Ein Mann stößt Zigarettenrauch aus. Jonas hat eine Bipolare Störung und beantwortet uns Fragen zu Sexualität, Klinikaufenthalt und mehr
Jonas raucht so wie hier nur noch Zigaretten, das Kiffen hat er auch wegen seiner Bipolaren Störung aufgegeben | Alle Fotos: Viktoria Grünwald

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Menschen

10 Fragen an einen Menschen mit Bipolarer Störung, die du dich niemals trauen würdest zu stellen

Was war das Teuerste, das du dir in einer manischen Phase gekauft hast? Wirken Drogen anders auf dich? Wann sagst du einem Date, dass du bipolar bist?

Insgesamt hat Jonas mehr als ein Jahr in einer psychiatrischen Klinik verbracht. Wegen etwas, das Kanye West als "Superpower" bezeichnet. Jonas hat eine Bipolare Störung und auch wenn sie im Alltag oft alles andere als eine Superkraft ist, hat er doch gelernt, damit zu leben: Als Künstler verarbeitet der 28-Jährige die psychische Krankheit in seinen Werken.

So wie Jonas geht es in Deutschland rund 1,5 Millionen Menschen und bei jedem äußert sich die Bipolare Störung unterschiedlich stark. Betroffene wechseln zwischen Phasen der Manie und der Depression, zwischen extremen Stimmungsschwankungen, die weit über das hinausgehen, was die meisten Menschen erleben. Nur zwischen den Phasen stellt sich oftmals so etwas wie ein Normalzustand ein. "Bei der Bundeswehr wurde ich aufgrund meiner Störung sofort ausgemustert. Das war positiv", sagt Jonas. Er möchte um mehr Verständnis für seine Krankheit werben, aber auch nicht darauf reduziert werden. Deshalb haben wir seinen Namen geändert.

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Die erste Manie brach bei Jonas vor zehn Jahren aus, die Depression folgte fast immer direkt danach. Seitdem hat er fünf Klinikaufenthalte hinter sich. "Sicher, manchmal wäre mehr Struktur von Vorteil. Aber immer, wenn ich zu viel davon habe, breche ich doch irgendwann wieder aus", sagt Jonas. Derzeit befinde er sich wieder in einer stabilen Phase und spricht mit uns über Klischees und Vorurteile, die über seine Krankheit noch immer existieren.

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"Es fühlt sich dann so an, als ob mein Gehirn auf einer höheren Drehzahl läuft", sagt Jonas über seine manischen Phasen

VICE: Kannst du dir in manischen Phasen nicht einfach sagen: "Du bist manisch, entspann dich"?
Jonas: Nein. Es ist extrem schwierig, sich in dem Moment zu beobachten. Und dass der Beobachter dann auch noch die Rolle von meinem Normalzustand annimmt, ist unmöglich. Das gilt auch für die Depression. Vor allem in langgezogenen Episoden: Je länger du dich in der jeweiligen Phase befindest, desto mehr glaubst du dem Gedankenkonstrukt in deinem Kopf. Man nimmt die Perspektive der Phasen an. Ich kann nicht einfach einen Schritt zur Seite gehen und mir sagen: "Das ist jetzt die Manie, komm mal wieder runter."

Was war das Teuerste, das du dir in einer manischen Phase gekauft hast?
Da bin ich nicht das Paradebeispiel eines Bipolaren. Ich habe kaum Bezug zu Luxusgütern. Klar, manchmal kaufe ich mir dann einen Haufen CDs, Schallplatten, Spraydosen oder Stifte, aber nichts, was mich in den Ruin treiben würde. Ich habe in meinen Manien eher Dinge verschenkt. In der Klinik habe ich während einer manischen Phase mal eine Frau kennengelernt, die fast ohne Kleidung auf die Station eingewiesen worden war. Deshalb habe ich ihr einen meiner Pullover geschenkt. Später fiel mir auf, dass es einer meiner Lieblingspullover gewesen war, meine Mutter hatte ihn mir geschenkt. Das habe ich dann ein bisschen bereut. Ein paar Monate danach habe ich die Frau in einer anderen Klinik zufällig wiedergetroffen und sie hat mir den Pullover wiedergegeben.

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Hast du während einer Manie mehr Sex?
In einer Manie habe ich auf jeden Fall mehr Sex als nüchtern oder depressiv. Man hat eine Art und Weise an sich, die es viel einfacher macht, auf das andere Geschlecht zu wirken. Die Ganze Ausstrahlung ist intensiver. Das ist schon abgefahren. Dieses Jahr hatte ich in der Geschlossenen etwas mit einer anderen Patientin. Da das absolut verboten ist, mussten wir uns vor den Pflegern verstecken. Wir sind dann zum Beispiel im Duschraum des jeweils anderen gelandet.

Wann sagst du einem Date, dass du bipolar bist?
In der Regel frühzeitig. Ich binde es zwar nicht jedem direkt auf die Nase, aber verheimlichen macht für mich keinen Sinn. Die Krankheit ist ein Teil von mir. Sollte das eine potenzielle Partnerin verschrecken, dann ist das ohnehin hinfällig. Wenn man längere Zeit zusammen verbringt, bekommt die Person ja unweigerlich irgendwann die Phasen mit. Da sollte man schon drauf vorbereitet sein.


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Wirken Drogen anders auf dich?
Eine Droge, die mich durchgehend begleitet hat, ist Gras. Es ist eine Art Treibstoff, der ähnlich wie andere Substanzen meine psychotischen Symptome eher gepusht hat, wenn ich schon in der Manie drinsteckte. Koks hat mich nie geturnt, auch wenn jetzt einige sagen würden: "Dann hattest du wohl schlechtes Koks." Speed und MDMA waren eher mein Ding, aber auch nur bis zum Ausbruch meiner ersten Manie. Danach habe ich die Finger davon gelassen. Wozu sollte ich Substanzen ziehen, die meine Serotonin-, Dopamin-, Noradrenalin-Spiegel völlig durcheinander bringen, wenn sie das sowieso schon sind? Das leuchtete mir zum Glück ein. Während einer manischen Phase kommt die Wirkung dieser Drogen nicht ansatzweise an die Glücksgefühle ran, die eine Manie produziert. Bei einem Klinikaufenthalt steckte mir ein Pfleger, was der Chefarzt nach der Visite über mich gesagt hatte: "Wenn der Junge auf so heftige Medikamente nicht anspricht, dann könnte er auch zwei Gramm Koks ziehen und nichts passiert." Auch betrunken werde ich während einer Manie nicht wirklich. Deshalb war Gras das einzige, wozu ich immer wieder gegriffen habe, um meine Stimmung auszugleichen. Inzwischen habe ich auch damit aufgehört.

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Hat starker Drogenkonsum deine Bipolare Störung ausgelöst?
Ich würde sagen: Ja. Ich habe zwar familienbedingt auch Veranlagungen dazu, aber ich denke, dass vor allem der exzessive Graskonsum der Auslöser war. Es hat dafür gesorgt, dass ich mich mit bestimmten Dingen nicht auseinandergesetzt habe. Das ist wie bei einem Tsunami: Wenn man die verschiedenen Emotionswellen, je nach Phase, immer wieder unterdrückt und sich anstauen lässt, brechen sie irgendwann über einem zusammen. Das hat dann für meine jeweiligen Phasen den Ausschlag gegeben. Hätte ich nicht gekifft, wäre es mir vielleicht oftmals früher möglich gewesen, mich wieder in "seichtere Gewässer" zu bewegen und durch einen geregelteren Tagesablauf dagegenzusteuern.

Jonas von hinten, er ist bipolar

"Ich bin mittlerweile an einem Punkt, an dem ich akzeptiere, dass diese ständigen Wellen Teil meiner Persönlichkeit sind"

Hast du Angst, dass du in einer depressiven Phase Suizid begehst?
Ich hatte bisher in jeder Depression suizidale Gedanken. Auch schon so weit, dass ich überlegt habe, wie ich es am besten umsetzen kann. Einen Versuch habe ich nie unternommen. Jetzt, im Normalzustand, muss ich auch sagen, dass es schade wäre, wenn ich so weit gehen würde. Außerdem stelle ich mir selbst immer die Frage, ob ich den Menschen in meinem Umfeld dieses Leid wirklich zufügen möchte. Ich möchte sie nicht einfach mit einem Loch zurück lassen, das sich nicht wieder füllen lässt. Der Gedanke hat mir oft geholfen.

Hast du durch deine Krankheit Freunde verloren?
Nein, überhaupt nicht. Da hatte ich großes Glück. Mein Freundeskreis war immer am Start. Ich habe von Anfang an viel Unterstützung bekommen. Es ist aber auch nicht so, dass ich mich nach außen groß verändere. Ich werde nicht ekelhaft oder besonders arrogant während einer Manie. Die meisten Sachen spielen sich in meinem Kopf, meinen eigenen Gedankenwelten ab. Meine Freunde waren meistens diejenigen, die mich schlussendlich eingewiesen haben. Wenige Klinikpatienten haben so viel Besuch bekommen wie ich. Auch wenn ich mich manchmal frage, womit ich das verdient habe.

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Welche Dinge erlebst du wegen deiner Bipolaren Störung, die andere nie erleben werden?
Was so wohl kein "normaler Mensch" erleben wird, ist eine Elektro-Krampf-Therapie, für die man zehn Kurznarkosen in Abständen von zwei Tagen und währenddessen Elektroschocks bekommt. Während einer manischen Phase fühle ich mich oft, als wäre ich "der Auserwählte". Kurz vor meinem dritten Klinikaufenthalt trat ich aus einem Plattenladen auf die Straße. In der Sekunde überkam mich ein unfassbares Glücksgefühl. Ich glaube, so muss sich Heroin anfühlen. In diesem Moment schien die Sonne, gleichzeitig regnete und stürmte es. Ich war überzeugt, dass das Wetter exakt auf mich reagiert, meine Emotionen spiegelt. Während einer Manie glaube ich, die Welt verstanden zu haben und auf ein höheres Level aufzusteigen, auf dem sich einige Menschen schon befinden, man aber nicht darüber sprechen darf. Die Geschlossene wurde dann zur Schauspielschule, ich musste mich einfügen, es gab keine Regieanweisungen oder Erklärungen. Ich sah das als Prüfung, die ich bestehen musste, um danach Teil einer einfacheren Welt zu werden, zu der nicht jeder Zugang hat.

Auch die Leistungsfähigkeit während einer Manie werden die meisten Menschen nie erleben. Es fühlt sich dann so an, als ob mein Gehirn auf einer höheren Drehzahl läuft. Dadurch kann ich in meiner Kunst oft in kürzester Zeit Dinge erschaffen, für die andere Menschen deutlich länger brauchen, oder es überhaupt nicht können. Ich glaube aber, dass durch diese hohe Drehzahl Denkfehler entstehen und ich deshalb anfange, allem eine auf mich bezogene Bedeutung beizumessen. Eine Hypomanie, also die Vorstufe zur Manie, kann man vielleicht mit einem MDMA-Trip vergleichen. Nur dass er bei mir keinen Abend, sondern eher eine Woche anhält. Diese unfassbaren Glücksgefühle sorgen aber auch dafür, dass ich im Normalzustand auf Dinge, die mich glücklich machen sollten, eher abgestumpft reagiere.

Welche der beiden Phasen findest du besser?
Die Depression ist ganz klar beschissen. Da ist die Manie schon besser. Insgesamt bin ich mittlerweile an einem Punkt, an dem ich akzeptiere, dass diese ständigen Wellen Teil meiner Persönlichkeit sind. Ich hoffe, irgendwann einen stabilen Mittelweg zu finden. Vor allem jetzt ohne das Kiffen.

Notrufnummern für Menschen in psychischen Notfallsituationen bieten Hilfe für Personen, die Unterstützung brauchen – oder sich Sorgen um einen nahestehenden Menschen machen. Die Nummer der Telefonseelsorge in Deutschland ist: 0800 111 0 111. Hier gibt es auch einen Chat. Menschen mit Bipolarer Störung finden bei der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen Hilfe. In dieser Liste sind bundesweite Anlaufstellen für Menschen mit Depressionen aufgeführt.

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