen das wett. Die Drums treiben extrem. Man schaut sich diese wahnsinnige Show mit offenem Mund an. Ich würde nicht sagen, ich habe zu Gott gefunden, aber beim dritten Besuch war es schon fast tranceartig.

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Haben die Leute keine Angst vor Anschlägen oder Verfolgung?
In vielen Schreinen, Moscheen und an öffentlichen Plätzen in Pakistan wird man inzwischen nach Waffen abgetastet. Den liberalen Strömungen im Islam, wie etwa dem Sufismus, stehen immer konservative gegenüber. Wir vergessen im Westen oft, dass der islamistische Terrorismus sich in den allermeisten Fällen gegen Muslime richtet. 2016 und 2017 gab es in Pakistan mehrere schwerer Attacken gegen Sufi-Schreine. Auch wenn ein paar Menschen in dem Schrein lieber nicht wollten, dass ich ihr Gesicht fotografiere, wenn sie kiffen, haben mich andere sogar dazu aufgefordert. Vielleicht weil sie wissen, dass die pakistanische Polizei Wichtigeres zu tun hat, als Fotos im Internet zu durchforsten. Aber auch, weil sie damit ihren Stolz zeigen wollen.

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