Eine Ode an den Zeugwart

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unsichtbare helden

Eine Ode an den Zeugwart

Zeugwart sein ist viel mehr als nur Trikots waschen. Sie sind die gute Seele der Mannschaft und Psychologen, die auch schon mal mit Superstars wie Dennis Bergkamp DVD-Abende machen.

Irland hatte sich gerade gegen Bosnien-Herzegowina für die EM qualifiziert, als die Kabine von einem 60-Jährigen in Superman-Outfit gestürmt wurde. „Ich fahre nach Frankreich!", schrie der Mann mit Tränen in den Augen.

Der Mann war Dick Redmond, der nicht nur ein geschätztes Mitglied in den Reihen der irischen Nationalmannschaft ist, sondern auch einen genauso alten wie ehrwürdigen Job hinter den Kulissen im modernen Profifußball ausübt: Zeugwart.

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Auf den ersten Blick erscheint der Aufgabenbereich eines Zeugwarts klar definiert und auf sehr praktische Dinge begrenzt, die vor allem mit Wäschewaschen zu tun haben. Aber jeder, der schon mal eine Fußballerbiografie gelesen hat, weiß, dass eine andere, mindestens genauso wichtige Rolle weit über das rein Praktische hinausgeht: Teambuilding. „Zeugwarte sind essentiell", schreibt Roy Keane in seinem neuesten Buch. „Sie sind der Dreh- und Angelpunkt, eine Kontaktperson für fast jeden im Verein. Ein Zeugwart muss gut gelaunt und optimistisch sein. Du musst dich freuen, wenn du ihn am Morgen siehst."

Bücher von ehemaligen Fußballern können eine ganz schön ichbezogene Angelegenheit sein. Doch kommt der Autor auf den Zeugwart zu sprechen, wird er unweigerlich einen warmen und respektvollen Ton anschlagen. Häufig folgen dann Anekdoten aus der Kabine, bei denen es irgendwie immer auch um entblößte Genitalien geht. Denn: Zu den Pflichten eines Zeugwarts gehört auch, mit den infantilsten Zoten der Spieler klarzukommen.

In dieser Hinsicht gibt es eine passende Passage in Dennis Bergkamps meisterlicher Autobiografie Stillness and Speed, in der die Arsenal-Legende zum Besten gibt, wie seine Kollegen dem Gunners-Zeugwart Vic Akers vor den Augen weiblicher Zuschauer die Hosen runtergezogen haben.

Noch so eine „gute Seele" im modernen Fußball: Der frühere United-Zeugwart Albert Morgan | PA Images

Mindestens genauso aufschlussreich über die Rolle von Zeugwarten im Profifußball ist eine andere Passage aus dem Buch. Hier beschreibt Bergkamp detailliert, wie ihn Akers auf all seinen Auswärtsfahren quer durch Europa begleitet hat—im Auto, versteht sich, schließlich litt der Holländer unter extremer Flugangst. „Er unterhält dich und kocht für dich. Außerdem schaut ihr Filme zusammen und redet stundenlang miteinander. Er ist dein bester Freund im Verein."

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Die richtige Kabinen-Alchemie gehört zu den wenigen Dingen im Spitzensport, die man sich nicht einfach so erkaufen kann. Genau das macht den Zeugwart auch so wichtig.

Kevin Kilbanes Autobiografie kommt wiederholt auf einen anderen Zeugwart der irischen Nationalmannschaft, Johnny Fallon, zu sprechen. Kilbane beschreibt Fallon als große Stütze für die Mannschaft, als einfühlsamen Charakter, der für Kilbane als Schulter zum Anlehnen da war, als bei dessen Tochter das Down-Syndrom diagnostiziert wurde. Auch der frühere irische Nationaltrainer Brian Kerr erwähnt Fallon und findet, er war „mehr Sportpsychologe als Zeugwart". Damit spricht er vielen Fußballern und Trainern aus dem Herzen, was die Rolle der unsichtbaren Helden für ihren Verein betrifft. Zeugwarte stehen übrigens für eine weitere, im Profifußball selten gewordene Eigenschaft: Langlebigkeit. Denn während sich das Trainerkarussel stetig dreht und Spieler kommen und gehen, bleiben Zeugwarte ihrem Verein oft jahrzehntelang treu.

Ein gutes Beispiel dafür ist Albert Morgan, der zwanzig Jahre in Old Trafford die „Drecksarbeit" verrichtet hat, bis er 2013 das Bügeleisen an den Nagel gehängt hat. Morgan wurde 1995 zu einer kleinen Berühmtheit in Großbritannien, nachdem er erfolglos versucht hatte, Eric Cantona von seinem furchtbaren Kung-Fu-Aussetzer abzuhalten. 13 Jahre später war er dann zusammen mit Cristiano Ronaldo in einer Nike-Werbung zu sehen. Obwohl man angesichts seiner hölzernen Darstellung durchaus nachvollziehen kann, warum der Job eines Zeugwarts am besten hinter den Kulissen stattfindet.

Der Zeugwart ist gleichzeitig eine angenehme Erinnerung daran, dass es bei all der Kommerzialisierung im modernen Fußball noch immer so etwas wie eine menschliche Komponente gibt. Besonders deutlich wird das an der Geschichte von Neil Baldwin. Baldwin, 70 Jahre alt und ein glühender Fan von Stoke City, wurde mit einer Lernbehinderung geboren. Mit 16 Jahren ging er auf eine Clown-Schule. Humor, das war Baldwins große Stärke. Anfang der 90er traf er den damaligen Stoke-Trainer Lou Macari und konnte ihn mit seiner unbändigen Liebe zum Verein so sehr beeindrucken, dass er Baldwin zum Zeugwart machte. Insgesamt sieben Jahre arbeitete Baldwin für seinen Lieblingsverein und hat es in der Zeit geschafft, Legendenstatus bei den Potters zu erreichen. Seine Geschichte wurde von der BBC adaptiert, der Film—Marvellous—gewann sogar einen Bafta-Award.

Übrigens müssen sich die Pflichten eines Zeugwarts nicht zwangsläufig hinter den Kulissen abspielen. Als Henrik Larsson—mittlerweile Trainer bei Helsingborg—letzte Saison ohne seine beiden Torhüter auskommen musste, beschloss er, nicht einen Spieler aus der U18-Mannschaft ins Tor zu stellen, sondern seinen 42-jährigen Zeugwart Daniel Andersson. Obwohl man der Vollständigkeit halber sagen muss, dass Andersson früher mal Profikeeper war, zeigt auch diese Episode, wie breitgefächert die Anforderungen an einen Zeugwart sind. Denn neben der Aufgabe, sich um die Ausrüstung vom gesamten Team zu kümmern (ein echter Knochenjob), ist ein guter Zeugwart auch hauseigener Comedian, Motivator, Psychologe oder einfach „nur" ein richtig guter Freund.

Anstatt Jahr für Jahr Unsummen für neue Spieler auszugeben, sollten sich Vereine wie Real Madrid mal lieber darüber informieren, welcher Teufelskerl bei Leicester die Buchsen wäscht.