Junge Menschen werden nach der Wahl wohl noch schlechter vertreten sein als zuvor
Angela Merkel zu Gast in einer Berliner Schule | Foto: imago | Christian Thiel

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Bundestagswahl 2017

Junge Menschen werden nach der Wahl wohl noch schlechter vertreten sein als zuvor

Geht es nach aktuellen Umfragen, werden es kaum Kandidaten unter 30 in den neuen Bundestag schaffen. Welche Parteien daran schuld sind.

63 Jahre ist Angela Merkel alt, SPD-Herausforderer Martin Schulz ist 61 und Finanzminister Wolfgang Schäuble wird vor der nächsten Bundestagswahl sogar noch 75. Das Spitzenpersonal der Koalition wird dominiert von Menschen jenseits der 60. Das ist zwar wenig überraschend, gilt aber auch für das Parlament. Zwar ist jeder fünfte Deutsche 24 Jahre alt oder jünger, lediglich elf von 630 Abgeordnete waren jedoch unter 30, als der heutige Bundestag vor knapp vier Jahren erstmals zusammentrat. Nach der Wahl dürften es noch weniger sein.

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Das zeigt eine Prognose, die VICE mithilfe der Ergebnisse der aktuellen Forsa-Umfrage erstellt hat. Auf der Seite mandatsrechner.de kann man damit die voraussichtliche Besetzung des nächsten Bundestages berechnen. Durch Überhang- und Ausgleichsmandate wird es dieses Mal voraussichtlich sogar 649 Sitze geben, die jüngste Kandidatin, die 19-jährige Laura Schieritz, die in Brandenburg für die FDP antritt, ist aber ebenso chancenlos wie das Gros der insgesamt immerhin 262 U-30-Kandidaten der sieben großen Parteien. Stand heute würden lediglich acht davon im September in den Bundestag einziehen. Und mit einer Ausnahme kämen sie alle von der AfD und der CDU – Ronja Kemmer etwa, Jahrgang 1989 und CDU-Direktkandidatin in Ulm, oder Jan Nolte, Jahrgang 1988, hessischer Spitzenkandidat der AfD.

Was ist also bei SPD, Linken, Grünen und FDP schiefgelaufen? Werden junge Politiker dort nicht gefördert? Wir haben bei den vier Parteien nachgefragt.

Die Prognose für den nächsten Bundestag anhand der aktuellen Forsa-Werte | Screenshot links: mandatsrechner.de | Tabelle rechts: VICE

SPD

Deutschlands älteste Partei tut sich nicht unbedingt als Talentschmiede hervor: Sollten die Sozialdemokraten noch etwas zulegen und auf 25 Prozent kommen, würde immerhin die 27-jährige Bela Bach für das Münchener Umland über die bayerische Landesliste einziehen. Und halbwegs aussichtsreiche Direktkandidaten gibt es nur zwei: Robert von Olberg (Jahrgang 1988) und Esra Limbacher (Jahrgang 1989) versuchen, in Münster und Homburg ihre Gegner von der CDU abzulösen. Das dürfte schwer werden – und die selbsterklärte Volkspartei würde damit genau null Abgeordnete unter 30 in den kommenden Bundestag entsenden.

Auf eine Anfrage von VICE, warum das so ist, hat die SPD bislang nicht reagiert.

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Die Linke

Die Linke hat besonders viele junge Direktkandidaten, 29 an der Zahl. Es müsste aber schon die sozialistische Revolution ausbrechen, damit sie in Ländern wie Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen Chancen haben. Im Osten, im wunderschön betitelten Wahlkreis "Schwerin – Ludwigslust-Parchim I – Nordwest­mecklenburg I" tritt André Walther (Jahrgang 1988) direkt an. Allerdings scheiterte selbst Linken-Schwergewicht Dietmar Bartsch hier 2013 an der CDU. So dürfte Tilman Loos (Jahrgang 1988) der Linke unter 30 im nächsten Bundestag sein: Er sitzt auf dem achten und damit wohl letzten sicheren Platz der sächsischen Landesliste.

Laut dem Pressesprecher der Linken sind viele junge Linke anderweitig eingebunden: Sie würden sich lieber "in konkreten Projekten" wie der Flüchtlingshilfe als im Bundestag engagieren oder müssten noch ihr Studium oder eine Ausbildung beenden. Die Parteijugend hätte zudem vielerorts auf eine Kandidatur auf den vorderen Plätzen der Landeslisten verzichtet, schreibt der Sprecher in einer Mail an VICE. Und das, obwohl die Landesverbände und die parteinahe Rosa-Luxemburg-Stiftung junge Kandidaten dabei unterstützt, Ausbildung und Politik zu vereinbaren. Notfalls muss es eben die Generation davor richten: "Sie können davon ausgehen, dass auch Abgeordnete, die etwas älter als 30 sind, sich um die Belange der Jüngeren kümmern und sich entsprechend engagieren werden."

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Bündnis 90/Die Grünen

Paradox ist die Situation bei den Grünen: Zwar gibt es gleich auf sechs Landeslisten je einen Kandidaten unter 30 in den Top-5, weil das erstens aber eher Listen in kleinen Ländern wie dem Saarland oder Sachsen-Anhalt sind und weil zweitens die Partei aktuell nur bei 8 Prozent steht, dürfte es kein einziger der immerhin 48 grünen U-30 Kandidaten in den kommenden Bundestag schaffen. Eine Anfrage von VICE ließen die Grünen bislang unbeantwortet.

Die Grünen-Pressestelle gibt sich dennoch entspannt. Man habe eben mal weniger Junge dabei, mal mehr – so wie bei der letzten Wahl, die vier grüne U30-Abgeordnete in den Bundestag brachte, die es alle mit großer Wahrscheinlichkeit auch 2017 wieder schaffen werden. Und da die Partei den Nachwuchs mit Summer Schools, Mentoring Programmen und weiteren Angeboten von Grüner Jugend und Heinrich-Böll-Stiftung gezielt fördere, zeigt sich der Sprecher überzeugt, dass junge Engagierte nicht alleingelassen werden.

FDP

Ähnlich düster sieht es für eine "junge" FDP aus: Damit es wenigstens mit dem 28-jährigen JuLi-Chef Konstantin Kuhle einen zukünftigen FDP-Abgeordneten unter 30 gibt, müsste die Partei 9 Prozent oder mehr erreichen. Dann würde es Kuhle über Platz 6 der niedersächsischen Landesliste schaffen.

Der Pressesprecher der Liberalen sieht das weniger eng und legt die Altersklasse einfach "liberaler" aus: "Selbstverständlich kandidieren bei den Freien Demokraten auch junge Menschen auf den vorderen Listenplätzen", schreibt er und nennt dann Johannes Köhler, Benjamin Strasser, Jens Brandenburg, Lukas Köhler und sogar den Spitzenkandidaten Christian Lindner. Diese fünf werden es zwar sicher in den Bundestag schaffen, aber sie sind auch zwischen 30 und 38 Jahren alt. Auf WG-Partys würden sie wahrscheinlich auffallen. Die Generation, die unmittelbar erlebt hat, was heute in Unis und in der Ausbildung schiefläuft, wird im Deutschen Bundestag aller Voraussicht nach fehlen.

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