Rotes Gold—Die abenteuerliche Suche nach Rindfleisch in Kuba

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Rotes Gold—Die abenteuerliche Suche nach Rindfleisch in Kuba

In Kuba gelten Waren, die schwer oder unmöglich zu kriegen sind, als perdido, also verloren. Dazu gehören derzeit Toilettenpapier, Bier, Kartoffeln—und Rindfleisch. Obwohl die USA Rindfleisch nach Kuba exportiert, weiß keiner so genau, wo das...

In Kuba gelten Waren, die schwer oder unmöglich zu kriegen sind, als perdido—also verloren. Als ich diesen Sommer in Havanna ankam, waren die zwei dringendsten perdido-Waren Klopapier und Bier. Für die Besucher werden diese in den Hotels bereitgestellt, aber für Kubaner sind sie wie vom Erdboden verschluckt. Perdido. Elf Millionen Menschen auf einer Insel mit einem Klopapier-Problem. Andere schwierig zu kriegende Dinge sind Seife, Stifte, Smartphones und Kreditkarten—nicht, dass hier amerikanische Kreditkarten überhaupt funktionieren würden. Das Internet ist ebenfalls perdido: Nur 3 bis 4 Prozent der Bevölkerung verfügt über Zugang zum World Wide Web. Aber von all den perdido-Dingen, die die Kubaner nicht in ihre Finger kriegen, ist das merkwürdigste—und das am meisten tabuisierte—Rindfleisch.

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Jeder einzelne Person, mit der ich in Havanna sprach, versicherte mir, dass es hier ein größeres Verbrechen ist, eine Kuh zu schlachten, als einen Menschen zu töten. Alle Kühe, fügen sie hinzu, sind Eigentum des Staats. Wenn Kubaner dabei erwischt werden, wie sie illegal Rindfleisch zubereiten, begehen sie scheinbar lieber Selbstmord, als dass sie sich der Inhaftierung stellen. Wieso ist Rindfleisch in dieser kommunistischen Diktatur so kostbar? Ich kam hierher, um der Sache auf den Grund zu gehen. Die Antwort, vermute ich, hat wahrscheinlich etwas mit dem endemischen Hunger und der Verzweiflung des ständigen Überlebenskampfes zu tun. Oder vielleicht ist es eine ungewöhnliche, im Gesetz verankerte Nebenwirkung der 55 Jahre revolutionären Idealismus und Handelsembargos, die Art verdrehte Argumentation, die aus dem Mund derselben Köpfe kommt, die jeden hinrichten lassen, der eine unterschiedliche Meinung als deren eigene vertritt.

Die Geschichte hat aber nicht nur eine Seite. Als ich das letzte Mal nach Kuba reiste, vor fast zehn Jahren, wurde mir empfohlen, dort kein Rindfleisch zu essen. Die Einheimischen erzählten mir, dass das Rindfleisch in den Restaurants aus den Staaten komme und die Qualität furchtbar sei. Manche warnten davor, dass es kontaminiert ist; andere sagten, es wäre sogenanntes utility meat oder gar „cutter" beef, zwei der niedrigsten der acht Qualitätsstufen laut der Klassifizierung des U.S. Department of Agriculture. Letzteres wird in Nordamerika meist für Hundefutter verwendet.

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Ich machte zwar um jedes ropa vieja einen großen Bogen, eigentlich erschien es mir aber eher unwahrscheinlich, dass die USA Rindfleisch an Kuba verkaufen würden, in Anbetracht des Handelsembargos, das schon seit 54 Jahren zwischen den beiden Staaten existiert. Seit aber die amerikanische Regierung im Jahr 2000 landwirtschaftliche Exporte nach Kuba genehmigte, importierte die Insel Lebensmittel aus den USA im Wert von unglaublichen 4,7 Milliarden Dollar (3,7 Milliarden Euro), von dem die gesamte Summe in Bar vorfinanziert wurde. Der Sinn und Zweck eines Handelsembargos ist es, einen feindlichen Staat zu isolieren und dessen Überlebensmechanismen durch wirtschaftspolitische Maßnahmen zu schwächen. In diesem Fall treibt Amerika die eigenen Gewinne in die Höhe, indem sie die Einwohner Kubas mit Essen versorgen. Nur wenigen ist es bewusst, aber ungefähr ein Viertel der kubanischen Lebensmittelimporte stammt derzeit aus den USA.

Ich war neugierig, wie viel davon Rindfleisch ist und kontaktierte deshalb den ehemaligen Gouverneur von Minnesota, Jesse "the Body" Ventura, der während seiner Amtszeit Kuba einen Besuch abgestattet hatte, um die Öffnung des Exportmarkts für Rindfleisch anzutreiben. Leider reagierte er nicht auf meine Interviewanfragen.1 Und auch der kubanische Beamte, der für die Importverhandlungen mit den USA zuständig ist, Pedro Luís Padrón vom Außenhandelsministerium, antwortete nicht. Das kubanische Unternehmen, das die Lebensmittelimporte überwacht, heißt Alimport und der ehemalige Chef Pedro Álvarez Borrego lebt heute in Tampa, Florida, wo er im Immobiliengewerbe die Finger im Spiel hat. Auch dort hatte ich kein Glück. Das letzte Mal, als ein Journalist versucht hatte, mit ihm Kontakt aufzunehmen, krächzte Álvarez Borrego (oder jemand, der vorgibt, Álvarez Borrego zu sein) ins Telefon: „Ich bin nur ein einfacher Zimmermann. Hast du einen Job für mich?" Dann fing er an zu lachen und legte auf.

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Vor meiner Abreise schaffte ich es, mit Patrick Symmes, dem Autor von zwei Sachbüchern über kubanische Themen (Reiseziel Che Guevara und The Boys from Dolores) zu sprechen. „Viele der Lebensmittel in Kuba stammen aus den USA", erzählt er mir. „Die Würstchen aus North Carolina, die Äpfel aus Washington State, ekelerregende Tuben von mechanisch hergestellter Truthahnpastete aus Virginia." Er kannte keine Statistiken über Rindfleisch aus den USA in Kuba, aber er warnte mich, dass es schwierig werden würde, eindeutige Zahlen zu bekommen. „Du wirst sehr schnell merken, dass du nicht sehr viel Erfolg haben wirst, wenn du Recherchen über die offizielle Seite anstellst", erklärte er. „Nicht nur Kuba, sondern auch in den USA, wo einige Staaten ein Verbot für Journalisten eingeführt haben, über amerikanische Schlachthöfe zu berichten." Diese sogenannten „ag-gag laws", die als Maßnahmen gegen Whistleblowing verabschiedet wurden, veranschaulichen, wie weit die industrielle Massentierhaltung bereit ist zu gehen, um ihre fadenscheinige Arbeitspraxis zu schützen.

Symmes sagte, er hätte versucht, den ehemaligen Chef der Nahrungsmittelausgabe in Havana ausfindig zu machen, ein gewisser „Colonel Fatso", der nach Korruptionsvorwürfen aus Cuba flüchtete und sich in Chile versteckte. „Das gesamte System der Nahrungsmittelausgabe in Kuba ist sehr geheimnisvoll und teils auch korrupt. Deshalb wirst du von offizieller Seite keine nützlichen Informationen erhalten", stellte Symmes fest. Lebensmittelverbrecher mal beiseite, Symmes erwähnte, dass es auch positive Entwicklungen in der Essensszene von Havanna gibt. Die Zahl der privat betriebenen Restaurants, den paladares, die sich oft in den Wohnungen der Betreiber befinden, steigt stetig an, seit die Regierung die Einschränkungen des Privatbesitzes im Jahr 2010 lockerte. Die Konkurrenz zwang paladar-Besitzer dazu, leckeres Essen anzubieten—etwas, das in kubanischen Restaurants in den letzten Jahrzehnten eher eine Seltenheit war.

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Ein paar davon, vermutete ich, mussten auch Rindfleisch anbieten. Während ich versuchte herauszufinden, wie viel des kubanischen Rindfleischs aus den USA kommt, stieß ich auf einen Bericht der US International Trade Commission (die Internationale Handelskommission der Vereinigten Staaten), in dem stand, dass die amerikanischen Exporte steigen würden, wenn kubanische Beamte das Rindfleisch inspizieren dürften. Was auch immer für Fleisch sie von den USA kaufen, so scheint es, wird ohne vorherige Inspektion gekauft. In dieser Geschichte gab es einige Ungereimtheiten und sie führte mich schließlich an einem sonnigen Morgen im Juni in die Cafetería 5ta y A in Havanna.

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In die Cafetería 5ta y A gehen die Kubaner, um Burger zu essen. Touristen kommen hier nicht her. 5ta y akzeptiert keine CUCs, die umwandelbare Währung, die alle Besucher verwenden müssen und die Teil des absurden zweigeteilten Wirtschaftssystems des Landes ist. Hier akzeptieren sie nur pesos, die auf einen 25,5 Mal niedrigeren Wert als CUCs geschätzt werden.

Das durchschnittliche kubanische Einkommen liegt bei 471 pesos, knapp unter 16 Euro pro Monat. Der Rindfleischburger kostet hier zwei Euro, er ist also unverschämt teuer, aber es ist eines der wenigen Lokale in Havanna, in denen du einen Burger kriegst, egal wie viel er kostet. Chickenburger stehen ebenfalls auf der Karte, obwohl die meisten Leute hier Burger aus gehacktem Schweinefleisch für 25 pesos, also 80 Cent, bestellen, was immer noch eine beträchtliche Summe für den durchschnittlichen Bürger ist, aber machbar für jeden, der einen netten Verwandten in Miami hat. Die, die sich ein Essen in der 5ta y A leisten können, haben also einen Weg gefunden, ihre Lebensmittelrationen der Regierung mit ein bisschen Geld, das sie auf die Seite gelegt haben, aufzustocken. Diese Leute gehören ziemlich sicher zu den zwei Dritteln der Kubaner, denen jährlich insgesamt um die 2,7 Milliarden Euro von ihren Familienmitgliedern im Ausland überwiesen wird.

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Als ich ankomme, sitzen schon einige Einheimische mit ihrem Mittagessen auf der Terrasse. Mir kommt es noch ein bisschen früh für Burger vor, aber Kubaner lieben Fleisch und die 5ta y A bietet ihnen, was sie wollen.

Eine Kellnerin führt mich an einem Schild vorbei, auf dem „Especialidad Hamburguesas Caseras" steht, hinein in den grünen Garten, der direkt an die Küche angeschlossen ist. Dort treffe ich die Besitzer, Alberto und Ivan Alonso, zwei dickbäuchige Brüder Mitte 40. Sie und ihre Familie wohnen hier, in den Räumen über und hinter dem Restaurant.

Mein Kontakt2 erklärt ihnen, dass ich ein Journalist bin, der mit ihnen über Rindfleisch in Kuba sprechen möchte. Die Brüder reden kurz miteinander. Es macht den Eindruck, als würden sie sich streiten, aber es könnte sein, dass sie auch einfach nur laut sprechen. „Ay, qué calor," sagt ihre Mutter, Mirta, die sich im Schatten Luft zufächelt.

„OK," sagt Alberto schließlich, unter einer Bedingung: „Keine Politik, nur Essen."

No problemo", antworte ich, in meinem hablo-poquito Spanisch, obwohl mir klar ist, dass die Unterhaltung trotzdem ins politische abgleiten wird, wie alles zwangsläufig in Kuba.

Alberto stellt mir die erste Frage, von der er die Antwort schon kennt. „Essen die Amerikaner viel Junk Food?"

„Na klar", antworte ich und lächle. „Und die Kubaner?"

„Kubaner essen das, was es gibt!", sagt er und lacht dabei laut.

Er hat natürlich recht. In Kuba wird nicht genügend Essen produziert, um das eigene Land zu ernähren, also sind die Kubaner auf importierte Waren angewiesen. Das ist eine besonders frustrierende Lage, wenn dein nächster Nachbar der größte Konsummarkt der Welt ist und sich weigert, im Gegenzug Waren aus deinem Land zu importieren, weil ihr eigentlich Feinde seid. Während der Sowjetzeit war alles noch einfacher, aufgrund der Förderungen aus Moskau an Kuba, das im Grunde ein tropischer Satellitenstaat war. Nach der Auflösung der UdSSR im Jahr 1991 erlitt Kuba eine zehnjährige Wirtschaftskrise, die beinahe zu einer Hungersnot führte, von dem sich das Land immer noch nicht ganz erholt hat.

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Während der sogenannten Sonderperiode in den 90er Jahren war die Lage dermaßen drastisch, dass manche Leute ihre croquetas mit kleinen Stücken Putzlappen, mit denen sie den Boden geputzt hatten, als Füllung zubereiteten. Es wurde berichtet, dass Kondome eingeschmolzen wurden und als „Käse" auf Pizzas landeten. Katzen und Hunde verschwanden regelmäßig.3 Hackfleisch wurde aus zerriebenen Schalen von Kochbananen hergestellt. Die Behörden empfohlen, panierte und frittierte Stücke Grapefruitschale als Ersatz für Steaks zu verwenden.

Laut der Alonso-Brüder haben die Kubaner heute Zugang zu einer größeren Auswahl an Lebensmitteln, aber trotzdem essen sie hauptsächlich Reis und Bohnen mit etwas Schweinefleisch und Huhn. Die Alonsos spezialisieren sich im 5ta y A auf Burger, weil sie sich sicher waren, dass das gut ankommen würde. „Comida chatarra—Junk Food—hat hier eine lange Tradition", erklärt Alberto. „Vor der Revolution 1959 gab es einen beliebten Snack, der fritas hieß—Chorizo und gehacktes Rindfleisch im Brot, es war eine Art kubanischer Hamburger." 4

Während wir uns unterhalten, steht Ivan plötzlich auf und geht zur Tür, wo er einen Lieferanten begrüßt, der von der Straße mit einem Sack Zwiebeln in den Händen hereinkam.

„Sind das kubanische Zwiebeln?", frage ich.

„Ja, die sind unterernährt", sagt der Verkäufer mit einem halbherzigen Lächeln.

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Mein Kontakt erzählt mir, dass es normal ist, dass Leute mit ihren Produkten von Tür zu Tür gehen und versuchen Fleisch, frische Meeresfrüchte oder Schildkrötenfleisch zu verkaufen. In Kuba werden oft Dinge gekauft, von denen keiner so genau weiß, woher sie kommen. Die Leute hier tun alles, um zu überleben, deshalb sind Gelegenheitsdiebstähle relativ häufig. Kriminelle kommen dir auf der Straße immer näher und wollen dir entweder etwas entwenden oder dir etwas verkaufen, das sie woanders entwendet haben. Die Kubaner haben sogar ein Wort für die Fähigkeit, bei ihren Jobs Dinge unbemerkt mitgehen zu lassen, die sie dann wieder weiterverkaufen, um ihren Grundlohn ein bisschen aufzubessern: búsqueda. Raúl Castro beschwert sich über die „Faulheit und den Hang zum Stehlen" unter seinen Landsleuten, aber durch diesen Hang halten sie sich über Wasser.

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Als Ivan zurückkommt, nachdem er den Sack Zwiebeln in der Küche abgestellt hat, kommen wir wieder auf das Thema der Burger zu sprechen. „Wie viel Prozent eurer verkauften Burger sind Rindfleisch und wie viel Huhn?", frage ich.

„60 Prozent sind Rindfleisch", sagt Ivan, „und 40 Prozent Schweinefleisch."

Mirta, seine Mutter, deutet ihm, er solle still sein. Sie beraten sich ganz kurz. Ivan dachte, meine Frage wäre, wie viel Prozent der Rindfleischburger auch wirklich aus Rindfleisch bestehen. Es sind nicht mal alle aus reinem Rindfleisch; so knapp ist Rindfleisch in Havanna.

„90 Prozent der Burger, die wir verkaufen, sind Schweinefleisch", stellt Mirta klar, „und jeweils fünf Prozent sind Huhn und Rindfleisch."

„Wo kauft ihr euer Rindfleisch?", frage ich.

„Auf den Märkten", antwortet Ivan.

„Aber dort gibt es kein Rindfleisch", wirft mein Kontakt ein. „Das letzte Mal, dass ich echtes Rindfleisch in Havanna sah, das verkauft wurde, war vor vier Monaten. Es kostete 50 CUCs pro Kilo."

50 CUCs pro Kilo (fast 45 Euro) ist überall auf der Welt ein saftiger Preis, aber besonders an einem Ort, wo er mehr als einem Monatslohn des durchschnittlichen Bürgers entspricht.

„Und wir reden hier nicht von trocken gelagertem Premium-Rib-Eye-Steak", präzisiert sie. „Ganz normales Rindfleisch."

„Auf welchen Märkten kauft ihr euer Fleisch?", frage ich bei den Alonsos nach. Die Brüder sprechen in enormer Geschwindigkeit miteinander.

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„Sie wollen wissen, ob du für McDonald's arbeitest", übersetzt mein Guide.

„Was?", rufe ich verwirrt. „Gibt es hier überhaupt einen McDonald's?"

„Nein, die sind hier natürlich verboten", antwortet sie.

„Klar", antworte ich und fühle mich wie ein Idiot, dass ich gefragt habe.

Mirta und ihre zwei Söhne mustern mich von unten bis oben mit zusammengekniffenen Augen und versuchen, meine Motive herauszufinden, weil sie mich verdächtigen, ein Spion des Feindes zu sein.

„Es ist auch gut so, dass es hier keine McDonald's gibt", schnaubt Mirta mit abgewendetem Blick.

„Ich mag McDonald's nicht", fügt Alberto hinzu, mit einem Hauch von Groll in seiner Stimme.

„Ja, ich auch nicht", stimme ich zu, um ihnen zu versichern, dass ich kein McDonald's-Spion bin—etwas, von dem ich mit gutem Gewissen sagen kann, dass ich noch nie als solcher beschuldigt wurde. Ich tippe mit meinem Stift und meinem Schreibblock, um sie daran zu erinnern, dass ich Journalist bin. „Ich frage mich, wo man hier Rindfleisch kaufen kann und woher dieses Fleisch kommt."

Mirta zuckt mit den Schultern, zieht ihre Augenbrauen nach oben und macht eine Geste mit ihren Armen, die mir ein „Nicht mein Problem" vermitteln soll. Sie wirken jetzt paranoid, ein Konkurrent vielleicht, der ihr Verhältnis von Rind- zu Schweinefleisch rausfinden will. Oder so etwas in der Art.

„Kommt das Rindfleisch aus den USA?", frage ich.

Sie wissen es nicht, oder wollen es nicht verraten. „Es hat keine Verpackung", meint Ivan. „Du kaufst es einfach als Fleisch."

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Am Ende weigern sie sich, mir zu verraten, woher sie ihr Rindfleisch beziehen. „Du musst dich umsehen", ist der einzige Rat, den sie mir geben. Mirta hingegen beendet das Interview mit einem 15-minütigen Monolog über die Bedeutung des Sozialismus. Was die Kubaner wollen, sagt sie mit immer heiserer werdender Stimme, ist, dass die Armen besser leben und die Reichen nicht so reich sind. (Sie spuckt fast, als sie das abscheuliche Wort „rico" ausspricht.) „Die anderen Länder sollten den USA sagen, dass sie die bloqueo auflösen sollen", verkündet sie mit erhobenem Finger. „Wir wollen Milch für unsere Kinder, mehr Körner, mehr Getreide. Hebt die Blockade auf und lasst uns weiterhin an die Gleichberechtigung glauben, wie bisher."

Während Mirta ihre Rede fortsetzt, frage ich mich: Was wäre, wenn McDonald's wirklich nach Kuba käme? Was würde mit einem Lokal wie 5ta y A geschehen? Der private Sektor mag zwar wachsen, aber Castro ist bedacht darauf, den Unternehmen nicht zu viel Freiheit zuzusprechen, aus Angst, die Vormachtstellung der Regierung in allen Lebensbereichen könnte dadurch geschwächt werden. Ausländischer Besitz ist in Kuba immer noch riskant, weil es nichts gibt, was die Regierung davon abhalten könnte, unangekündigt und vom einen Moment auf den anderen die Kontrolle über ein Unternehmen zu übernehmen. Die heutigen Machthaber sind dieselben comandantes, die alle Unternehmen, die nicht in kubanischem Besitz waren, nach der Revolution zuerst enteigneten und schließlich verstaatlichten.

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Als mir Mirtas Designerhandtasche auffällt, wird mir klar, dass es den Alonsos besser geht, als der durchschnittlichen kubanischen Familie. Die meisten können sich keine Burger leisten, manche schon. Umso mehr Geld aus dem Ausland geschickt wird, umso mehr Burger werden verkauft.

Und der Gewinn, der in Lokalen wie diesem erwirtschaftet wird, landet schlussendlich—nachdem der Staat kräftig Steuern dafür kassiert hat— in den Taschen der Besitzer. Sozialismus ist ein schönes Ideal, aber es gibt ganz klar verschiedene Statusebenen auf dieser utopischen Insel. Kuba ist mit Sicherheit nicht kommunistisch im romantischen Sinne eines Orts, an dem alles fair unter der gesamten Bevölkerung aufgeteilt wird. Es ist viel mehr wie Osteuropa in den 70er Jahren, ein Ort, an dem Leute mit Trabbis herumfahren und gezwungen werden, das eine zu sagen, während sie nach dem anderen leben. Ein Ort, an dem sie sich ständig Sorgen machen müssen, für die mageren Zuschüsse in Schwierigkeiten zu geraten, die sie sich inmitten des Chaos um sie herum erhaschen konnten.

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Ich probierte keinen von den Burger der Alonsos (obwohl ich es ein bisschen bereue, den Chickenburger mit Erdbeeren und Frischkäse für 1,60 Euro nicht gekostet zu haben), aber nach meinem Besuch im 5ta y A, mache ich mich auf dem Weg zu einem Bauernmarkt in der Nähe auf der Suche nach Rindfleisch. Es stellt sich heraus, dass der 19 y B-Bauernmarkt in Vedado so eine große Auswahl wie der Greenmarket am Union Square in New York im September hat. Die Stände sind voll von Karotten, Roter Bete, Auberginen, scharfer Pepperonis, Wachteleiern, Mais, Hülsenfrüchten, Gurken, Kochbananen, Kohl, Kräutern, Yuca—ganz zu schweigen von den Haufen Papayas, Kokosnüssen, Guaven, und vieles mehr. Es gibt kein Rindfleisch, aber ich bleibe trotzdem kurz, um die historischen Gemüsesorten zu begutachten, die in den meisten angesagten Farm-To-Table-Küchen auf dieser Welt verwendet werden.

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Meine Führerin findet es lustig, dass ich von der Auswahl so überwältigt bin. „Den Kubanern ist Gemüse ziemlich egal", erzählt sie mir. „In den 80ern und 90ern gab es so wenig Gemüse, dass die Leute es nicht mehr mögen." Eine Aufklärungskampagne ist derzeit im Gange, um den Kubanern zu vermitteln, dass eine gesunde Ernährung wichtig ist. Fidel Castro hat in den letzten Jahren versucht, den Moringa-Konsum, ein Wurzelgemüse, unter der Bevölkerung zu fördern. „Statt Rindfleisch oder Milch kannst du frittierte Moringa oder Moringacrème essen", erklärte mir mein Kontakt. „All unsere Ernährungsbedürfnisse können mit Moringa gestillt werden, behauptet Fidel beharrlich. Er will, dass unsere Gesellschaft auf Moringa aufbaut."

Die Idee ist aber nicht so gut angekommen—die Kubaner lieben Fleisch einfach viel zu sehr. Dies wissend, bin ich beruhigt zu sehen, dass es auf dem Markt auch reichlich Fleisch gibt. Keines davon ist jedoch eingekühlt und es wimmelt von Fliegen in der tropischen Hitze. Der Anblick ist nicht unbedingt das, was in den USA oder Europa als hygienisch gelten würde—obwohl die Bedingungen für die Tiere zugegebenermaßen in den westlichen Schlachthöfen der industriellen Massentierhaltung auch nicht besonders schön sind. „Die kubanischen Lebensmittelsicherheitsstandards sind unglaublich niedrig", warnte mich Symmes am Telefon. „In der Fleischabteilung bei diesen Märkten liegt das Fleisch und die Kadaver einfach auf dem dreckigen Boden."

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Ich beobachte, wie Schweineschultern in einer rostigen, alten Schubkarre vorbeirollen. Fast alles Fleisch, das auf dem Markt verkauft wird, ist Schwein, und ganz wenig Lamm. „Gibt's auch Rindfleisch?", frage ich einen Metzger.

„Auf keinen Fall", antwortet er. „Nie."

Als ich zum nächsten Stand weitergehe, kommt ein Mann auf mich zu und flüstert mir „papas, papas" zu.

„Was will der?", frage ich meine Übersetzerin.

Quiere papas?", flüstert der Mann, diesmal lauter.

„Nein, nein", greift sie ein. „Der Typ versucht dir, Schwarzmarkt-Kartoffeln zu verkaufen."

„Schwarzmarkt-Kartoffeln?"

„Es ist illegal, auf diesen Märkten Kartoffeln zu verkaufen", sagt sie. „Weil die Regierung den Handel mit Kartoffeln kontrolliert. Alle Kartoffeln sind in Regierungsbesitz." Sie sollen in den Restaurants des Staates landen und dürfen deshalb nicht auf Märkten verkauft werden. Der einzige Weg, an Kartoffeln zu kommen, ist über den Schwarzmarkt." Während wir uns unterhalten kommt ein weiterer Mann zu uns herüber und fragt, ob wir Interesse an camarónes haben.

„Schwarzmarkt-Shrimps?", frage ich sie.

„Genau. Shrimps sind auch perdido."

Ich sehe den Mann an und schüttle den Kopf, der schon bereit ist, in seinen Trenchcoat zu greifen und ein paar Krabben rauszuholen, wie du es mit gefälschten Uhren machen würdest. Er spürt unser Desinteresse und versucht es mit anderen Waren: „Quiere pescado? Langosta? Papas? Papas?" Als wir es im klar und deutlich machen, dass wir nichts kaufen wollen, schleicht er wie ein Drogendealer weg und sucht sich das nächste Ziel. Dann fällt mir auf: Wenn er erfolgreich ist, hat er genug Geld, um sich ein paar Burger zu kaufen.

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Das ist kein Ausnahmefall, so funktioniert Kuba. In diesem Land gibt es eine florierende Schattenwirtschaft. Wegen búsqueda findest du alles auf dem Schwarzmarkt, was es in Hotels gibt. „Das Essen kommt in die Lagerhallen und einen Teil wieder zur Hintertür hinaus", erzählt mir mein Kontakt. „Ein Teil davon wird immer abgezweigt. Der Schwarzmarkt ist riesig und du kannst hier eigentlich alles kriegen, was du willst, wenn du nur weißt, wen du fragen musst."

„Sogar Rindfleisch?"

„Sogar Rindfleisch."

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An diesem Abend esse ich in einem ganz neuen paladar, in dem einige Gerichte mit Rindfleisch auf der Karte stehen. El Cocinero befindet sich in einer Fabrikshalle aus Backstein—eine ehemalige Erdnussölfabrik mit einem riesigen Schornstein, der im Licht der Dämmerung hervorragt—die auch in Brooklyn stehen könnte. Der Besitzer, Sasha Ramos, hat einen langen Bart wie Fidel und eine Hipster-Brille mit dickem Rahmen auf. Er erzählt mir, dass ihr Rindfleisch aus Kuba stammt und dass es dem Restaurant geliefert wird. „Um ehrlich zu sein, hat das Rindfleisch hier in Havanna nicht die beste Qualität. Aber wenigstens ist es Rindfleisch", meint er mit einem Schulterzucken. „Wenn du es richtig zubereitest …" Er hat recht: Die Rindfleischgerichte im El Cocinero sind genau das: akzeptabel, aber nichts besonderes. (Die Gerichte mit Meeresfrüchte hingegen sind ausgezeichnet.)

Nach El Cocinero habe ich ein spätes Treffen mit einer Auslandskorrespondentin eines internationalen Medienkonzerns. Sie bittet mich, ihren Namen nicht in der Story zu nennen, aber sie stimmte einem Interview unter der Bedingung zu, dass sie anonym bleibt. „Rindfleisch ist in Kuba sehr schwer zu kriegen", erzählt sie mir. „Aber die Kubaner wollen nichts mehr. Es gibt häufig Berichte von Kühen [Ochsen werden in der Landwirtschaft statt Traktoren eingesetzt], die heimlich auf die Autobahn gedrängt werden. So können die Bauern sagen, dass sie „eines natürlichen Todes" gestorben sind und dann dürfen sie sie legal essen."

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Wir treffen uns im La Pachanga—Kubas berühmtestes Fast-Food-Lokal. Ein Burger hier (aus reinem Rindfleisch, wurde mir versichert) kostet über 3 Euro, der durchschnittliche Wochenlohn eines Kubaners. Genau wie bei schickeren paladares und staatlichen Restaurants können sich das Essen dort nur Leute leisten, die Zugang zu harter Währung haben: Ausländer, paladar-Besitzer, Kubaner, die aus unerklärlichen Gründen reich sind oder die glücklichen Empfänger von Geld aus dem Ausland.

Der Kellner erzählt uns, dass die Burger aus kanadischem Rindfleisch gemacht werden. „Wir kaufen das Rindfleisch am Stück und zerkleinern es dann hier im Haus", teilt er uns mit. Ich bestelle den Burger des Hauses, zwei Rindfleisch-Pattys mit einem Spiegelei, Käse und Speck. Es gibt hier sogar Cristal Bier. (Nichts ist perdido, für die, die CUCs haben). Die 2,5 cm dicken Pattys und der Belag sind in ein altes Brötchen gepackt. Er ist höher als der durchschnittliche amerikanische Burger und der obere Teil fällt runter, als der Kellner den Teller auf den Tisch stellt. Ich drücke alles wieder zusammen, hole tief Luft und beiße rein. Der Pachanga-Bacon-Cheeseburger schmeckt ganz gut, nicht gerade ein außergewöhnlicher, himmlischer Gourmet-Burger, aber durchaus zufriedenstellend, auch mit der unterschwelligen übersüßen, künstlichen Note, die Gewürze aus antikapitalistischen Ländern meistens haben.

Als wir unsere Burger fertig gegessen haben, wird mir klar, dass die Hälfte der Freude im Nervenkitzel liegt, weil du weißt, dass du etwas möglicherweise Gefährliches tust, wie wenn du Ketamin nimmst, dass du vom Freund deiner jüngeren Schwester abgekauft hast. „Mir wird hier vom Essen immer schlecht", erzählt mir die Korrespondentin. „Immer wenn Medienevents stattfinden, trifft sich die ausländische Presse und vergleicht, wie schlimm ihr Diarrhö ist. Aber das Essen hier im Pachanga ist OK. Es gab auch mal Burger in einem Lokal, das Burgui hieß. Die waren grauenvoll. Das ist mittlerweile geschlossen."

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„Glaubst du, dass sie dort amerikanisches Fleisch verwendeten?", fragte ich und erwähnte die mangelnden Kontrollen.

„Könnte sein. Ich weiß, dass man brasilianisches, uruguyaisches und kanadisches Fleisch kriegen kann—und Fleisch aus den USA. Aber ich habe keine Ahnung, wo das Fleisch hingelangt."

„Wäre es möglich, dass das amerikanische Rindfleisch für das Geschäft mit den Touristen vorgesehen ist?"

„Ja", räumt sie ein, „aber vergiss nicht, dass alle Restaurants hier für Touristen sind. Jedes einzelne. Echte Kubaner können hier nicht essen, oder in einem der paladares. Das können sie sich nicht leisten."

„Essen die Kubaner überhaupt jemals Rindfleisch?"

„Kaum. Obwohl, in diesen Tuben mit gehacktem Fleisch, Soja und anderen Zusätzen auch Rindfleisch drin ist. Sie heißen picadillo— mysteriöses, gehacktes Fleisch. Du willst wirklich nicht wissen, was da drin ist."

„Wie schmeckt es?"

„Oh Gott, ich würde es niemals essen—obwohl es unter den Kubanern sehr beliebt ist. Einige Expats verwenden es, um ihre Hunde zu füttern, weil es hier kein Hundefutter gibt. Sie vermischen es mit Yamswurzeln und geben es ihren Hunden. Ich habe es einmal gekocht. Das ganze Haus stank dermaßen, dass ich mich fast übergeben musste."

Das Problem mit den kubanischen Restaurants liegt darin, dass es für die Köche unglaublich schwierig ist, eine verlässliche Quelle für anständige Zutaten zu finden", sagt Tyler Wetherall, Autor von Our Girl in Havana, einer Kolumne in der Huffington Post über Reisen in Kuba. „Wenn du auf der Suche nach dem ultimativen kubanischen Essenserlebnis bist, solltest du in eines dieser Take-Away-Lokale, cajitas, gehen, die oft nicht mehr als ein Loch in einer Wand sind. Dort bekommst du eine kleine Kartonbox mit Kochbananen, Reis, Bohnen und Schweine- oder Hühnerfleisch. Das einzige ist, dass es möglicherweise auf deinen Magen schlägt. Ich hatte definitiv die übelsten Gerichte meines Lebens in Havanna. Die Qualität kann wirklich miserabel sein. Ich hatte schon Essen vor mir, von dem ich mir sicher war, dass ich es nicht essen sollte."

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Wetherall empfiehlt mir, ein weiteres paladar, Casa Miglis, zu besuchen, das für seine schwedischen Fleischbällchen bekannt ist. (Der Besitzer, Michel Miglis, ist ein schwedischer Migrant, was auch erklärt, wieso sein Restaurant Zutaten wie „Preiselbeeren aus den tiefsten schwedischen Wäldern" verwendet.) Als ich dort vorbeischaue, ist Enrique Ramón,5 Miglis' Lebensmitteleinkäufer, zufällig anwesend—und er erzählt gerne, wie er zum Rindfleisch für die Fleischbällchen des Restaurants kommt. Ramón ist ein schlauer Kubaner mit leiser Stimme. Für kubanische Gastronomen ist es sehr wichtig, einen guten Einkäufer zu haben, weil die Beschaffung so eine Herausforderung darstellt. In jeden entwickelten Land würde er als wichtiger Mitarbeiter eines erstklassigen Restaurants wie diesem in einem schicken Anzug auftreten. Stattdessen trägt er ein schäbiges T-Shirt und Shorts.

„In Kuba nennen wir Rindfleisch oro rojo—rotes Gold", sagt Ramón zu mir. „Der Staat kontrolliert den Verkauf von Rindfleisch und obwohl die Kubaner es so gerne mögen, ist es für sie einfach nicht erhältlich, was so bedauernswert ist."

„Wieso ist es dann für die paladares erhältlich?", frage ich.

„Als paladar haben wir die finanziellen Mittel—die CUCs—und die Bedingungen, es legal zu kaufen", erklärt Ramón. „Trotzdem ist es nicht einfach. Wir wollen hochwertiges Fleisch—aber gute Qualität ist nicht leicht zu finden."

„Ist nicht jede Art von Rindfleisch schwer zu finden?", frage ich.

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„Das stimmt", antwortet er mit einem gezwungenen Lachen, „aber carne de segundo (zweitklassiges Fleisch) ist leichter zu finden, als carne de primero (erstklassiges Fleisch)." Ramón bietet mir an, mich dahin mitzunehmen, wo er sein Rindfleisch einkauft. Er weiß nicht genau, wo das Fleisch mit den Qualitätsunterschieden herkommt, weil er es aus der Fleischabteilung eines großen Supermarkts kauft. Der Supermarkt heißt Centro Comercial Palco. Er wird vom Militär betrieben. Ramón erzählt mir, dass Sonntage normalerweise gut sind, um an Rindfleisch zu kommen, also einigen wir uns darauf, am nächsten Tag dorthin zu fahren.

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Warum ist Rindfleisch in Kuba so eine Rarität? Es ist wirklich erstaunlich, besonders wenn man daran denkt, dass es im Jahr 1959, vor Castros Revolution, mehr Kühe als Menschen auf Kuba gab. Mehr als 6 Millionen auf eine Bevölkerung von nicht ganz 6 Millionen, laut John Parke Wright IV, einem Händler aus Florida, der Rinder nach Kuba verkauft. Seine Familie—Besitzer der Lykes Ranch, eine der größten Rinderfarmen in den USA—tätigt schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts Geschäfte mit Kuba.

„Kuba hatte früher die größten und produktivsten Rinderfarmern in der westlichen Hemisphäre", erzählt mir Wright, als ich ihn in seinem Zuhause in Naples, Florida anrufe (was so nahe an Kuba ist, sagt er, dass er „in einer klaren Nacht mit einer guten Zigarre" fast schon Havanna von seiner Veranda aus sehen kann.)

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„Was ist aus dieser großen Rinderfarm-Tradition geworden?", frage ich ihn.

„Sie haben alle Kühe gegessen", antwortet er.

Ich lache, weil ich denke, es wäre ein Scherz. „Nein, das war wirklich so", beharrt er. „Vor ein paar Jahren fragte ich einen von den comandantes der Revolution, was schief gelaufen war. Er sagte: ‚Schau, wir hatten Hunger, wir waren jung—wir haben sie gegessen.'"

In den 1970ern und 80ern halfen die Sowjets den Kubanern, den Rinderbestand mit Holstein-Rindern wieder aufzustocken. Diese mussten mit Getreide gefüttert werden, aber zusammen mit der UdSSR brach auch der Getreideimport ein. Das Gras der kubanischen Weiden war für die Rinder zum Überleben nicht genug und der Großteil des Viehs—zehntausende von Kühen—verendete auf den Weiden.

So viele Kontakte Wright auch haben mag, auch er weiß nicht genau, wie viel Rindfleisch die USA exportiert. Kann er mir zumindest einen Richtwert geben? „Poco poco", sagt er. In den letzten Jahrzehnten sei die Zahl kontinuierlich geschrumpft, fügt er hinzu, aufgrund umständlicher Handelsbedingungen und extrem hohen Preisen. In Wrights Augen ist der Hauptgrund, warum Rindfleisch hier so schwer zu kriegen ist, der Preis. „Es ist für Kuba schon schwierig genug, die menschliche Bevölkerung zu ernähren", fasst er zusammen, „ganz zu schweigen von den Tieren. Unterm Strich bedeutet das, dass sich die Leute kein Rindfleisch für acht bis zehn Euro pro Kilo leisten können …"

Ich unterbreche ihn, um ihn darauf hinzuweisen, dass Rindfleisch hier in den Geschäften für bis zu 45 Euro verkauft wird. „Was? Das ist aber nicht in Ordnung", ruft er, nachdem er kurz darüber nachgedacht hat. „Das muss sich ändern. Es wird sich so vieles ändern. Das lässt sich nicht vermeiden."

Das waren auch die Worte eines erfolgreichen Restaurantbesitzers, mit dem ich mich an einem Abend mit ein paar Gläsern Rum und Zigarren unterhielt. Wir saßen zusammen in einem leicht heruntergekommenen paladar, von dem aus wir auf die apokalyptische Landschaft von fensterlosen, von Hurricances zerstörten Häusern blickten. Wie die meisten der Leute, die ich in Kuba traf, war er sehr großzügig und wie viele von ihnen bat er mich, seinen Namen nicht zu erwähnen. „Kuba steht vor einer Veränderung," sagte er und fügte hinzu, dass er sich wünscht, dass Kuba ein demokratisches Land wird, das mit dem Rest der Welt Waren handelt. Als ich seine Worte aufschrieb, bestand er darauf, dass ich ihn in keinem Fall mit diesem Zitat in Verbindung bringe. „Wir leben in einer Diktatur, schon vergessen?", wies er ich mich darauf hin und bot mir im selben Zuge noch ein Glas Rum an.

Seine Aussage kam mir recht harmlos vor—aber die Angst, die ich in dieser Nacht in seinen Augen sah, eine Angst, auf die ich immer und immer wieder während meiner Recherchen für diesen Artikel stieß, war eine vorsichtige Erinnerung daran, dass Kuba immer noch ein Teil der Welt ist, in dem man nicht offen über Demokratie oder Freiheit sprechen kann. Die Revolutionäre und Freiheitskämpfer hatten scheinbar ihr Volk von den Fesseln der Unterdrückung und der Reichshauptstadt befreit. Trotzdem ist Kuba heute, 55 Jahre später, eine isolierte Insel-Autokratie, die Milliarden für Lebensmittel ausgibt, wovon der Großteil von seinem größten Feind stammt und mit einer verarmten Bevölkerung; und das, obwohl die Kubaner kostenlosen Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung haben. Die Kubaner sind befreit—so frei, dass ihnen das Reisen verboten wird, dass sie nervös werden, wenn sie ihre Meinung laut aussprechen, aus Angst vor Vergeltung vonseiten der Regierung, dass sie an Unterernährung leiden und so, dass sie nicht an ihr geliebtes Rindfleisch kommen.

In ihren Augen ist Moringa nichts im Vergleich zu bistec de palomilla. Kubaner beschreiben sich selbst als „fleischfressende" Leute; sie wollen Rindfleisch mehr, als jedes andere Essen. Noch trauriger aber, als die Versuche der Regierung, Steak durch Rinden von Früchten und Wurzelgemüse zu ersetzen, ist die Tatsache, dass es für die Kinder keine Milch gibt. Das passiert, wenn alle Kühe im Besitz der Regierung sind—und der Staat ein autoritäres Regime herrscht, dessen Guerrilla-Führer alle Kühe gegessen und ihre eigenen Gesetze geschrieben haben.

„Ohne Ideen ist das Leben sinnlos", sagte Fidel einmal. „Es gibt keine größere Freude, als sich in deren Namen abzumühen." Das ist ein wunderbarer Gedanke, aber den Kubanern werden unaufhörlich staatlich sanktionierte Steine in den Weg gelegt—von denen nur die wenigstens sinnvoll scheinen. Meinungsäußerung kann zur Hinrichtung führen; kein Wunder, dass du ins Gefängnis kommst, wenn du eine Kuh schlachtest. 53 000 Regimekritiker wurden allein im Jahr 2013 willkürlich in Haft genommen. Die, die im privaten Sektor zu erfolgreich sind, können immer noch zu einem Treffen mit Regierungsvertretern vorgeladen werden. Sie werden vor die Wahl gestellt: Das Unternehmen dem Staat übergeben oder ins Gefängnis zu kommen. Das ist la libertad in diesem Kafkaesken Nimmerland, ein Ort, an dem die Leute immer noch ihr Leben auf dem Meer riskieren, auf der Flucht vor dem, für das Fidel und Che damals so heldenhaft gekämpft hatten.

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Am Sonntag morgen erhalte ich die Nachricht von Enrique Ramón vom Miglis, dass er mich heute nicht auf die Rindfleisch-Expedition in den Supermarkt begleiten kann, also mache ich mich alleine auf den Weg ins Centro Comercial Palco. Die Fahrt führt mich durch die einst reiche, wunderschöne Nachbarschaft Miramar. In dieser Enklave befinden sich einige der ikonischsten Gebäude der Stadt, vom Karl-Marx-Theater bis hin zur außergewöhnlichen russischen Botschaft, ein gigantisches konstruktivistisches Bauwerk, das scheinbar wie ein Schwert aussehen soll, das in Amerikas Herz gestochen wird.

Der Supermarkt ist nicht besonders aufregend, eher wie eine tropische Version eines amerikanischen Supermarkts, aber mit einem eigenartigen Sortiment aus importierten Waren, französischem Comté bis hin zu spanischem Ribera del Duero Wein für 270 CUCs. In der Tiefkühlabteilung gibt es massenhaft Hähnchen aus den USA. Und in der Fleischabteilung, wo sich schon eine 10-minütige Warteschlange gebildet hat, werden auch einige Stücke Rindfleisch verkauft. Aus Kanada.

Wo ist also das amerikanische Rindfleisch? Während meiner gesamten Reise, habe ich nicht einmal nachweislich amerikanisches Rindfleisch gesehen. Es gibt nur zwei Orte, wo man es finden könnte: In den staatlichen Restaurants, die von den großen Hotels oder der Regierung betrieben werden (anders als die paladares, müssen diese Restaurants nicht im Supermarkt einkaufen gehen, sondern die Produkte werden ihnen direkt aus den Lagerhallen der Regierung geliefert) oder in bestimmten Tuben von Rindfleisch-picadillo. Obwohl die Tuben, die ich auf meinem Weg nach Hause in einem Laden in Miramar finde, Mexiko als Herkunftsland der Zutaten angibt.

Als ich mich an meinem letzten Abend in Havanna mit einigen meiner kubanischen Freunde unterhalte, weisen sie mich darauf hin, dass man nicht Rindfleisch in den kubanischen Restaurants vermeiden soll, sondern Hähnchen. Am Ende hatte Wright doch recht: Die USA verkaufen nur poco poco Rindfleisch nach Kuba. Der Grund, warum es so schwierig ist, Statistiken zu finden, ist, dass sie viel mehr gefrorenes Hähnchen als Rindfleisch exportieren. Jeder mit Internetzugang, sogar mit beschissenem 18-Euro-pro-Tag-WIFI im Hotel Nacional, kann ganz einfach herausfinden, wie viel amerikanisches pollo pollo Kuba importiert. Die Antwortet lautet: viel. Unglaubliche 600 Millionen Euro wurden in den letzten fünf Jahren dafür ausgegeben. Der Großteil davon stammt von Tyson Food, die größte Fleischproduktionsfirma der USA. Da ist also das Rindfleisch, wird mir plötzlich klar, als ich auf die endlosen Wellen blicke, die ihren Weg nach Norden zur Küste Floridas bahnen, 150 km und eine gesamte Ideologie entfernt.

  1. Ventura lebt heute „Off-the-Grid", behauptet er. Scheinbar in Mexiko, „damit mich die Drohnen nicht finden können und du nicht genau weißt, wo ich mich aufhalte."

  1. Sie bat mich, ihren Namen nicht zu erwähnen, weil ich ohne offizielle Bewilligung in Kuba als Journalist arbeitete und sie nicht in Schwierigkeiten geraten wollte, weil sie einem Undercover-Ermittler hilft. Als sie rausfand, dass ich nicht alle benötigten Papiere habe, dachte ich, sie würde gleich mit dem Wagen am Straßenrand anhalten und mich sofort dem nächsten Polizisten ausliefern. Erst als ich erklärte, dass ich schon zwei Mal in Kuba war und es nie zu irgendwelchen Vorfällen kam und sie daran erinnerte, dass ich über Essen—nicht über Politik—schrieb, konnte ich sie überzeugen, mir zu helfen.

3.Meinen Quellen zufolge passiert das immer noch.

4.In Miami gibt es immer noch in manchen Restaurants kubanische fritas, normalerweise als Hackfleisch-Patty mit einem Haufen Pommes in einem Brötchen getarnt.

5.Nicht sein echter Name.