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Wie ein Leipziger Polizeichef einen sinnlosen Kampf gegen Drogen führte

Jetzt wirft die Opposition dem CDUler in Uniform vor, dass er sich damit einen Platz im sächsischen Landtag sichern wollte.
Bernd Merbitz in Polizeiuniform
Bernd Merbitz 2016 bei einem Fußballspiel in Leipzig. Damals war er noch Leipzigs Polizeipräsident, inzwischen kandidiert er für den Landtag | Foto: imago || photoarena | Eisenhuth

Was dabei herauskommt, wenn die Polizei unter dem großspurigen Motto "Krieg gegen Drogen" Jagd auf Straßendealer und potentielle Drogenkonsumierende macht, hat uns die Fernsehserie The Wire schon vor Jahren vor Augen geführt – nämlich verdammt wenig. Mehr als ein paar unbedeutende Straßendealer wird man mit solchen Aktionen wohl kaum erwischen, und alles was die Polizei nach solchen Großaktionen vorweisen kann, sind ein kleine Tütchen mit verbotenen Rauschmitteln. In der fiktiven Serie, aber auch in der Realität, wie der Fall der Polizei Leipzig beweist.

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Seit mehreren Monaten laufen die Leipziger Beamten mit genau dieser Strategie an potentiellen Drogenschwerpunkten der Stadt in Mannschaftsstärke auf. Wie die Antwort auf eine kleine Landtagsanfrage der sächsischen Die-Linke-Fraktion nun ergab, fanden seit Ende Juni 2018 insgesamt 34 solcher "Komplexkontrollen" statt. An mehreren Stellen in der Stadt, die das Sächsische Innenministerium als "gefährliche Orte" deklariert hat, darf die Polizei auch ohne konkreten Verdacht Personen kontrollieren und durchsuchen.

1.037 Polizisten und Polizistinnen konnten dabei bei mehreren Einsätzen innerhalb eines halben Jahres etwa 140 Gramm Cannabis bzw. Marihuana, 9 Gramm Crystal und 2 Gramm Heroin sichern. Mit insgesamt 0,14 Gramm pro Einsatzkraft scheint sich die Großoffensive auch für die Polizei nur bedingt gelohnt zu haben. Wie viele Personen während der mehrstündigen Einsätze ihre Taschen leeren mussten, geht aus der Antwort des Sächsischen Innenministeriums nicht hervor.


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Warum also das Ganze, wenn man in zig Arbeitsstunden und mit über 1.000 Polizisten und Polizistinnen nicht einmal genug Drogen sicherstellen kann, dass zumindest die eingesetzten Beamten davon high werden könnten? Auch hier kann man The Wire als Referenz anführen, denn wohlmöglich spielt sich in Leipzig aktuell die sächsische Version der Erfolgsserie ab.

Einer ihrer Hauptdarsteller ist Bernd Merbitz, bis Ende Januar Leipziger Polizeipräsident. Juliane Nagel, Landtagsabgeordnete der Linkspartei, sieht in den wenig nachhaltigen Aktionen einen klaren Zusammenhang zu Merbitz politischen Ambitionen: "Anscheinend wollte sich Bernd Merbitz damit Rückenwind für seine Landtagskandidatur verschaffen, indem er durch Drogenfunde glänzt und die Aufklärungsquote von Straftaten steigert", sagt Nagel, die vorher die kleine Anfrage gestellt hatte, gegenüber VICE.

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Erst verkündete Merbitz seine Landtagskandidatur, dann seine Hardliner-Strategie als Polizeipräsident

Im September 2018 erklärte Merbitz erstmals öffentlich, er plane bei der kommenden Landtagswahl für die CDU anzutreten – vorher wolle er noch Ende Januar 2019 bei der Polizei in Ruhestand gehen.

Zwei Tage nachdem ihn die CDU als Direktkandidaten für den Wahlkreis Nordsachsen aufgestellt hatte, kündigte Merbitz bei einem Pressetermin am 12. November vollmundig Polizeioffensiven an: Er wolle im linksgeprägten Stadtteil Connewitz und am Hauptbahnhof durchgreifen.

Seitdem wurde Merbitz kritisiert, er ziehe den Wahlkampf vor und inszeniere sich als aktionstüchtiger Hardliner, um so die potentielle Wählerschaft der sächsischen CDU anzusprechen: "Ich finde es unsäglich, dass er sein Amt als Polizeipräsident nach Bekanntwerden seiner Kandidaturabsichten für die CDU nicht niedergelegt hat", sagt Juliane Nagel. Außerdem vermute sie, dass Merbitz den Kontrolldruck nur erhöht habe, um seine eigene Erfolgsbilanz zu steigern. Damit verweist sie auf den wohl brisantesten Punkt der Geschichte: Ein Polizeichef scheint seine Befugnisse als Beamter auszunutzen, um seine persönlichen politischen Ambitionen voranzutreiben.

Auch der Bundestagsabgeordnete Sören Pellmann warf Merbitz wörtlich vor, sein Amt auszunutzen. Mitte Januar, also kurz vor Merbitz' Pensionierung, durchsuchten 150 Polizisten ein seit mehreren Jahren besetztes Gebäude in Leipzig. Ein entsprechender Gerichtsbeschluss lag der Leipziger Polizei allerdings schon seit dem letzten Sommer vor. Zuvor hatte die Polizei an Silvester 900 "präventive Platzverweise" am Leipziger Hauptbahnhof verteilt – rund fünfmal so viele wie im Vorjahr.

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CDU macht Wahlkampf mit Bernd Merbitz in Uniform

Am 25. Januar verschwamm schließlich die Grenze zwischen Polizeipräsident und Landtagskandidat endgültig. So warb die sächsische CDU auf ihrer Facebook-Seite mit einem Foto von Merbitz in Uniform. Hier sollte wohl auch dem letzten potentiellen Wähler klargemacht werden, dass ein Kandidat zur Wahl steht, der die Dinge anpackt. Nachdem mehrfach darauf hingewiesen wurde, dass der Post möglicherweise gegen das Neutralitätsgebot für Beamte verstößt, löschte die CDU das Bild kommentarlos.

Sein harte Linie gegen Kleindealer und Konsumierende setze der scheidende Polizeichef sogar bis zu seinem letzten Arbeitstag um. So durften zahlreiche Polizistinnen und Polizisten am 31. Januar bis 23 Uhr von einem angeblichen Kriminalitätsschwerpunkt zum nächsten ziehen, bis ihr Chef eine Stunde später in Pension ging. Auch dieser letzte Kraftakt verlief mit mäßigem Erfolg. "Großer Polizeieinsatz mit kleinen Ergebnissen", titelte die lokale Tageszeitung.

Dementsprechend stehen die Maßnahmen für Merbitz' Offensive gegen Drogenkriminalität nicht nur wegen der politischen Verflechtung, sondern auch wegen des Personalaufwands in der Kritik. "Die festgestellten Straftaten im Verhältnis zum Kräfteaufwand" seien laut Nagel überaus gering. Währenddessen klagt die sächsische Polizei immer wieder über Personalnot. Laut Hagen Husgen, sächsischer Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), habe diese bereits dazu geführt, dass allein in Sachsen Zehntausende Straftaten unaufgeklärt blieben.

Übrigens ist Merbitz nicht der erste Leipziger Polizeichef, der es versucht, vom Amt in die Politik zu wechseln. Sein Vorgänger Horst Wawrzynski kandidierte 2013 erfolglos für die CDU als Oberbürgermeister. Zuvor hatte er die Praxis der Komplexkontrollen massiv ausgeweitet und musste sich vorwerfen lassen, dass dabei vor allem Schüler auf dem Schulweg intensiven Taschen- und Körperkontrollen unterzogen wurden – teilweise mehrmals täglich. Viel Sympathie kostete es Wawrzynski zudem, als er für eine Drogenrazzia mehrere Gebäude in einem ehemals besetzten Straßenzug stürmen ließ.

Um die Aktion abzusichern, waren vermummte und bewaffnete Spezialkräfte am hellichten Tag in einen Kindergarten eingedrungen. Einige Woche später stattete Wawrzynski der Kita einen Besuch ab, um sich mit mehreren voller Tüten voller Spielzeug zu entschuldigen – in Begleitung seines Amtsnachfolgers Bernd Merbitz.

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