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Abtreibungen

Frauen erzählen, warum sie abgetrieben haben

"Ja, ich hab meinen Sohn sterben lassen. Und es war der humanste Akt, der für mich vorstellbar ist." – Anna, 39
Frau zerreißt Ultraschall
Foto: Yasmin Nickel

Wir schreiben das Jahr 2019. Frauen dürfen seit 100 Jahren wählen. Aber über den eigenen Körper entscheiden, das dürfen sie noch nicht. Das haben auch Politikerinnen und Politiker der FPÖ und ÖVP bestätigt, die im Februar ihre Unterstützung für #Fairändern angekündigt haben. Die Plattform will eine Reform bei der Regelung von Spätabtreibungen bringen. Dabei wird das Thema oft sehr vereinfacht dargestellt. Platz für die Geschichten von betroffenen Frauen bleibt da wenig.

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Frauen, die abtreiben, werden noch immer stigmatisiert. Kaum eine Frau spricht offen darüber.

Wir haben Frauen gefragt, warum sie abgetrieben haben. Viele Frauen in diesem Beitrag wollen anonym bleiben. Trotzdem finden sie es alle wichtig, ihre Geschichte zu teilen und dazu beizutragen, dass das Thema nicht länger ein Tabu bleibt.


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Anna*, 39 Jahre

"Ich habe ein Bild von meinem Sohn im Wohnzimmer an der Wand hängen, ich besuche ihn regelmäßig am Friedhof und weine auch fünf Jahre nach seinem Tod hin und wieder um ihn. Ich trauere um meinen Sohn. Aber ich habe keine Sekunde bereut, mich für seinen Tod entschieden zu haben.

Nach einer sehr schlimmen Diagnose nach dem Organscreening und weiteren detaillierten Untersuchungen hab ich mich in der 20. Schwangerschaftswoche zu einer Spätabtreibung entschlossen. Es wurde eine schwere Form von Spina Bifida festgestellt. Eine schwere Form insofern, als dass die offene Stelle weit oben war und somit sehr viele Körperfunktionen betroffen hätte – auch Gehirnfunktionen. Die Vorstellung, dass mein Sohn all das durchmachen müsste, was die Ärzte und Ärztinnen prophezeiten, all die Operationen, Schmerzen und lebenslangen schweren Komplikationen – das war einfach zu furchtbar. Es ging nie darum, dass ich kein 'behindertes Kind' haben wollte. Wäre es 'nur' um eine Querschnittslähmung gegangen, Trisomie 21 oder eine ähnliche Einschränkung, die aber ein gutes Leben ermöglichen – ich hätte meinen Sohn ohne zu zögern bekommen.

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Die Debatte rund um Spätabtreibungen geht derzeit an der Lebensrealität vorbei. Sie wird vereinfacht als eine Entscheidung für oder gegen das Leben von Menschen mit Behinderungen dargestellt. Aber die Entscheidung, meinen Sohn gehen zu lassen, war aus meiner Sicht eine Entscheidung für ihn – und gegen das Leiden.

Es ist eine zutiefst individuelle Entscheidung, denn jede Frau ist in einer anderen, in ihrer ganz eigenen Situation. Ich hab einige Frauen getroffen, die ähnliche Entscheidungen zu treffen hatten und keine von ihnen hat es sich leicht gemacht. Im Gegenteil. Es ist die schwerste Entscheidung, die eine Mutter treffen kann, herzzerreißend und unmenschlich. Ich hab meinen kleinen Sohn durch eine natürliche Geburt zur Welt gebracht, ihn gehalten und mich von ihm verabschiedet. Ja, ich hab meinen Sohn sterben lassen. Und es war der humanste Akt, der für mich vorstellbar ist."

"Das Ding in meiner Gebärmutter muss so schnell wie möglich raus. Es fühlte sich an wie ein Fremdkörper."

Katrin*, 32

"Ich war mit meinem damaligen Freund ein halbes Jahr lang zusammen, als ich mein Heimatland Österreich verließ, um zu ihm in die Schweiz zu ziehen. Wir waren beide Anfang 20 und notorisch pleite. Also haben wir in seinem alten Kinderzimmer im Haus seiner Eltern gewohnt. Und dann wurde ich schwanger, eine Woche nachdem ich mein schlecht bezahltes Praktikum in einer Redaktion – und somit mein neues Leben – begonnen hatte.

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Der erste Gedanke war 'Fuck!'. Der zweite und dritte eigentlich auch. Ich hatte nie einen ausgeprägten Kinderwunsch und in dieser Situation war es für mich undenkbar, ein Lebewesen in die Welt zu setzen. Ich konnte mich ja noch nicht mal anständig um mich selbst kümmern. Also habe ich abgetrieben, medikamentös, in der siebten Woche. Bereut habe ich diesen Entscheid kein einziges Mal.

Traumatisch waren für mich aber der enorme Blutverlust und die extremen Schmerzen, die ich während der Behandlung erlitt. Manchmal denke ich darüber nach, wie alt dieses Kind heute wäre. Dabei wird mir jedes Mal erneut bewusst, wie richtig meine Entscheidung war. Das Kind hätte es nicht gut gehabt. Ich wäre überfordert, hätte dem oder der Kleinen nichts bieten können. Vermutlich müssten wir noch heute im Kinderzimmer meines Ex-Freundes wohnen."

Laura, 26

"Als ich mit 22 schwanger wurde, hatte ich gerade ein neues Bachelorstudium an der Uni Zürich angefangen. Den Typen hatte ich erst vor Kurzem über Tinder kennengelernt, ich mochte ihn und er war an einer ernsthaften Beziehung mit mir interessiert. Aber ich hatte ein Problem: Ich konnte seinen Körpergeruch gar nicht riechen. Ich war aber zu verklemmt, um ihm das direkt zu sagen. Also schlief ich trotzdem ein paar Mal mit ihm. Aus Höflichkeit. Als dann meine Periode ausfiel und ich mich plötzlich ständig übergeben musste, ahnte ich schon, was der Schwangerschaftstest anzeigen würde. Das Einzige, woran ich denken konnte: Das Ding in meiner Gebärmutter muss so schnell wie möglich raus. Es fühlte sich an wie ein Fremdkörper. Die drei Tage, die ich noch bis zum Termin beim Gynäkologen abwarten musste, waren eine Tortur. Ich hasste mich so sehr dafür, dass ich überhaupt das Risiko auf eine mögliche Schwangerschaft eingegangen bin.

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Ich habe nie an meiner Entscheidung gezweifelt, aber es fiel mir extrem schwer, darüber zu sprechen. Ich wollte es lieber verdrängen. Und ja, es war eine impulsive Entscheidung, aber es ist gleichzeitig auch die Wichtigste und Beste, die ich je in meinem Leben getroffen habe."

"Ich sehe es nicht so, als hätte ich eines meiner Kinder verloren."

Maria*, 49

"Ich war ungefähr 26, als ich abgetrieben habe. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon zwei Kinder. Mein Mann, meine Kinder und ich waren gerade in ein neues Land gezogen und ich war noch auf der Suche nach einer neuen Arbeit. Wir hatten damals nicht viel zu bieten. Was wir hatten, das haben wir den zwei Kindern gegeben. Ein drittes Kind war nicht geplant.

Lange Zeit habe ich meine Abtreibung verdrängt und mich nicht damit auseinandergesetzt. Aber wenn ich daran zurückdenke, könnte ich mir auch heute nicht vorstellen, das Kind zu bekommen. Ich fühle mich schlecht, wenn ich das so laut ausspreche. Aber ich sehe es nicht so, als hätte ich eines meiner Kinder verloren. Ich habe zwei Kinder und liebe sie sehr, aber bei dieser Schwangerschaft hatte ich nicht dieselben Muttergefühle. Ich habe es noch gar nicht als mein Kind empfunden."

Denise*, 32

"Meine Familie ist ziemlich religiös, ganz besonders meine Mutter. Als ich jung war, hat sie mir immer diese schrecklichen Videos über angebliche Abtreibungen gezeigt, um mich abzuschrecken und mir in den Kopf zu kriegen, dass ich niemals abtreiben soll.

Im College passierte es aber – ich wurde ungewollt schwanger. Damals habe ich noch in den USA gelebt. Ich habe mir sofort einen Termin bei Planned Parenthood ausgemacht. Nachdem feststand, dass ich schwanger war, bestand ich noch auf einen Ultraschall. Nach all der Propaganda von meiner Mutter wollte ich wissen, ob man das in meinem Bauch schon als Baby erkennen kann. Das war meine größte Sorge, weil ich die Abtreibung dann nicht übers Herz gebracht hätte. Zu meiner Erleichterung konnte man kein Baby erkennen – nur einen Haufen Zellen. Ich war unheimlich erleichtert. Ich bin überaus froh, diese Entscheidung damals getroffen zu haben. Ich würde diese Entscheidung auch heute wieder treffen."

*Namen von der Redaktion geändert

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