Darum essen mein Bruder und ich Zahnpasta-Kuchen

Herzlich willkommen bei Stranger Than Flickton, unserer neuen, durch Flickr inspirierten Kolumne. Hier servieren wir unseren Autoren fünf zufällig ausgewählte und mit Essen in Verbindung stehende Flickr-Bilder und bitten sie dann darum, dazu in weniger als fünf Tagen eine Kurzgeschichte zu schreiben. Diese Woche steht ein ungleiches Paar auf unserem Speiseplan: Zahnpasta und Kuchen.

Eigentlich soll man ja keine Zahnpasta essen oder die Füße anderer Leuten lecken, aber mein großer Bruder Chick und ich haben es trotzdem immer gemacht und uns geht es beiden gut. Seine Lieblings-Zahnpasta ist schon immer R.O.C.S. gewesen, und zwar die Sorte „Grapefruit und Minze"—leider gibt es das Zeug nur so selten. Deshalb bleibt er inzwischen bei irgendeiner „Fresh Cool Mint"-Zahnpasta. Damit bin auch ich zufrieden.

Als ich letztes Jahr gelesen habe, dass einige Zahnpasta-Sorten „zu dekorativen Zwecken" jetzt kleine Polyethylen-Plastikplättchen enthalten, habe ich den Artikel gleich an Chick weitergeleitet. Wir fanden das beide sehr amüsant und haben ausgemacht, uns noch am gleichen Nachmittag zu treffen und in einer Drogerie nach einer solchen Zahnpasta zu suchen. Ich folgte ihm dort dann auf die Herrentoilette, wo wir uns gegenseitig vier Streifen der plastikhaltigen Paste von den Füßen des jeweils anderen leckten—eben wie in den guten alten Zeiten.

Ich sagte zu Chick: „Ich kann die kleinen Plastikteile auf meiner Zunge spüren und ich glaube, dass ich sie auch schmecke. Wie sieht's bei dir aus?"

„Natürlich nicht", antwortete er. „Das kann niemand. Ich schmecke nur die Minze und deinen ekelhaften Fußschweiß. Ob mein Fußschweiß schlimmer ist als deiner? Ich glaube schon!"

Chick fährt immer durch die ganze Stadt, um bei uns zu Abend zu essen. Dabei rülpst er und bläst das Ganze dann mit einem langen Strohhalm, den er ständig in seinem Jacket bei sich trägt, in das Glas Milch meines ältesten Sohns. Auf der Milch bildet sich immer eine hauchdünne Blase und das herzerwärmende Lachen meines sechsjährigen Sohns Bedros erklingt, wenn die wunderschöne Blase wieder zerplatzt. Die Unbeschwertheit und die Liebe, die Chick jeden Sonntag an unseren Esstisch bringt, sind immens wichtig. Sie sind alles was zählt, und ich bin wirklich froh, dass meine Frau das auch so sieht. Bis jetzt hat Chick noch nie auch nur einen Tropfen der Milch meines Sohns verschüttet. Aber weißt du, was passieren würde, wenn das doch einmal der Fall sein sollte? Dann würde die Welt auch nicht untergehen.

„Hey Bedros", sagt Chick immer. „Weißt du, wieso es schaffe, am Esstisch ganz schamlos in deine Milch zu rülpsen?"

Mein Sohn kennt die Antwort auf diese Frage inzwischen auswendig, aber er tut so, als wüsste er sie nicht. Ihm gefällt der verbale Tanz mit Onkel Chick.

„Wieso schaffst du es, in meine Milch zu rülpsen, Onkel Chick?"

„Weil ich Geld verdiene, Bedros. Männer, die Geld verdienen, dürfen sich mit ihrem Mund einiges rausnehmen—genauso wie Jungs mit guten Noten. Wie sieht's mit deinen Noten aus, Bed? Sind die auch so dreckig wie die Füße deines Vaters?"

„Meine Noten sind sehr gut, Onkel Chick."

„Meine Noten waren auch immer sehr gut, aber die deines Vaters waren sogar noch besser. Weißt du, wie man die Wörter ‚Raffinesse' und ‚Seiher' buchstabiert? Dein Vater wusste das sogar schon lange vor mir. Dein Vater ist mein bester Freund und der klügste Mensch, den ich kenne. Ist er dazu auch noch ein dummer Idiot? Ich glaube schon!"

In jungen Jahren liebte Chick Zahnpasta und Füße so sehr, dass er sowohl Zahnarzt als auch Fußspezialist werden wollte: ein Zahn-Podologe. Darüber philosophierte er immer stundenlang, wenn wir Mega Man oder Mike Tyson's Punch Out!! zockten.

„Ich werde meine beiden Abschlüsse in Zahnmedizin und Podologie in Kandiszucker oder Jarlsberg-Käse einrahmen lassen und sie dann mit Stahlnägeln an meinen Brüsten befestigen", sagte Chick immer. „Dann kannst du dabei zusehen, wie meine zwei baumelnden, in Zucker und Käse eingerahmten Zeugnisse wie Pendel hin und her schwingen, wenn ich die Straße entlanglaufe und dabei meine Arme weiter ausbreite, als der Gehweg breit ist. So finde ich dann auch meine ersten Kunden: durch charismatische und persönliche Werbung in Fleisch und Blut. Unterschätze niemals einen Marktschreier mit Selbstvertrauen. Wenn jemandem nicht gefällt, wie ich aussehe oder wie ich meine Geschäfte mache, dann kann sich derjenige verpissen. Sollen sie doch mal versuchen, einen günstigeren und besseren Dienstleister zu finden. Einen mit nicht so lecker eingerahmten Zeugnissen. Das wird ihnen nicht gelingen. Ich werde es mir zum Ziel setzen, den besten Service zum niedrigsten Preis anzubieten: Meine gut bezahlten Fachkräfte werden sich in Zweierteams deinem Gesicht und deinen Füßen widmen—und das zu einem günstigen Kurs. Du wirst meine Praxis nicht nur mit einem erfrischten Gefühl, sondern auch mit einem vollen Geldbeutel wieder verlassen. Das ist das Versprechen von Chicks Dental-Podologie. Wird das funktionieren? Ich glaube schon!"

Immer wenn Chick mit seiner Tagträumerei fertig war, hatte er auch Mike Tyson schon zum x-ten Mal KO geschlagen. Chick war normalerweise auch immer der Erste, der jedes Nintendo-Spiel durchgezockte.

Als Chick vor neun Jahren seine erste Filiale von Chicks Dental-Podologie eröffnete, feierten wir ihm zu Ehren eine Party und ich backte dafür meine ersten beiden Zahnpasta-Kuchen—einen mit Vanille und einen mit Schokolade. Ich mischte „Fresh Cool Mint"-Zahnpasta in die Vanille-Creme und schrieb dann noch mit der puren Zahnpasta oben auf den Kuchen Chicks Lieblingsspruch „ICH GLAUBE SCHON".

Es war eine dieser Partys, die so toll sind, dass jeder Gast irgendwie vergisst, Fotos zu machen. Das hier sind die einzigen Bilder, die ich von der Veranstaltung habe:

Dem Hund hat der Zahnpasta-Kuchen besser geschmeckt als den meisten Gästen. Natürlich hatte meine Frau für die Leute, die keinen Kuchen wollten, vorsichtshalber noch Erdbeeren zurechtgeschnitten. Die waren schnell weg. Dazu habe ich noch eine Art Joghurt-Keks-Lasagne zubereitet—den Joghurt hatten Chick und ich vorher so lange mit unseren Füßen umgerührt, bis er diese gelbliche Farbe annahm. Soweit ich mich erinnern kann, waren Chick und ich dann auch die einzigen, die etwas von diesem Dessert probiert haben.

Der Rest ist dann Geschichte: Inzwischen gibt es überall Chicks Dental-Podologie-Filialen und es werden ständig mehr. Wenn du dich dazu entscheidest, dich unserem Team als Auszubildender anzuschließen, dann wirst du sofort ein ordentliches Gehalt verdienen, mit dem du dir dein Leben so gestalten kannst, wie du willst. Wir werden alle zusammenkommen und Chick persönlich wird anlässlich deiner Anstellung eine große Party organisieren.