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Heulsuse der Woche: Mehmet Scholl vs. das ZEITmagazin

Der Ex-Fußballprofi verliert seinen Vertrag mit der ARD, weil er die Themenauswahl nicht mochte, und das Magazin stellt fest, dass Satire doch nicht "alles" darf.
Foto: imago | Camera4

Es ist mal wieder an der Zeit, sich über ein paar Menschen zu wundern, die mit der Welt nicht fertigwerden.

Heulsuse #1: Mehmet Scholl

Der Vorfall: Die ARD möchte sich beim Confed Cup mit ihrem teuer eingekauften Experten Mehmet Scholl über einen Doping-Skandal unterhalten.

Die angemessene Reaktion: In seiner Position als Experte auch zu diesem wichtigen Thema seine Einschätzung abgeben.

Die tatsächliche Reaktion: Der Redaktion vorschreiben wollen, worüber sie berichten kann und worüber nicht – und sich anschließend komplett mit der ARD überwerfen.

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Mehmet Scholl – lustig, smart, eigentlich seit jeher ein Sympathieträger. Umso mehr dürften sich Fußballfans gefreut haben, als die ARD 2008 den ehemaligen Europameister als Experten für ihre Fußballübertragungen verpflichtete. Was auf dem Papier gut klang, stellte sich in der Realität allerdings als oftmals recht unbefriedigend heraus. Deswegen ist es fraglich, ob irgendjemand der FC-Bayern-Legende eine Träne nachweint, nachdem bekannt wurde, dass er der ARD in Zukunft nicht länger als Experte zur Verfügung stehen würde.

Der Grund dafür liegt bereits ein paar Wochen zurück. Im Juni weigerte sich der 46-Jährige, seine Expertise im Rahmen des Confed Cups abzugeben, weil er sich nicht vor laufenden Kameras zu den Dopingfällen bei der russischen Nationalmannschaft äußern wollte. "Ich möchte, dass diese Story für diesen schönen Tag draußen bleibt", habe er erbeten, erklärte Scholl im Bayerischen Rundfunk. Er befand die wochenlange Recherche der Redaktion als "nicht relevant". Die ARD reagierte nachvollziehbar irritiert und verbat sich eine Einmischung in ihre redaktionellen Entscheidungen. "Da habe ich gesagt: Ich gehe. Und dann bin ich gegangen."

Mehmet Scholl eckte in seiner Zeit als ARD-Experte immer wieder an. 2012 urteilte er etwa, dass er bei Nationalstürmer Mario Gomez "Angst habe, dass er sich wundliegt". Dass er allerdings aktiv Einfluss darauf nehmen wollte, über welche Themen diskutiert würde und über welche nicht, irritierte viele. Am Donnerstag verkündete die ARD nun, den Vertrag mit Scholl "mit sofortiger Wirkung" aufzulösen. Ursprünglich hieß es von beiden Parteien, trotz des Eklats in Zukunft weiter zusammenarbeiten zu wollen.

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"Die Redaktionen sind für den Inhalt zuständig, die Experten für die Meinung", zitiert die FAZ den ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky zu der überraschenden Entscheidung. Scholl müsse "die redaktionelle Hoheit akzeptieren".

Mit den Schlagworten "Mehmet Scholl" und "redaktionelle Hoheit" wären wir dann auch direkt bei dem zweiten Kandidaten für die Heulsuse der Woche:

Heulsuse #2: Das ZEITmagazin

Der Vorfall: Leo Fischer, Ex-Chefredakteur der Titanic, übernimmt für eine Woche den Twitter-Account des ZEITmagazins. In zwei Tweets verbreitet er bewusste Falschmeldungen, die nicht jeder lustig findet.

Die angemessene Reaktion: Die Tweets löschen und/oder im Nachhinein dementsprechend einordnen, vielleicht noch einmal kurz Rücksprache mit dem Gast-Twitterer halten, ob das wirklich so cool ist, was er macht.

Die tatsächliche Reaktion: Die Tweets löschen, das Passwort ändern und die Twitter-Woche mit Leo Fischer für beendet erklären.

Wer sich gewundert hat, dass es beim Twitter-Account des sonst eher kulturbeleckten ZEITmagazins in den letzten Tagen ungewöhnlich lustig zuging: Das war kein Zufall. Leo Fischer, Ex-Chefredakteur der Titanic, hatte den Account als Gast-Twitterer übernommen und tat genau das, was sein ehemaliges Satireblatt nach wie vor tut: andere wahlweise zum Lachen bringen oder vor den Kopf stoßen.

Vorsichtshalber distanzierte sich das ZEITmagazin schon recht früh von den Aussagen ihres Gast-Twitterers und stellte gleichzeitig klar, dass Satire "alles" dürfe. Fischer nutzte diese Narrenfreiheit unter anderem, indem er die Follower des Magazins über ihre Lieblings-Luxusuhren, "Femernismus" und ihre Vorbereitung auf den Atomkrieg abstimmen ließ. Als Leo Fischer allerdings am Donnerstag vermeldete, dass Mehmet Scholl tot sei, schien es der Redaktion zu reichen.

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Außerdem twitterte er über angebliche Explosionen über der nordkoreanischen Hauptstadt Pjöngjang und verlinkte einen Artikel von Zeit Online – in dem davon selbstverständlich keine Rede war.

Das ZEITmagazin löschte die Tweets und verbreitete über den Account: "Die Tweets wurden umgehend gelöscht, sie sind nicht mit unseren Standards vereinbar. Die Twitter-Kolumne von Leo Fischer wurde beendet. Jetzt twittert wieder die Redaktion des ZEITmagazins." Auf sonderlich viel Gegenliebe bei Twitter-Usern schien diese Entscheidung allerdings nicht zu stoßen. Mehrere Nutzer stellten sich unter dem Hashtag #FreeLeo auf die Seite des Satirikers.

Was lernen wir daraus? Das nächste Mal überlegen, ob Satire für einen wirklich "alles" darf, bevor man seinen Twitter-Account an den ehemaligen Chefredakteur der Titanic übergibt. Und sich den Account seiner Gast-Twitterer vorher vielleicht etwas genauer angucken. Wo grenzwertige Satire draufsteht, ist oft eben auch grenzwertige Satire drin.

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