Warum am Kottbusser Tor kein Platz mehr für das Record Loft ist
Christian Pannenborg mit einer seiner Lieblingsplatten. Alle Fotos von Lisa Ziegler

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Berlin

Warum am Kottbusser Tor kein Platz mehr für das Record Loft ist

In dem beliebten Plattenladen kaufen DJs aus ganz Europa ein. Dem Vermieter war's egal. THUMP gegenüber äußert sich Betreiber Christian Pannenborg erstmals zur Situation.

Das Kottbusser Tor, für die einen sympathischer Nabel Berlins, für die anderen ein Hort von Kriminalität und Verwahrlosung. Belebt ist dieser Ort jedenfalls, das wird beim Gang durch die Adalbertstraße deutlich. Bei der Hausnummer neun biegen wir ab Richtung Hinterhof, passieren den ersten und bleiben im zweiten stehen. Hier, hinter einer unscheinbaren Tür ohne entsprechendes Schild, verbirgt sich einer der bekanntesten Plattenläden Europas. Noch. Denn Anfang Dezember gab The Record Loft zur Verwunderung seiner Fans bekannt, aus der angestammten Location ausziehen zu müssen. Aus "dubiosen Gründen", die nicht näher beschrieben wurden. Ende März soll Feierabend sein.

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Christian Pannenborg, Inhaber und Gesicht des Second-Hand-Ladens, hat sich bisher nicht zu dem Auszug geäußert. Das soll heute nun endlich geschehen, doch zur vereinbarten Uhrzeit ist er noch nicht da. Die Wartezeit überbrücken die Fotografin und ich mit zahlreichen Kippen. Dabei blicken wir immer wieder herum, nebenan lässt sich durch das Milchglas ein Gastronomiebetrieb erahnen. Ein Anruf von Christian: Er ist gleich da, Termin bei der Hausverwaltung, er fliegt zu uns. Wir sollen schon mal Fotos machen. Wird gemacht.

Im Record Loft ist es ruhig. Ein Mitarbeiter sitzt am Computer, ein anderer legt auf, zwei Kunden hören sich in Ruhe einen Stapel Platten an. Es wirkt wie ein Wohnzimmer für Vinyl-Headz. Passenderweise gibt es auch eine Couch-Ecke. Nach einigen Minuten kommt Christian endlich rein und entschuldigt sich mehrfach. Wir machen einige Fotos, Christian zeigt uns eine seiner Lieblingsplatten, Vollbedienung Of Percussion von Zabba W. Lindner und Carsten Bohn. Krautrock aus dem Jahre 1974, Discogs führt die Platte mit 36 Euro aufwärts. Das Cover allein ist den Preis schon wert.

Als alle Fotos im Kasten sind, setzen wir uns in Christians Büro, das zu 90 Prozent aus Platten besteht, klar. Bei einigen weiteren Zigaretten dreht sich das folgende Gespräch um das Ende von The Record Loft in der Adalbertstraße, die Zukunft an einem neuen Ort und die Situation der Berliner Plattenläden im internationalen Vergleich.

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THUMP: Im Dezember waren viele Menschen über die Nachricht schockiert, dass ihr schließen müsst. Du hast damals geschrieben, dass "dubiose Gründe" dazu geführt haben. Was genau heißt das?
Christian Pannenborg: Es gibt wohl mehrere Interessenten für die Location. Ich denke, es geht darum, hier die aktuellen Mietpreise zu realisieren. Ich gehe davon aus, dass sich der Kaffee-Laden von vorne einfach vergrößern will. Die haben das entsprechende Konzept.

Warum wurde euch also gekündigt?
Wir haben zwei Mahnungen wegen angeblicher Geräuschbelästigungen von Nachbarn bekommen, die es hier eigentlich gar nicht geben kann. Hier ist nur Gewerbe, wenn wir hier Abends noch ein bisschen Musik hören, kann das eigentlich niemanden belasten.

Also meinst du, dass nach Anlässen gesucht wurde, dir und The Record Loft zu kündigen?
Ich denke, dass wir von Anfang an ein Dorn im Auge waren. Vermutlich wurde ab dem Zeitpunkt überlegt, wie man uns hier rauskriegen könnte, als es einen neuen Mieter gab. Als der Kaffee-Laden hier vorne eröffnet wurde, war der Eigentümer zum Beispiel auf einmal bereit, Investitionen im vorderen Hinterhof vorzunehmen [The Record Loft befindet sich im zweiten von drei Hinterhöfen in der Adalbertstr. in Kreuzberg). Insofern steckt dahinter ein größerer Plan. Persönlich finde ich das relativ schade. Diese komischen Neon-Schilder usw., das ist nicht das, was Kreuzberg auszeichnet.

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Dieser Aufkleber auf einem Fahrstuhl neben dem Eingang zum Record Loft ist der einzige Hinweis

Als du 2013 in die Location eingezogen bist, hast du gesagt, dass der Ort den Vorteil hat, dass die Mietpreise noch recht niedrig sind und du dadurch den Luxus hast, dir sechs bis sieben Jahre Zeit zu nehmen. Nun ist nach nicht mal vier Jahren schon das nahe. Warst du davon überrascht?
Im April letzten Jahres hat man uns verboten, weitere Instore-Gigs zu machen. Das war für mich so ein Punkt, an dem ich gemerkt habe, dass sich etwas verändert hat. Das hat mich dann belastet und ich habe etwas Zeit gebraucht. Denn ich hab gemerkt, dass ich danach persönlich abgebaut habe, weil mir klar wurde, dass es so viele schöne Erlebnisse nicht mehr geben wird. Einer der Gründe, warum ich jeden Morgen aufstehe, ist, einen "Cultural Footprint" hinterlassen zu wollen und diese Instore-Gigs sind ein wichtiger Teil davon.
Ich möchte nicht zu den Platten-Dealern gehören, die Schallplatten wie Brötchen verkaufen, nach dem Motto: "Zwei von den hellen Brötchen und noch ein Vollkornbrot."

Diesen Satz hast du schon oft gesagt.
Er stimmt ja auch. Da steckt aber noch mehr hinter. Es muss einfach diesen Ort des Austausches geben. Das muss man bereitstellen. Sonst sind die ganzen Nerds alle alleine zu Hause und noch einsamer. Das führt auch zu dieser Anonymität in den Clubs, die ich immer mehr beobachte. Jeder macht seine eigene Party und es kommt nicht mehr zu einem gemeinsamen Erlebnis, was aber mal der Hauptbestandteil dieses Rituals war.

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Ein Schallplattenladen muss von den Freaks für die Freaks sein.

Du meinst diesen ursprünglichen Gedanken von House, dass Leute zusammen feiern, sich in Plattenläden treffen, austauschen und Musik machen?
Klar, das taucht in so vielen dieser Interviews auf. Ob es David Morales ist, der darüber sinniert, wie er früher Schallplatten geklaut hat. Oder Tony Carrasco und John "Jellybean" Benitez, die als kleine Kids rumgerannt sind und die großen DJs angehimmelt haben. Diese ganze Entwicklung von House im New York der 80er Jahre hatte sehr viel mit der Plattenladenkultur zu tun, als Ort des Austausches.

Gibt es sowas in Berlin?
Wir haben hier eine ganz außergewöhnliche Situation im Augenblick. Es haben viele Plattenläden aufgemacht und ich weiß gar nicht, ob das noch für alle realisierbar ist.

Eine Plattenladenblase also?
Das hört sich vielleicht zu sehr nach BWL an. Es gibt Leute, die machen Musik und Leute, die in kleine Labels ihr Herzblut vergraben und nicht wirklich davon leben können. Das muss man als Plattendealer auch beachten und Ernst nehmen. Ich glaube, dass es grad hipp ist, Platten zu sammeln, zumindest in den Städten.
Auf der anderen Seite muss man aber auch sehen, dass es Leute gibt, die aus kleinen Städten kommen, wo sie nie diesen Luxus hatten, vor Ort Platten zu sammeln. Damit fangen sie dann erst hier an. Für diese Leute muss man auch da sein. Ein Schallplattenladen muss von den Freaks für die Freaks sein.

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Wie beurteilst du die Situation der Plattenläden in Deutschland im internationalen Vergleich?
Ein Freund von mir, der vor Kurzem auf Emotional Response veröffentlicht hat, kommt aus London. Er meinte, Soho bestand mal zum Großteil aus Plattenläden. Bis die Läden Ende der 90er Jahre kein Land mehr gesehen haben und die hohen Mietpreise verhindert haben, dass sich da überhaupt noch irgendwas lohnt. In London kann man sehen, wie die Sachen zeitversetzt passieren. Da fehlt das "Cultural Hub" des Plattenladens.
Unter den Hauptstädten in Europa hat Berlin daher eine einzigartige Lage. Vor allem weil es hier das "Hollywood of Techno" gibt. Viele DJs und Künstler leben hier und bilden eine Struktur, die man braucht. Vielleicht ist das auch nur ein kleines Fenster im Raum-Zeit-Kontinuum, in dem das möglich ist und dann muss man diesen Momenten auch Größe verleihen, bis es vielleicht so wird wie in London.

Was könnte die Politik tun, um Plattenläden zu unterstützen?
Anfang der 2000er hat die Berliner Politik viel Förderung betrieben, um eine Avantgarde-Fashion über die Stadt hinaus bekannt zu machen. Und damit hat man Modelabels zerstört und in die Schulden getrieben. Ich denke daher, dass es besser ist, wenn sich die Politik nicht einmischt. Die Mikrostrukturen, die es in Bereichen wie Plattenläden gibt, können durch den politischen Apparat nur belastet werden. Denn das, was die Politik bieten kann, hat immer mit Ansätzen zu tun, die im Endeffekt niemals zeitgemäß sein können, weil da einfach das Verständnis und der theoretische Teil immer hinterherhinken.
Auf der anderen Seite gibt es derzeit auch keine Notwendigkeit, etwas für die Plattenläden zu tun. Man sollte sich vielmehr darauf konzentrieren, dass wir in drei Jahren noch genügend Clubs haben.

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Ein Mitarbeiter sortiert die Platten an einer Wand, die ausschließlich dem Chicago House gewidmet ist

Wie geht es denn mit The Record Loft weiter?
Wir werden an einen neuen Ort gehen. Es gibt noch nichts konkretes, ich hab mir aber schon ein paar mögliche Locations angeguckt und freue mich darauf.

Was willst du ändern?
Ich würde die ganze Sache vielleicht etwas futuristischer aufziehen, von der Ästhetik her. Außerdem soll es wie gesagt ein Ort sein, der uns ermöglicht, regelmäßig Instore-Gigs zu veranstalten. Ich würde auch gerne Lesungen mit Spiral Tribe machen und mich mehr mit alten Techno-/House-Magazinen beschäftigen.

Wirst du weiterhin keine Preisschilder auf die Platten drucken und den Leuten die Preise mittels Discogs an der Kasse sagen?
Ich hab in so viele enttäuschte Gesichter gucken müssen, als ich den Leuten die Preise gesagt habe. Wenn man sich durch einen Stapel von 40-50 Platten wühlt, ist es eben auch klar, dass man bei den teuren Sachen hängen bleibt, weil die meistens schon eine gewisse Qualität haben. Es gab dann oft die Situation, dass jemand diverse Platten hatte, die 30-40 Euro gekostet haben.
Wir werden versuchen, einen Schlüssel zu finden, damit wir den Leuten schon mal von vornherein klar machen können, dass sie grad keine Platte für fünf Euro in der Hand halten. Vielleicht machen wir ein Stickersystem, das sich an den Berghain-Telefon-Aufklebern orientiert.

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