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Russland

Mit Eichenhieben und Wodka zum russischen Glück

Russische Banjas sind ein Magnet für die Emigranten des Landes in Großbritannien. Dort treffen sich Oligarchen mit Heimweh, russische Fußballer und Tänzer um sich bei Wodka, Langusten und Kwass über Belangloses zu unterhalten. Auch britische Mädchen...

Sollte Russland daran interessiert sein, sein Image vom harten Typen aufrechtzuerhalten, dann sind ihre old-school Saunen die beste PR. Die Banja, die von mehreren meiner russischen Bekannten als „ersten Arzt" und als „zweite Mutter" bezeichnet wird, ist ein Ort, wo du in einem sehr, sehr heißen Raum oder einem sehr, sehr kalten Pool sitzt, Hiebe mit Zweigen kriegst, einen dämlichen Hut anhast und exquisiten, eiskalten Wodka mit deinen Freunden zum Mittagessen trinkst. Banya No.1 in der Nähe der Old Street in London ist das einzige russische Banja in ganz London, was irgendwie erstaunlich ist. Ich sag dir, wie es ist: die Abende in den Pubs gehen mir auf die Eier, wir brauchen mehr Sachen, wie das hier. Du kannst eine private Kabine im Restaurant buchen, wo du dein Mittagessen direkt nach der Dampfsession nackt verzehren kannst. Geht's schöner?

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Leichte Banja-Lektüre. Alle Fotos von der Autorin.

Der Sinn liegt darin, den Kreislauf anzukurbeln und alles ist auf Entschlackung ausgerichtet. Nachdem ich meine beklemmende Kleidung ablegte und mich in meinen (sehr optionalen) Badeanzug warf, bekam ich einen Hut aus Schafwolle überreicht, der dafür sorgen sollte, dass mein Kopf nicht zu heiß wird, wenn ich auf einem Laken in der Holzsauna liege. Wenn es dir dennoch zu viel wird, wirst du in einen Speiseraum geführt, wo eine Kanne traditioneller Kräutertee und ukrainischer Buchweizenhonig auf dich warten. „Durch den Tee schwitzt du weiter", sagt ein Mitarbeiter zu mir. „Und der Honig wirkt ebenfalls entschlackend. Das Wichtigste ist, dass die Körpertemperatur konstant hoch bleibt." Der Tee besteht aus einer angenehmen Mischung aus Thymian, Pfefferminze und getrockneten Lindenblüten, die die Verdauung anregen sollen. „Du bekommst jetzt ein Körperpeeling, ich denke Honig und Salz ist gut für dich", sagt German, der süße, undurchschaubare lettische Spa-Therapeut, während ich meinen Tee austrinke. Wieso Honig und Salz? „Das ist für schlechte Haut", sagt er. Hah? Danke, Mann. Schmollend wie eine 15-Jährige, der gerade verboten worden ist, auf das Reading Festival zu gehen, bringt mich German in den feuchten Hammam. Das wird jetzt zwangsläufig pervers klingen, aber German hat echt große Hände, zu groß, um den kleinen Verschluss einer Halskette zu öffnen. Seine Peeling-Technik ist himmlisch. Durch die Kombination der Hitze, des Peelings und der Feuchtigkeit fühlt sich meine Haut mega aufgeladen an, als würde mich jemand von innen anzünden. Ein viel besseres Heilmittel gegen Akne als Clearasil und Selbstverachtung. Als Vorbereitung auf die Venik-Massage gibt es noch mehr Tee. Gemeinsam mit Gennadiy, ebenfalls ein Typ mit beeindruckenden Proportionen, legen sie mich in der Sauna auf Eukalyptusblätter und verpassen mir vorsichtige Hiebe mit riesigen Bündeln Eichenzweigen, was den Blutkreislauf anregen soll und durch die sich die Sauna wie durch Magie gleich um einiges heißer anfühlt. Auf die Hiebe folgen Eimer mit kaltem Wasser, die über mich geleert werden, während German „ÜBERRASCHUNG!" ruft und dann folgt das komplette Eintauchen in einen Pool mit 8°C Wassertemperatur. Ich höre jemanden schreien und mir wird klar, dass ich es bin.

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Zitternd und pink wie Borscht wickelt mich German in ein feuchtes Tuch. „Wodka, ja?" Er schenkt mir ein riesiges Glas Russian Standard ein, das auf -50°C gekühlt wurde. Es ist so kalt, dass es ein dickes Handtuch um die Flasche wickeln muss, bevor er mein Glas füllt. Trinke ich das alles auf einmal? „Ja, hop hop hop!". Mir wird gesagt, der Wodka wäre ausschließlich für „antiseptische Zwecke", um jegliche Keime abzutöten, die ich mir in der Sauna aufgegabelt habe und nicht, um betrunken zu werden, aber die vierfache Menge zwingt mich in meine jämmerlichen englischen Knie. Das Mittagessen hilft mir aber wieder auf und ich benehme mich gerade lange genug nicht wie ein Baby, um die ausgeschwitzte Flüssigkeit durch seidigen, geräucherten Hering, rohe Zwiebeln, kalte Sprotten und mehliges Schwarzbrot zu ersetzen. Der Hering wird mit den rohen Zwiebeln gegessen und die Sprotten werden mit buttrigen, gekochten, Kartoffeln serviert, die halbiert und noch warm sind. Die Banja regt deinen Appetit an und du fühlst dich, als hättest du Holz gehackt, statt stundenlang gesessen. Mir fiel fast der Kopf in den Hering.

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Danach wird eine gigantische Platte mit britischen Langusten serviert, so perfekt rot und glänzen wie Sebastian aus Arielle, die Meerjungfrau. Um sie zu essen, breche ich das Hinterteil auf und ziehe das weiße Fleisch heraus—vorsichtig, um die korallfarbenen Rogenperlen nicht zu verschütten. Dann breche ich kleinen Scheren auf und sauge das Fleisch heraus. Als ich einatme, ich schwöre, kann ich das Meer riechen.

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Ein weiterer großer Pluspunkt des Banya No.1—als ob du nach den Eichenzweighieben noch weitere überzeugende Argumente brauchen würdest—er ist einer der wenigen Orte, die hausgemachten Kwass anbieten. Das kohlensäurehaltige Getränk wird aus fermentiertem Roggenbrot und Rosinen oder Rote Bete und Sauerkraut-Saft hergestellt. Tolstoy schrieb über dessen Cholera abweisende Eigenschaften und ja, es schmeckt wirklich sehr medizinisch und so, als hätte es später eine tiefgreifende Auswirkung auf mein Innenleben. Ich unterhalte mich mit einer Frau aus Taschkent in Usbekistan und frage sie, ob Russland zu unrecht im Westen einen so schlechten Ruf „Ja, die Leute hier verstehen es nicht", sagt sie. „Vielleicht ist mein Herz immer noch in Russland." Und was ist mit Putins Anti-Schwulen-Gesetze? Sind sie wirklich so barbarisch, wie die Leute denken? „In Russland hat die ältere Generation einen großen Einfluss auf die jüngere. In Russland mögen die Leute keine Schwulen und Lesben, weil die Gesellschaft in den letzten Jahren wieder religiöser geworden ist. Ich hoffe, das ändert sich, aber ich denke nicht, dass das bald sein wird." Hmmm.

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Die Banja ist ein Magnet für russische Emigranten in Großbritannien. Dort treffen sich Oligarchen, russische Fußballer und Tänzer mit Heimweh, um in der Sauna den starken Mann zu geben und sich mit ihren Freuden über irgendwelches belanglose Zeug zu unterhalten. Bürgerrechte, Risikokapital und Geschichte sind hier kein Thema. Jeder ist gleich, wenn er nackt ist, drei Shots Wodka hatte und seine Hände mit Langusten-Rogen beschmiert sind.