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Apple dichtet „Glaubensbekenntnis“—und das Internet schämt sich fremd

„Wir sind hier um Leben zu bereichern. Träumern dabei zu helfen, Macher zu werden, um die beste Arbeit in unserem Leben zu vollbringen" heißt es in dem pathetischen Gedicht, das fortan jeder Apple Store-Mitarbeiter verinnerlichen soll.
Foto: Imago

Zum Selbstverständnis von Apple gehört es schon seit einigen Jahren, unsere „Leben zu bereichern". Das altbewährte Credo „Enriching Lives" hat man nun im Rahmen der aktuellen Neu-Konzeptionierung der Apple Stores mit einem pathetischen Gedicht ausgeschmückt. Es richtet sich an die Heerschaar an Mitarbeitern der weltweit 479 Apple-Stores—die angehalten werden, eine handliche Kopie der Apple-Poesie in ihrem Portemonnaie stets bei sich zu tragen—wurde aber am Sonntag durch die Website MacRumors auch der Öffentlichkeit bekannt.

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„Wir sind hier, um Leben zu bereichern. Träumern dabei zu helfen, Macher zu werden, um dabei zu helfen, dass Leidenschaften das menschliche Potenzial erweitern, um die beste Arbeit in unserem Leben zu vollbringen. [….] Wir werden zu einem Ort, an dem jeder willkommen ist. Jeder. Wir ziehen Kraft aus unseren Unterschieden. […] Weil wir ein bisschen verrückt sind", heißt es in dem Gedicht.

Derlei Motivationsversuche sind nichts Neues in den Vertriebsabteilungen von US-Tech-Unternehmen, gehen aber auch gerne mal in die Hose, wie geleakte Beispiele von Gruppentänzchen bei Microsoft bereits in der Vergangenheit anschaulich demonstrierten.

Und während das an ein Gebet erinnernde Schriftstück, das ihr in ganzer Länge hier lesen könnt, eigentlich Apples Angestellte motivieren soll, erntet es nun vielerorts Spott und Häme unter all denen, die Apple schon seit jeher mehr als Sekte denn als Unternehmen betrachtet haben.

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Das Werk, dessen Verfasser bisher nicht bekannt ist, kommt nur wenige Wochen, nachdem ein ehemaliger Mitarbeiter eines britischen Apple Stores in einem Interview mit dem Business Insider enthüllte, wie er sein vierjähriges Angestelltendasein erlebt hatte. So sei ihm das Unternehmen als „sektenhaft" in Erinnerung, vor allem in der Zeit nach dem Tod von Steve Jobs: „An diesem Tag war alles sehr düster. Der gane Store trauerte „[…] Das Apple-Licht am Eingang jedes Stores war abgedunkelt. […] Es kamen jede Menge Leute in den Stores und fragten uns: 'Habt ihr schon von Steve gehört?'.

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Foto: Imago

Einige seiner Kollegen hätten sich außerdem verschuldet, um sich selbst Apple-Produkte leisten zu können. Eine Provision für verkaufte Produkte hätte dagegen niemand von ihnen bekommen. „Du kannst einen Apple-Vertrag über 100.000 Pfund verkaufen… und bekommst keinen Bonus, Kommission oder Beförderung", heißt in dem Artikel. Stress mit verärgerten Apple-Kunde habe es—bis zu Todesdrohungen—dagegen regelmäßig gegeben, zusätzlich zum Druck.

Während der dreimonatigen Probezeit sei von den Mitarbeitern trotzdem erwartet worden, eine gewisse Menge an Produkten zu verkaufen und eine gewissen „Attitüde" an den Tag zu legen. Gleichzeitig wurde der anonyme Ex-Apple-Mitarbeiter durch den Verweis auf die Exklusivtät seines Jobs unter Druck gesetzt: „In meinem Store, der nicht gerade klein war, gab es 200 Bewerber auf einen Job. Sie erzählten uns, dass es einfacher wäre, bei Harvard angenommen zu werden als einen Job in einem größeren Store zu bekommen."

Wesentlich unangenehmer dürfte für den Konzern allerdings die Tatsache sein, dass viele das spirituell angehauchte, inbrünstige Werk zum Anlass nehmen, nun alte Debatten um die tatsächlichen Arbeitsbedingungen in den Apple Stores und bei Apple-Zulieferer Foxconn wieder aufzugreifen—und das zwei Wochen vor der Präsentation des neues iPhone7, die von Apple-Fans (die in Anspielung auf den kultartigen Charakter des Unternehmers auch gerne als „Jünger" bezeichnet werden) sehnsüchtig erwartet wird.

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Chip.de verweist derweil zum Beispiel in Anspielung auf einen philanthropisch anmutenden Abschnitts des Gedichts („Wir geben mehr, als wir nehmen / Vom Planeten bis zur Person neben uns") auf die prekären Arbeitsbedingungen beim Apple-Zulieferer Foxconn, über die erstmals 2006 berichtet worden war: „Erzählt das mal dem Fließbandarbeiter bei Foxconn, der unter unmenschlichen Bedingungen eure völlig überteuerte Hardware zusammenschraubt", heißt es in dem Artikel.

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Apple war nach den damaligen Medienberichten über sklavenähnliche Beschäftigungsverhältnisse in den iPod-Fabriken von Foxconn, in denen teils über 100.000 Arbeiter auf engstem Raum zusammen leben und 15-stündige Schichten absolvieren müssten, öffentlich stark unter Druck geraten. Trotz interner Untersuchungen von Apple und daraus resultierenden strengeren Standards für seine Zulieferer gab es weiterhin kritische Berichte über die Arbeitsbedingungen in den Fabriken.

2010 geriet Foxconn, das neben Apple auch andere große Elektronikhersteller wie Dell, Motorola oder Nintendo beliefert, erneut in den Fokus der Medienberichterstattung. Über einen Zeitraum von zehn Monaten hatten sich insgesamt 14 Foxconn-Angestellte das Leben genommen. Die Selbstmorde, die viele auf die unmenschlichen Arbeitsbedingungen in den Fabriken zurückführten, gingen als „Foxconn Suicides" auch in die Firmengeschichte von Apple ein. Arbeits- und Menschenrechtsorganisationen wie China Labor Watch werfen derweil noch heute auch anderen Apple-Zulieferen wie Pegatron extrem schlechte Arbeitsbedingungen vor.

Auch im Heise-Forum spottete man angesichts des neuen Apple-Gedichts: „Muss das Credo jeden Morgen gebetet werden?". Allein die Tatsache, dass sich in Windeseile das Wort „Credo"—ein Begriff, der eigentlich einen Teil des christlichen Gottesdienst beschreibt— verbreitete, um über das Apples Motivationstext zu sprechen, zeigt, wie sehr der Firma der Ruf vorauseilt, eine Organisation mit religiösen Strukturen zu sein.

Ein anderer Nutzer zeigt sich enttäuscht von der technischen Expertise Apples und stört sich an der Zeile: „Wir sind hier, um die beste Arbeit unseres Lebens zu verrichten": „Wär schön, wenn das von den iOS-Entwicklern käme, denn bei dem, was die in letzter Zeit abliefern, ist der Rest nur noch Schadensbegrenzung."

Dieser letzte Kommentar dürfte bei Apple-CEO wohl nur ein müdes Lächeln hervorgerufen haben, twitterte er doch Anfang des Monats noch: „AppStore Entwickler haben nun über 50 Milliarden Dollar verdient! Glückwunsch zu eurem Erfolg und so genialer Kreativität." Zur Kritik am neuen Apple-Glaubensbekenntnisse hat er sich dagegen noch nicht geäußert.