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Cocktails

Der Long Island Iced Tea hat nur Liebe verdient – weil er prollig ist

Der verrufene Cocktail ist ein bisschen geschmacklos – genau wie meine Heimat Long Island. Genau wie ich.

Ich komme aus Long Island in New York. Menschen aus den restlichen USA kriegen meist einen bestimmten Gesichtsausdruck, wenn ich das erzähle. Sie mustern meine voluminösen, gebleichten Haare und meine Tattoos und scheinen zu denken: "Ach so, deshalb bist du ein bisschen geschmacklos und prollig." Und ja, das bin ich tatsächlich, genau wie der absurde Cocktail, der den Namen meiner Heimat trägt: der Long Island Iced Tea.

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Aus Long Island kommen auch noch andere beliebte Exporte, wie Bluepoint-Austern, Billy Joel und die Baldwin-Brüder. Aber es ist wohl der Long Island Iced Tea, durch den unsere langgezogene Halbinsel an der Ostküste den meisten Menschen in der Welt ein Begriff ist. Erfunden hat ihn Anfang der 1970er ein Mann namens Robert "Rosebud" Butt, ein Barkeeper im Oak Beach Inn.

Die Haupteigenschaft des Drinks ist garantierte Trunkenheit. Das passt auch ganz gut zu den Long Islandern, die am Wochenende in New York City einfallen. Der Iced Tea hat definitiv mehr mit einem Fan der New York Islanders gemeinsam, der mit einer Jumbo-Bierdose im Zug nach Brooklyn sitzt, als mit einer Frau im Businesskleid, die auf der Dachterrasse an einem Manhattan nippt.


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Trotz seines schlechten Rufs hat der Drink seinen Platz auf der durchschnittlichen Getränkekarte seit den Siebzigern bewahrt. Allerdings versuchen Barkeeper immer wieder, ihm ein wenig mehr Klasse zu verleihen. Robert Simonson schreibt in der New York Times: "Der Long Island Iced Tea ist womöglich der Cocktail, der am häufigsten sture Barkeeper dazu bringt, ihre Rettungsschwimmer-Ausrüstung anzulegen" – vermutlich, um ihn vor sich selbst zu retten.

Simonson erwähnt als Beispiel Jeffrey Morgenthaler von den Bars Pépé Le Moko und Clyde Common in Portland. Er bereitet seinen Long Island mit mexikanischer Coca-Cola zu, die Rohrzucker statt Fructose-Glukose-Sirup enthält. Einem gewissen Kundenschlag signalisiert das, dass der Drink "gesünder" ist, obwohl sich das Endergebnis eigentlich nicht von der normalen Version unterscheidet. Wenn du dir selbst in einer schummrigen Kneipe auf Long Island schon komisch dabei vorkommst, einen Long Island Iced Tea zu bestellen, weil dich das dazu verleiten könnte, auf die Karaoke-Bühne zu treten – warum tust du es dann an einem Ort, wo man auf Qualität achtet?

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Die unverhohlen exzessive Mischung aus klaren Alkoholika und einem Schuss Coca-Cola ist einfach frivol. "Ein von der Jugend angetriebener Cocktail, um es mal freundlich auszudrücken", sagt Getränkechef Noah Small von der New Yorker Institution für mexikanische Küche Empellón. Weder der konventionelle noch der aufgepeppte Long Island Iced Tea lassen sich ernst nehmen, und wer eines von beidem bestellt, leider auch nicht.

Die rapide expandierende Bar Cork & Kerry bringt die Cocktail-Renaissance von New York City nach Long Island. Der Inhaber Doug Brickel reagiert auf das Problem des Long Island Iced Tea mit einer knallharten Erziehungsmaßnahme: "Ich verlange dafür mehr", sagt er. Wo ein anderer Cocktail vielleicht 13 Dollar kostet, müssen Gäste für einen Long Island gleich 17 Dollar berappen.

Es ist aber auch eine peinliche Kombination: Da versucht ein Unternehmer, die Trinkkultur der Gegend zu erneuern, und dann kommen Menschen, die den verrufensten Cocktail der Geschichte wollen. Doch Brickels Rechnung scheint aufzugehen: "Es gibt viele, die früher lieber zehn Drinks für zwei Dollar getrunken haben, und die jetzt mit zwei Drinks für je zehn Dollar zufrieden sind", erklärt er. Trotzdem merkt man ihm einen gewissen Frust an: "Wir sind so nah an der Stadt mit der besten Trinkkultur der Welt, und manche Leute wissen immer noch nicht, wie man einen richtigen Cocktail bestellt."

Long Island ist nun mal nicht Manhattan, und diese kulturelle Kluft ist es auch, die eine Neuerfindung des Drinks so unrealistisch wirken lässt. Die Holiday Cocktail Lounge im East Village bietet eine Sieben-Dollar-Version mit einem Wodka mit Tee-Infusion, und im Empellón Al Pastor gibt es den Amity Island Iced Tea mit Mezcal und Cachaça. Getränkechef Small nennt das "einen etwas abenteuerlustigeren Drink" als den Klassiker. Er verwendet die Cola-Marke Moxie statt Coke. "Ich weiß nicht, ob Menschen, die sich normalerweise zum Long Island Iced Tea hingezogen fühlen, diesen Drink auch attraktiv finden", räumt er ein. Es wirkt, als sei der Long Island nicht bereit für eine Wiedergeburt, sondern ein eingefrorenes Relikt aus der Zeit, bevor wir alle wussten, welchen Bourbon wir mögen. Niemand kann so recht sagen, weshalb wir immer wieder versuchen, ihn aufzutauen.

Doch vielleicht liegt die Erklärung in meiner Heimat selbst. Wer von Brooklyn aus den Zug in die Hamptons oder ins neu gentrifizierte Montauk am fernen Ostende von Long Island nimmt, kommt an sehr viel Elend vorbei. Bewohner der Halbinsel haben sich bemüht, neue Trinkregeln, Cocktailbars, Craft-Brauereien und gute Restaurants in die Gegend zu holen, doch insgesamt ist Long Island seit der Erfindung des Cocktails 1972 ein schlimmerer Ort geworden. Kein County im gesamten Bundesstaat New York hat so viele tödliche Opioid-Überdosen wie Suffolk. Der Frauenmörder von Long Island ist bis heute nicht geschnappt – als wäre Joel Rifkin nicht schon furchtbar genug gewesen. Der rassistische Mord an einem ecuadorianischen Einwanderer in meiner Heimatstadt hat den Anti-Latino-Hetzer Trump dazu ermutigt, dort Wahlkampf zu machen. Long Island hat mit Banden zu kämpfen, vor allem mit der Mara Salvatrucha, und eine Schule verpfeift inzwischen minderjährige Einwanderer ohne Papiere und ohne Verbindung zu Gangs an das FBI.

Es sei uns allen verziehen, wenn wir einfach alle erhältlichen Spirituosen in einem großen Glas zusammenschütten, einen Schluck Cola dazugeben, und auf das Vergessen trinken.

Ich wohne inzwischen in New York City, und dort trinke ich die aufgemotzte Version des Long Island Iced Tea in der Holiday Cocktail Lounge, um meiner Heimat zu huldigen. Wenn ich mit meiner Familie auf Fire Island Urlaub mache, bestelle ich die klassische Version in einem Plastikbecher und bereue es nach ungefähr der Hälfte, weil ich mich plötzlich in einer hitzigen Diskussion mit meiner Mutter wiederfinde. Aber ob nun spontanes Karaoke oder Streit mit den Liebsten – wenigstens weißt du so, dass du das Original trinkst. Das ist die authentische Long Island Iced Tea Experience.