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fake news

200 Ausländer sollen sich in Göttingen eine Massenschlägerei geliefert haben

Eine dankbare Meldung für Klicks und Hasskommentare – doch sie ist falsch.
Foto: imago | FBerger 

Die Göttinger Massenschlägerei, die es nie gegeben hat, begann, als ein Polizeisprecher in der Nacht von Sonntag auf Montag gegenüber der dpa sagte: "Fest steht bisher, dass am Sonntagabend zwei große Personengruppen unterschiedlicher Herkunft aufeinander losgingen." Rund 200 Personen sollen daran beteiligt gewesen sein. Die Stimmung sei so aufgeheizt gewesen, dass die Schichtleiterin einer McDonald's-Filiale in der Nähe den Laden schloss, um ihre Mitarbeiter zu schützen. Verletzte habe es keine gegeben. Weitere Details, so die Polizei, kenne man nicht. Bereits da hätte man stutzig werden können: Eine Massenschlägerei mit 200 Beteiligten ohne Verletzte?

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In einer späteren Meldung war dann schon die Rede davon, dass zwar 200 Menschen zusammengekommen waren, aber sich nicht alle an der Auseinandersetzung beteiligt hätten. "Die Sache ist noch ziemlich unübersichtlich", teilte ein Polizeisprecher der dpa mit. Trotzdem stürzten sich viele Medien auf die Meldung, darunter die Bild-Zeitung, die noch in der Nacht von der "Massenschlägerei in Göttinger Innenstadt" berichtete. Im Göttinger Tageblatt lautete die Schlagzeile: "Massenschlägerei in Göttingen". Die, sagen wir mal "flüchtlingskritische", Nachrichtenseite Russia Today machte aus den "Personengruppen unterschiedlicher Herkunft" am Montagmorgen: "Syrer gegen Libanesen – Schlägerei in Göttingen".

Recherchen der FAZ entkräfteten das Bild einer Massenschlägerei später aber weiter: Nur ein kleiner Teil der Versammelten sei beteiligt gewesen, so ein Polizeisprecher zu der Zeitung. Keineswegs hätten alle aufeinander eingeschlagen.

Eine offizielle Stellungnahme der Polizei Göttingen gab es dann aber erst am Montagnachmittag: Es habe in der Nacht einen Streit zwischen zwei Männern gegeben: einem Syrer und einem Libanesen. Dieser Streit sei eskaliert und innerhalb kürzester Zeit fand sich "eine zeitweise unüberschaubare Anzahl von Angehörigen beider Nationalitäten ein", schreibt die Polizei. Am Ende hätten sich 200 bis 250 Menschen gegenübergestanden, die Stimmung sei "extrem aufgeheizt, lautstark und aggressiv" gewesen. In eine Schlägerei verwickelt waren laut der Polizei aber nur fünf bis sechs Personen. Die Polizisten lösten daraufhin die Ansammlung mit Pfefferspray auf und nahmen den "Rädelsführer", einen 23-jährigen Syrer, fest.

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Doch die Nachricht eines riesigen prügelnden Flüchtlings-Mobs hatte sich schon massenhaft in sozialen Medien verbreitet:

Dass die Polizei Göttingen nun relativiert, ist für einige User der Beweis, dass deutsche Behörden Straftaten von Flüchtlingen und Menschen mit Migrationshintergrund vertuschen wollen.

Es ist nicht der erste Fall in den vergangenen Wochen, in denen unsaubere oder falsche Informationen der Polizei insbesondere von rechten Medien so zugespitzt wurden, dass die Schlagzeilen mit dem eigentlichen Vorfall nur noch wenig zu tun haben.

Vor vier Wochen hatte das Polizeipräsidium Aalen mit dafür gesorgt, dass sich User in sozialen Medien über den angeblichen "Einwanderer-Mob" von Schorndorf aufregten. Zunächst war die Rede von 1.000 Jugendlichen, größtenteils mit Migrationshintergrund, die sich im Schorndorfer Schlosspark versammelt und Flaschen auf die Festteilnehmer und die Einsatzkräfte geworfen hätten. Die Polizei korrigierte sich später: Tatsächlich hätten 100 Personen versucht, die Beamten körperlich anzugehen. Die übrigen Besucher des Schlossparks seien friedlich gewesen.

Anfang Juli kam es in Dresden zu einem ähnlichen Vorfall wie Sonntagabend in Göttingen. Die Dresdner Polizei hatte von einer Schlägerei mit 70 Teilnehmern aus dem nordafrikanischen und arabischen Raum berichtet. Später wollte sie diese Zahl gegenüber VICE nicht mehr bestätigen. Die Beamten waren erst eingetroffen, als die Schlägerei schon aufgelöst war.

Die Polizei hat in Göttingen, Schorndorf und Dresden versucht, den Migrationshintergrund der möglichen Täter von Anfang an offenzulegen. Die Beamten reagieren damit möglicherweise auch auf Vorwürfe nach der Kölner Silvesternacht 2015, in der die Herkunft der Täter lange nicht genannt wurde. Doch das hat sich in allen drei Fällen – Göttingen, Schorndorf, Dresden – mit überzogenen Täterzahlen, unpräziser Schilderung der Vorgänge durch die Polizei und zugespitzten Medienüberschriften gepaart. Diese Steilvorlage haben sich Rechte nicht entgehen lassen.

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