Unprätentiöse Imbisse: Sahara–Sudanesische Spezialitäten
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Imbiss

Unprätentiöse Imbisse: Sahara–Sudanesische Spezialitäten

Unprätentiös, kostengünstig und schmackhaft—das wahre Street Food Berlins. Dieses Mal mit unförmigen Momjeans und Birkenstock auf dem Singlespeed nach Neukölln, um sich fleischlose Erdnussmassen im sudanesischen Imbiss reinzustellen.

Street Food ist meine Schwester und ich schütze ihre Ehre. Für Munchies bin ich deswegen ab sofort regelmäßig auf geheimer Mission in Berlin unterwegs, um genau die Spots ausfindig zu machen, die für kleines Geld perfektes Essen bieten. Unprätentiös, kostengünstig und schmackhaft - das wahre Street Food Berlins. Dieses Mal mit unförmigen Momjeans und Birkenstock auf dem Singlespeed nach Neukölln um sich fleischlose Erdnussmassen im sudanesischen Imbiss reinzustellen.

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Hipster bestehen in der Regel nur aus inhaltsloser Hülle, hört man allerorts von den Hatern und man möchte gleich vor Wut mit seinen beigen Öko-Sandaletten kräftig aufstampfen und was höchst Treffendes mit messerscharfer Entwaffnungslogik aus dem Bauch heraus erwidern, aber der Impuls verhallt sekundenschnell in der eigenen inneren Leere, deren spärlich restvorhandene Substanz bereits mit essenziellen Fragen wie "Können Eichhörnchen eigentlich eine Erdnussallergie haben?" und "Was genau ist eigentlich ein Sudan?" vollbelegt ist. Innen drin sind wir also total ausgebucht, und je früher wir diese Tatsache akzeptieren, desto weniger Buchungsanfragen von bedeutungslosem Alltags-Tand müssen wir mit arbeitsintensiver Selbstreflexion ablehnen.

Diese besagten Hipster haben alle etwas gemein: Die Romantik. Denn wir/die lieben die schönen Dinge des Lebens, wie Kindheit (die paar Schläge lassen sich gut mit einem zwinkernden Auge in einem traumabewältigenden, "schonungslosen" Comedyprogramm als "persönlichkeitsbildende Maßnahmen" abstempeln oder dem ungebremsten Konsum von Wohlstandsprodukten, der dem Schmerz auch herrlich entgegenwirken kann. Nur dass die Packungsbeilage bei Herschel Rucksäcken leider fehlt und man nicht vor den Nebenwirkungen von High Waisted Denim Trousers oder ockerfarbenen Pantobrillen gewarnt wird.

Romantik? Nostalgie? Die schönen Situationen meiner Kindheit kann ich locker an einer Hand abzählen: Einen Finger benutze ich um lauthals "ALLES!" zu deklarieren und die restlichen vier Finger kommen meinem persönlichen Soul Food zu Gute: Eine Schüssel Cornflakes mit Vollmilch in der Hängematte unter dem schattigen Kirschbaum, Salamibrote mit feiner Cervelatwurst vor dem Fernseher, während nach der Schule Schloss Einstein läuft und ich Budhi Dondra sexuell ganz anziehend finde (mit der Einschränkung, dass er endlich mal etwas gegen seine Akne unternimmt, wie zum Beispiel die Anti-Baby-Pille einzunehmen), heißer Kakao unter gestärkten und gebügelten Laken mit vorlesender Oma im Bett und Pindakaas direkt aus dem Glas, heimlich nachts in der dunklen Küche.

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Pindakaas! Auch Jahre später begleiten mich diese Wohlfühldinge durch den Tag. Sahara reproduziert dieses soulige Gefühle auf geradezu magische Art und Weise und pumpt unsere Verdauungsorgange mit köstlicher Nostalgie voll. Der sudanesische Imbiss beschäftigt echte Magier, die dort die geheime Sauce anwenden und an romantikbedürftige, seelisch verlodderte Berliner verticken. Hier dreht sich alles um die Erdnusssauce. Vergesst also mal die Salamibrote und Schloss Einstein für einen Moment, denn Budhi wohnt inzwischen vermutlich auch mit Frau, Kind und rückengeschädigtem Dackel in Neukölln und frisst sich mit Falafel sein Hautbild schlecht, oder seid eben clever und schmiert euch fix ein paar Stullen, um sie dann in der Wartezeit auf die Sandwichs bei Sahara zu essen. Willkommen in der Neuköllner Zauberei! Ich habe euch gute Gefühle mitgebracht!

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Kiffen ist ja wie eine Wunderkerze im Kopf anzünden. Wenn die Funken dann jedoch abebben, ist erstmal alles ein bisschen ausgebrannt und man muss die Wunden mit etwas Süßem schnell verarzten. Fressattacke und Heißhunger. Nun heißt es auf den Körper hören und ihm nachgeben. Und zwar mit etwas Salzigem. Und gerne etwas Deftiges. Brotig soll es auch sein. Gerne Frittiert. Und nussig. Zum Beispiel die Sandwichs bei Sahara. Fleischlos glücklich geht also ganz einfach und ich hoffe City Chicken und Ris a Chicken werden diese Zeilen nie lesen, aber frittierter Quietschhalloumi, superwürziger Falafel, Magali, ein frittierter Gemüsemix aus Kartoffeln, Karotten und sonstigem Kram, das durch den Frittiervorgang etwas durchaus Fleischiges und Zufriedenstellendes gewinnt, macht wunschlos zufrieden. Niemand vermisst hier sein Fleisch. Ich hingegen würde sogar das Brot noch frittieren, wenn ich nur könnte. Aber mich fragt ja keiner. Ich bin ja bloß so eine von VICE Munchies mit einer Kamera und einem Geldbeutel, die nett nach Fotos fragt und dann kein Trinkgeld gibt und deren Kindheits Déjà-vus in ihrem Kopf explodieren wenn sie in solche Erdnusssaucenhappen beißt. Ähnliche Geschmacksexperimente sind mir bisher aus Holland bekannt, dem Land der Kiffer und komischen Vonvornereinguckenkönnennasen, wo man gerne mal stoned Friet Pindasaus (Fritten mit Erdnusssauce) isst und sich noch eine handvoll Zwiebeln draufschmeißen lässt um dann den nächsten genau zu wissen warum man so lange auf dem Klo verbringt.

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Übrigens High-Five an den Typen bei Yelp, der über Sahara schreibt, dass es dort Burger und Döner gibt. Hut ab, haarscharfe Beobachtungsgabe!

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Der Ort:

Direkt an der Ecke des Reuterplatzes gelegen bietet Sahara ein paar edle Kirmesbänke und einen Fahrradständer an. Mehr braucht man nicht. Das Lokal ist herrlich kühl und hübsch gefliest. Aufkleber "To shy to rap" und ein dick befüllter Getränkeschrank begrüßen einen auf angenehm unprätentiöse Art und Weise. Die Schlange ist überschaubar und bewegt sich immer in einem akzeptablen Rahmen zwischen 1-7 Gästen, die ebenfalls nach Erdnusssauce gieren. Wartezeiten liegen immer unter fünf Minuten. Anderes wurde noch nicht berichtet.

Die Klientel:

Als ich ankomme, passiert eine Herde schreiender Rollkofferwesen den Imbiss, entscheidet sich dann aber doch nach dem Inspizieren der Preistafel lieber für den bekannten Mustafa's Gemüsekebap am Mehringdamm. Man hat ja schließlich noch ein paar Stündchen Zeit und die möchte man möglichst sinnentleert unter einem Haufen anderer Touristen oder total verschallerten Berlinern loswerden.

Ich bin Stammkunde im Sahara und ich habe hier noch nie ein Arschloch getroffen. Die Menschen, die herkommen, das sind gemütliche Ayran-Trinker, Arbeiter und Leute, die beim Essen die Fresse halten. Ein paar modische Brillen sieht man auch. Ein Mac unter dem Arm oder die obligatorisch vor dem Laden festgebundene Französische Bulldogge (Blauträger) fehlt ebenfalls nicht. Man sitzt in der Sonne und schlingt. Die würzige Erdnusspaste geilt einem den Rachen runter und klebt alles zu. Der Mund ist total trocken. Jede Pore ist nussig. Reden ist da nicht mehr. Politik, Weltlage, allgemeine Situation und Schmerz werden ganz klein. Erst nach dem erlösenden Ayran (Profis trinken nur Geschmacksrichtung Natur) kommen die Worte wieder und man guckt seine Begleitung an und sagt "Ja, geil! Superlecker!". Auch wenn es diese Mal nur ein teurer Hund oder das noch teurere Smartphone ist. Der Sonne ist es egal. Das Leben am Reuterplatz geht so oder so weiter.

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Das Gericht:

Eine Frage aber bleibt offen: Gibt es hier überhaupt Fleisch? Und wenn ja ist es mir auch egal, denn Erdnüsse sind auch irgendwie fleischig. Ich bestelle immer Falafel, Halloumi, Magali im Sandwich. Dazu packt der Typ eine dicke Menge der besagten Erdnusszerbombung und leckere Auberginenpaste. Das Ganze kommt dann in einem handlichen Pita, das von seinen Ausmaßen gar nicht mal so groß ausfällt, aber durch sein Gewicht das Sättigungsgefühl schnell Lügen straft. Frittieren kann man hier echt gut. Alles schmeckt knackig und Salate und Tomaten sind frisch und müssen nicht mit schmutzigen Händen und enttäuschtem Gesicht aus dem Sandwich gepuhlt und vergrotzt werden. Böse Stimmen behaupten, die Sauce wäre keine Zauberei, sondern lediglich flüssig gerührter Pindakaas aus dem Glas. Was sollen diese Behauptungen? Irgendwie muss man den Menschen doch ihren Glauben an Übernatürliches und Magie lassen? Findet ihr nicht auch?

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Tipps:

Fahrrad gut festketten, nett zu den Jungs hinter der Theke sein, denn sie sind es auch und einfach mal in die Vollen gehen und Falafel, Halloumi, Magali Sandwich mit Erdnussauce und Auberginenpaste bestellen. Ein guter Rundumschlag. Gegen die Fahne am Ende hilft ohnehin nur Küssen und Aushalten oder ein Ayran aus dem Kühlschrank. Der beste Ort zum Essen ist übrigens nicht direkt vor dem Laden sondern im angrenzenden Park. Dort kann man die arabischen Jungs dabei beobachten wie sie sich gegenseitig mit Gürteln schlagen und auf ihren viel zu großen Fahrrädern im Kreis fahren wie testosteronbefüllte Hamster in einem schnell drehenden Laufrad. Könnte man nicht einfach Strom mit den Kids erzeugen?

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Preis:

Falafel oder Magali im Brot 2,50 Tacken. 2,80 für Halloumi und der Roundhousekickmit allen drei Zutaten für 3,50 Euro. Fair ist das. Die Teller kosten zwischen 4 und 6 Euro und wer sich besonders rich fühlt oder gerade sein Monatsgehalt überwiesen bekommen hat, kann sich mal mit dem Sahara-Teller richtig gönnen.

Sahara

Reuterstrasse 56

12047 Berlin Neukölln