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Landwirtschaft

Anthroposophische Bauern haben die dicksten Kartoffeln

Auf der Halbinsel North Fork an der US-Ostküste baut eine Frau das beste Gemüse der Region an. Ihr Geheimnis? Kosmische Kräfte durch biodynamische Landwirtschaft, natürlich.

Das Ganze hier fühlt sich ziemlich geheim an. Kathy Haspel, die von den Kunden ihres Marktstandes—K.K.'s The Farm—in Southhold (im US-Bundesstaat New York) nur K.K. gennant wird, zeigt mir eine Tabelle mit verschiedenen biodynamischen Präparaten—eine Mischung aus verschiedenen Elementen, die das Pflanzenwachstum anregen sollen. Die Präparate sind streng wissenschaftlicher Natur, ihre Elementnamen werden mit den Abkürzungen aus dem Periodensystem bezeichnet. Und trotzdem verbirgt sich etwas Magisches hinter diesen profanen Beschreibungen. „Die Löwenzahnblume steht in enger Verbindung mit Kieselsäure bzw. Silicium (Si) sowie Kalium (K)", erklärt sie. „Die Verbindung zwischen Silicium und Kalium wird verstärkt, so dass Silicium dafür sorgen kann, dass kosmische Kräfte in den Erdboden eindringen." Diese Präparate sind die Grundlage biodynamischer Landwirtschaft und müssen zur richtigen Zeit, abhängig vom Mondkalender und dem Stand der Sterne, auf den Ackerboden gegeben werden.

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Kosmische Kräfte, Aura, Schwingungen. K.K. spricht viel über Übernatürliches, und als ich bei ihrem Stand vorbeischaue, wird mir auch schnell klar, warum: Ihre Tomaten sind schon früh in der Saison groß und knallrot—so rot wie Lippenstift und fast so, als hätte K.K. mit dem Farbeimer nachgeholfen—und fordern die Besucher auf: „Fasst uns an!" (Das würde auch das Schild erklären, auf dem die Marktbesucher angehalten werden, ihr Gemüse bitte nicht zu „drücken"). Auch K.K.s Zuckerschoten machen was her. Sie sind knackig und haben einen hellen, süßen Geschmack. Ihre landwirtschaftlichen Erzeugnisse sind lebendig und vibrieren förmlich. „Ein Bissen von meinen Tomaten reicht aus", so K.K., „um bei dir Wunder zu bewirken." K.K. kam zur biologisch-dynamischen Landwirtschaft, nachdem sie beschloss, in Zukunft biologisch anbauen zu wollen. Dies sollte vor allem sicherstellen, dass ihr selbst angebautes Essen sicher und gesund ist. „Ich habe mittlerweile zwei Enkelkinder, die acht und zehn Jahre alt sind. Nicht zuletzt ihretwegen baue ich für meine gesamte Familie das Essen selbst an. Denn es ist wirklich wichtig, dass du genau darauf achtest, was du isst", sagt sie. Sie hat ihren Abschluss von der Nature Lyceum School for Organic Horticulture. Und schon bald nachdem sie damit begann, biodynamische Prinzipien auf ihrer Farm anzuwenden, konnte sie erste Unterschiede feststellen. „Wenn du den Pflanzen und dem Boden positive kosmische Kräfte zuführen lässt, entsteht eine Kraft, die nicht von dieser Welt ist", sagt sie. Denn sofort wurden die Farben ihrer Erzeugnisse heller und der Geschmack süßlicher. „Mein Gemüse kann jetzt aus energetischer Perspektive nicht mehr schlecht werden."

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Die biologisch-dynamische Landwirtschaft geht auf Rudolf Steiner zurück—Philosoph, Wissenschaftler und Begründer der Anthroposophie—der die These aufgestellt hat, dass das Überleben der westlichen Zivilisation von einer rationalen und objektiven Herangehensweise an die spirituelle Welt abhängen würde. Das neugewonnene Verständnis sollte in einem zweiten Schritt auf alle Formen des modernen Lebens angewandt werden. Sein mystisch daherkommendes Gedankenkonstrukt hat in verschiedensten Feldern Anwendung gefunden—ganz besonders in Form von Waldorfschulen—aber mittlerweile, im Jahr 2014, haben biodynamische Ansätze wohl das größte Potential, die Welt nachhaltig zu verändern. Neben den schönen Farben und dem intensiven Geschmack, die durch diese Anbaumethoden möglich werden, kann der Boden durch eine biodynamische Landbewirtschaftung sogar von Strahlungen, Chemikalien und anderen Schadstoffen befreit werden. Und die Produktivität kann dadurch auch noch gesteigert werden. Während die kommerzielle Landwirtschaft unsere eh schon schwindenden Wasserreserven durch die Anwendung von chemischen Düngern und Pestiziden verunreinigt, können durch biodynamische Anbaumethoden viele Chemikalien aus dem Boden entfernt werden. Außerdem kann so dort neue Ackerkrume entstehen, wo der Boden zuvor noch verunreinigt war. Und jetzt kommt der Hammer: Die ganze Sache ist auch noch echt günstig. Und auch wenn das Ganze auf dich mystisch oder pseudowissenschaftlich wirken sollte, gibt es doch viele Belege dafür, dass ein Anbau—im Einklang mit den Sternen und den kosmischen Kräften des Universums—eine weitaus bessere Form der Landwirtschaft darstellt als all das, was wir bisher für richtig gehalten haben.

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The Farm ist ein anheimelnder Landstrich an einer Hauptstraße, die alle Städte auf der Halbinsel North Fork miteinander verbindet. Kurz nach der idyllischen, mit vielen Eisdielen aufwartenden Kleinstadt Greenport musst du von der Straße abbiegen. Du gelangst dann zu einer Reihe von bunten Tischen, auf denen Blumen, frisch eingemachte Essiggurken und Knoblauch, der noch an 60cm langen, knallgrünen Stängeln hängt, stehen. In der einen Ecke steht ein hellblaues Fahrrad gegen die Hauswand gelehnt—das Ganze könnte auch das Motiv einer Postkarte sein. Auf dem Schild für den „Gourmet-Gemeinschaftshof" steht eine Telefonnummer ohne jegliche Ortsvorwahl davor—eine angenehme Erinnerung an vergangene Zeiten, als noch nicht jeder jedem seine Location zuschicken musste und du friedlich in deiner idyllischen Gemeinde leben konntest, ohne ständig daran erinnert zu werden, dass es da draußen noch die große weite Welt gibt, mit der du unausweichlich verbunden bist. The Farm ist in einem alten, verwitterten Bauernhaus untergebracht. Gemüsefelder reihen sich hinter dem ausladenden, aber nicht protzigen Bauernhaus aneinander. Obwohl das Grundstück direkt an der Hauptstraße liegt, spürst du sofort eine tiefe Ruhe. Und du verstehst, warum K.K. meint, hier seien große Kräfte am Werk.

Ich habe durch Heidi Michel Fokine von K.K. erfahren. Heidi arbeitet als Yogalehrerin auf Shelter Island, wo sie jeden Samstag Morgen in einer historischen Scheune einen Kurs anbietet. Nach dem Kurs tranken wir einen Kaffee im Redding's, ein schönes Café direkt am Wasser. Dort erzählte sie mir auch davon, dass sie aktuell Präparate für ihren Garten herstellen würde. Als sie mir zeigte, wie sie zu Hause Wasser im Eimer hin und her wirbelt, wirkte sie wie eine Hexe, die blubberndes Zeug in einem Kessel umrührt, um irgendeinen Zaubertrank herzustellen. „Zuerst musst du diesen komischen Kompost [eine Kombination aus Bio-Dünger, organischen Substanzen, Präparaten, die aus Mineralien und Kräutern bestehen, sowie vereinzelt auch Teilen von Tieren] in einen Eimer geben und das Ganze dann in eine bestimmte Richtung umrühren. Auf diese Weise bringst du die kosmischen Kräfte des Universums im Wasser in Bewegung. Sie fließen erst in die eine Richtung, und dann schaffst du Chaos, indem du das Ganze in die andere Richtung umrührst." Ihr Garten, so Heidi weiter, bereitet ihr große Probleme. Das Gras würde ständig eingehen und das Gemüse so leblos wirken. Und zu allem Überfluss sind auch noch ihre Gärtner verschwunden. Heidi hatte erst kurz zuvor an der Shaman School auf Long Island mit verschiedenen Kursen begonnen und war deswegen solchen Sachen gegenüber besonders aufgeschlossen. Dann passierte es auch schon: Sie hatte eine Vision zu ihrem Garten. Sie verstand plötzlich, dass es ihm sehr schlecht geht und dass sie für ihn zu sorgen hat. Am nächsten Tag machte sie sich also an die Arbeit, mit dem Ziel, die Situation wieder in Ordnung zu bringen. Sie wollte nun das Land, das ihr anvertraut wurde, „heilen". Deswegen fuhr sie zu K.K., die ihr mitteilte, welche Präparate sie benötigen würde, um den Schaden zu beheben. Außerdem weihte sie Heidi in den biodynamischen Kalendar ein, der den Farmern—auf Basis der verschiedenen Mondphasen—klipp und klar sagt, an welchen Tagen sie was anzupflanzen haben. Aber zu allererst musste sie herausfinden, was mit den Gärtnern passiert war.

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„Als ich von der Shaman School und meinem Treffen mit K.K. zurückkam, meinte ich zu meinem Ehemann, er solle Jerry [den Gärtner] suchen und herausfinden, warum seine Jungs einfach so verschwunden sind", erzählt mir Heidi. „Chris hat dann mit Jerry gesprochen, der gemeint hat, dass seine Jungs—also die guatemaltekischen Männer, die für Jerry arbeiten—vor mir Angst haben und nicht zu uns zurückkehren wollen. Schuld daran war, dass ich angeblich wild schreiend aus dem Haus gerannt bin und sie ein für alle Mal verscheucht habe." (Ich muss an dieser Stelle einwerfen, dass Heidi, obwohl ich sie erst seit ein paar Jahren kenne, nicht der Typ Mensch zu sein scheint, der zu so etwas imstande wäre. Und sie selbst versichert, dass nichts davon stimmen würde.)

„Ich bin mittlerweile überzeugt davon, dass mein Garten sich aufgebäumt und die Gärtner verscheucht hat", sagt sie ganz nüchtern. Ihr ist aber durchaus bewusst, wie verrückt diese Geschichte klingt, weswegen sie auch mit dem Gedanken gespielt hat mich darum zu bitten, dass ich nicht ihren richtigen Namen verwende. „Ich weiß, dass sich das total abwegig anhört, aber ich bin definitiv nicht schreiend aus dem Haus gerannt, um sie aus meinem Garten zu vertreiben. Mein Garten kam auf mich zu und hat mir zugeflüstert, dass ich mich um ihn kümmern soll. Deswegen habe ich drei von K.K.s Präparaten in meinem Garten benutzt. Jetzt herrscht wieder Ruhe. Und ich gebe meinem Garten die nötige Zeit, um wieder zu Kräften zu kommen und neue Ackerkrume aufzubauen."

In den Worten von K.K. gibt Heidi den Pflanzen nur das, was sie zum Aufwachen benötigen. „Wenn sie aufwachen", ergänzt sie, „willst du ihnen nicht im Weg stehen. Du gibst ihnen die Möglichkeit, sich zur bestmöglichen Zinnie zu entwickeln oder zur schönsten Tomate aller Zeiten zu reifen. Und das werden sie auch, weil das große Universum auf sie einwirkt und sie wach küsst."

Ist es Magie? Oder ein Wunder? Oder könnte es einfach nur sein, dass es sich bei Biodynamik um eine Wissenschaft handelt, die so simpel, natürlich und offensichtlich ist, dass sie unserem Zeitgeist, geprägt von einer unersättlichen Gier nach immer neueren technologischen und kommerziellen Entwicklungen, einfach nicht mehr zugänglich ist? Vielleicht haben wir den Sinn für die einfachsten uns zur Verfügung stehenden Mittel verloren: die Sonne, die Erde und die Sterne? Davon ist K.K. jedenfalls überzeugt. Sie glaubt aber auch, dass es noch nicht zu spät ist, um diese Prinzipien anzuwenden und so den schon entstandenen Schaden zu beheben—auch wenn ich zugeben muss, dass das Ganze wohl kein Selbstläufer wird, wenn ich so an die Agrar- und Pharmakonzerne dieser Welt denke.

Die Sachen, die sie mir erzählt hat, wirken erstmal so, als sollten sie lieber geheim bleiben. Aber in Wahrheit müssen wir wohl genau diese Erkenntnisse in die Welt posaunen.

Oberstes Foto: Chiot's Run | Flickr | CC BY 2.0