Umwelt

Wie viel Mikroplastik du wohl jede Stunde einatmest

Musst du dich jetzt auch noch um die Luft in deinem Zimmer sorgen?
Kleine Plastikstücke von Kamilo Beach, Hawaii
Plastikmüll aus dem Meer | Foto: Erica Cirino

Alvise Vianello zieht sich einen Laborkittel über und betritt einen kargen weißen Raum voller surrender Maschinen. Die Geräte analysieren Materialien in Erde, Trinkwasser, Meerwasser, Abwasser und Luft, die dort eigentlich nichts zu suchen haben. Der Forscher von der dänischen Universität Aalborg untersucht Verschmutzungen durch Mikroplastik. Ein Blick auf die Anzeigen der Geräte zeigt: Sie haben Plastik, Plastik und noch mehr Plastik gefunden.

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Überrascht ist Vianello nicht. Das Material findet sich inzwischen überall – auch in unseren Körpern. Sein neustes Experiment legt nahe, dass sich unsere Lungen sogar in unseren eigenen Wohnungen mit winzigen Plastikpartikeln füllen – von dem ganzen Plastikkrempel, der dort herumliegt.


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Diese Erkenntnis lieferte ein atmender Dummy, der ein bisschen wie C-3PO aussieht, aber vom Möbel-Discounter. Vianello und sein Team hatten die Puppe in einer durchschnittlichen dänischen Stadtwohnung platziert. Jede Stunde saugte der Dummy 11,3 Mikroplastik-Partikel ein.

Die Forschenden betonen zwar selbst, dass ihr Experiment noch nicht beweise, dass Menschen tatsächlich Mikroplastik einatmen, doch die Ergebnisse weisen darauf hin. Als Nächstes müsse man in echten menschlichen Lungen nach Mikroplastik suchen.

"Das ist der erste Beweis dafür, dass Menschen auch durch Raumluft Mikroplastik ausgesetzt sind", sagt Vianellos Kollege Jes Vollertsen, einer der Autoren der Studie.

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Der Atemdummy bei der Arbeit | Foto: Erica Cirino

Es ist schon lange bekannt, dass Mikroplastik Lungengewebe schädigt sowie zu Asthmaanfällen, Krebs und anderen Gesundheitsproblemen führen kann. Die Partikel enthalten oft giftige chemische Zusätze oder Verunreinigungen, die sich auf den menschlichen Hormonhaushalt auswirken. Mehrere Jahrzehnte Forschung zeigen, dass Menschen, die mit Kunststofftextilien und -staub arbeiten, anfälliger für Atemwegsprobleme sind. Eine aktuelle US-amerikanische Untersuchung hat ergeben, dass Plastik unsere Nahrungsmittel durchdrungen hat. Es wurde auch schon in menschlichen Ausscheidungen nachgewiesen. Beim Essen und Trinken nehmen wir also ohnehin schon eine Menge Mikroplastik zu uns.

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Für das Experiment hatten sich drei Studierende mit identischen Wohnungen bereit erklärt, ihre Küche jeweils drei Tage mit dem Fast-C-3PO zu teilen. Die Wissenschaftler setzten ihn an den Küchentisch und passten seine Atemfrequenz an die eines durchschnittlichen Mannes an. Dort hockte der Dummy dann 24 Stunden lang und atmete lautstark mit seinen pneumatischen Lungen durch ein Mundloch ein und aus.

Die Atemwege des Mannequins bestehen aus Schläuchen mit einem feinem Silbernetz, das die eingeatmete Luft filtert. Mithilfe spezieller Software analysierte das Team Partikel, die in dem Gewebe gelandet waren. So stellten die Forschenden fest, welche Plastikarten sie gefunden hatten.

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Alvise Vianello und Jes Vollertsen bei der Arbeit im Labor | Foto: Universität Aalborg

Vianello zeigt eine farbkodierte Karte mit allen entdeckten Partikeln. Die hellgrauen Flecken überwiegen – es sind Proteine, in diesem Fall Hautzellen. Etwas seltener tauchen dunkelgraue Flecken und Linien auf. Sie stehen für pflanzliches Material. Durch dieses graue Gebilde zieht sich ein bunter Regenbogen: Die farbenfrohen Flecken und Striche zeigen Dutzende Sorten Plastikfragmente und -fasern. Neben einem Haufen toter Hautzellen und etwas Pflanzenmaterial scheinen wir also auch überraschend viel Mikroplastik einzuatmen.

"Partikel und Fasern aus Mikroplastik können je nach Dichte, Größe und Form tief in die Lunge gelangen und dort chronische Entzündungen verursachen", sagt Joana Correia Prata, eine Doktorandin an der Universität Aveiro in Portugal. Prata war nicht an dem Dummy-Experiment beteiligt, aber sie erforscht selbst die Auswirkungen von Mikroplastik auf den menschlichen Körper.

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"Angestellte in Industrien mit einer hohen Mikroplastik-Dichte in der Luft – wie in der Synthetik-Textilindustrie – leiden Studien zufolge häufig unter Atemwegsproblemen", sagt sie. "Allerdings gibt es noch keine Beweise dafür, dass dauerhafter Kontakt mit geringen Konzentrationen Mikroplastik in der Raumluft uns krank macht."

Bereits in der Vergangenheit haben Forschende Plastikpartikel in unserer Außen- und Raumluft nachgewiesen. Die neue Studie ist allerdings die erste, die mithilfe einer Puppe die menschliche Atmung simuliert.

Trotz aller Indizien dafür, dass Plastik in unsere Körper gelangt und uns möglicherweise schadet, gibt es bislang keine Möglichkeit, das systematisch nachzuweisen – oder welche Gesundheitsprobleme es möglicherweise verursacht. "Die Mikroplastik-Analyse war bislang der Wilde Westen", sagt der dänische Forscher Vollertsen. "Heute sind sich alle einig, dass wir eine gute Qualitätskontrolle brauchen, wenn wir auf diesem Gebiet forschen."

Vianello und Vollertsen sagen, ihr Experiment habe sie dazu bewegt, mit den Forschenden von der Universitätsklinik zu sprechen. In Zukunft könnte man in gemeinsamen Forschungsprojekten menschliche Leichen auf Mikroplastik untersuchen.

"Wir haben inzwischen genug Hinweise, um damit anzufangen, in den Atemwegen von Menschen nach Mikroplastik zu suchen", sagt Vollertsen. Erst dann werden wir wohl herausfinden, ob wir uns auch noch um die Luft in unseren Wohnzimmern sorgen müssen.

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