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Dating

„Das ist das Gegenteil von Liebe“: wieso Dating keinen Spaß mehr macht

Kritik an der Dating-Kultur gibt es nicht erst seit Tinder und Co. Wir haben mit der Autorin Moira Weigel über die lange, kapitalistische Tradition der Flirt- und Dating-Kultur gesprochen und sie gefragt, ob uns wirklich das Ende der Romantik...
Photo by Boris Jovanovic via Stocksy

Ich kenne nur wenige Menschen, die sagen, dass ihnen Dating Spaß macht. Die Gründe dafür muss ich nicht erst auflisten. Ich war noch nie bei Tinder, aber ich weiß, dass es ein furchtbarer, dunkler Ort ist. Wie es dazu wurde, ist jedoch ein anderes Thema. Während viele das Ende des traditionellen Kennenlernmoments und des klassischen Datings beklagen, gibt es nur wenige, die auch wirklich erklären, was „klassisches Dating" überhaupt sein soll, woher es kommt und warum es sich in eine Kultur verwandelt hat, in der man sich viel zu sehr darauf verlässt, ob man dieselben Fernsehsendungen mag wie jemand, der online in Bezug auf seine Größe lügt.

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In ihrem neuen Buch Labor of Love versucht die Autorin Moira Weigel, all das und vieles mehr zu erklären—und schildert die Geschichte von Sex, Romantik und Dating seit Anfang des 20. Jahrhunderts. Im Verlauf des Buches verknüpft sie die gegenwärtige Kritik an der Dating-Kultur mit feministischen Ideen, der gesellschaftlichen und arbeitspolitischen Stellung von Frauen und unserem kapitalistischen System. Eine kurze Zusammenfassung: Langweilige, austauschbare Dates sowie die Kritik an der Art, wie wir uns verabreden, gibt es bereits seit einer ganzen Weile.

Letzte Woche habe ich mich mit Weigel getroffen—man könnte auch sagen, wir hatten ein Lunchdate—, um mit ihr darüber zu sprechen, inwiefern das Internet die Dating-Kultur beeinflusst hat oder eben nicht, ob wir alle Marionetten des Kapitalismus sind und warum Liebe mittlerweile nach Arbeit klingt.

Bild: FSG

Broadly: Wie bist du auf die Idee für dein Buch gekommen?
Moira Weigel: Durch viele verschiedene Ideen—durch meine eigenen Dating-Erfahrungen, dieses Gefühl, über das ich mich in meinem Buch oft lustig mache. Mitte bis Ende meiner 20er hatte ich das Gefühl, in ziemlich vielen verschiedenen Beziehungen gewesen zu sein und habe plötzlich verstanden, dass ich eigentlich gar keine Vorstellung davon hatte, was ich von einer Beziehung erwarte. Wir stellen uns immer nur vor, wer wir sein sollten. Aber woher kommt das?

Mir ist klargeworden, dass sich alles, was ich tat—intellektuell, beruflich oder in der Liebe—, immer darum drehte, einem Mann zu gefallen, beziehungsweise Bestätigung von ihm zu bekommen. Was ich selbst wollte, war mir nie bewusst. Es ging irgendwie immer nur darum, einen Partner zu finden, mein Studium zu machen und all das. Vielleicht ist das auch nur eine meiner persönlichen Neurosen, aber ich hatte das Gefühl, dass es da diesen starken sozialen Druck gibt, der Frauen ein solches Gefühl vermittelt.

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Zudem habe ich angefangen, all diese Artikel und Trendstudien zu lesen, die vom Ende der Männer sprachen, dem Ende von Sex und dem Ende der traditionellen Beziehung. Ich dachte mir: Halt mal, was soll das überhaupt heißen? Hört die Welt deshalb auf, sich zu drehen? Ich habe Geschichte studiert und war deshalb ziemlich skeptisch gegenüber all diesen Weltuntergangstheorien. Darüber hinaus habe ich festgestellt, dass solche Artikel immer behaupten: „Das traditionelle Dating ist tot—jetzt benutzen wir nur noch unser Handy", aber was soll traditionelles Dating überhaupt sein? Das erklären sie einem nie. Ich habe auch angefangen, mich immer mehr für feministische Theorien und den Feminismus im Allgemeinen zu interessieren und habe festgestellt, dass diese Form der Panikmache [vom Ende der traditionellen Dating-Kultur] häufig dazu benutzt wird, um konservative Vorstellungen über die Geschlechterrollen zu verstärken. Ich wollte einfach einen skeptischeren Blick auf all das werfen. Als ich jünger war, habe ich mir solche Fragen einfach nicht gestellt.

Heute gibt es diese neue Form von sozialem Druck auf Frauen—dass sie sich selbst verwirklichen und unabhängig und emanzipiert sein sollen. Ich finde, dass diese Vorstellung irgendwie gut mit deinem Argument, dass die Geschichte des Datings vom Kapitalismus bestimmt wurde, zusammenpasst.
Heutzutage sollen wir für alle Männer arbeiten, statt nur für einen einzigen. Ich sehe diese Dammbruchargumente und diesen Sheryl-Sandberg-Feminismus, bei dem es darum geht, so „befähigt" zu sein, dass man die ganze Zeit arbeitet und sich kaufen kann, was man will, ziemlich skeptisch. Was ist, wenn ich emanzipiert bin, aber trotzdem gerne mal alleine zuhause bleiben und nichts tun möchte?

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Inwiefern beeinflussen Feminismus und Emanzipation deiner Meinung nach die gegenwärtige Dating-Kultur, insbesondere Apps wie Tinder?
Was ich besonders auffällig finde, ist, dass die Arbeit jeden Aspekt unseres Lebens eingenommen hat. Es gab diesen Beitrag in der New York Times, den die Leute ständig zitieren. Er hieß: „Sex auf dem Campus: Sie kann dieses Spiel auch spielen". Darin sagt eine der Quellen „Ich habe mir im College eine Position erarbeitet, die mir gar keine Zeit für eine Beziehung lässt."—oder so ähnlich. Wie deprimierend! Weder das anti-feministische, noch das emanzipierte Lager messen dem Vergnügen und den Wünschen einer Frau genug Wert bei. Es wirkt, als wäre Sex nur noch etwas, das wir auf unserer Liste abhaken, um noch mehr arbeiten zu können.

Ich denke, die Online-Dating-Kultur unterstützt diesen Effizienzgedanken. Sie vermittelt einem den Eindruck von: „Hey, wir können dir den perfekten Partner auch einfach in 3D ausdrucken, wenn du genug Zeit auf unserer Seite verbringst, um Einnahmen für uns zu generieren." Das ist das absolute Gegenteil von Liebe. Ich finde, in dieser Logik geht es nur noch darum, Geld zu verdienen und nicht mehr um Glück oder Zufriedenheit.

Hast du das Gefühl, dass die Romantik dadurch verloren gegangen ist?
Mir ist während meiner Recherchen aufgefallen, dass die Leute schon von Anfang an sagen, dass die Romantik tot sei. Anfang des 20. Jahrhunderts fanden es die Leute absolut skandalös, dass junge Leute anfingen, sich zu verabreden. Zur Zeit um den Ersten Weltkrieg haben alle Leute gesagt, dass die romantischen Zeiten, als ein junger Mann bei einem jungen Mädchen vorbeigeschaut hat, vorbei wären und dass es ganz furchtbar wäre, dass sich die jungen Leute „verabreden". In den 20er- und 30er-Jahren wurden „große Bälle" Mode—da ging man hin und tanzte mit vielen verschiedenen Leuten. Dann in den 40er- und 50er-Jahren hatten die Leute plötzlich Beziehungen mit einem festen Freund oder einer festen Freundin. Auch damals fanden die Leute das anormal. Viele katholische Schulen schmissen ihre Schüler raus, wenn sie herausfanden, dass sie fest mit jemandem zusammen waren.

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Wie hast du Dating in deinem Buch definiert? Dating im Sinne des Kennenlernens oder Dating im Sinne von „sich verabreden", was ja auch Leute tun, die sich schon länger kennen?
Es ist ziemlich schwierig, dazwischen eine Grenze zu definieren. In meinem Buch hat Dating per Definition mehrere Bedeutungen. Genauso witzig finde ich es, wie die Leute das Wort Beziehung verwenden. Und mir geht es da nicht anders: Im Studium hatte ich einen guten Freund, mit dem ich auch geschlafen habe und er wollte mit mir zusammen sein und ich meinte: Oh nein, nein, das ist keine Beziehung. Er entgegnete daraufhin nur, dass wir ständig Zeit miteinander verbringen, dass wir uns gern haben und miteinander schlafen. Und er hatte Recht.

Ich denke, in gewisser Weise heftet dem Wort eine solche Besonderheit an, dass viele Beziehungen dadurch eigentlich eher abgewertet werden—außerdem ist der Begriff auf seltsame Weise ziemlich konservativ. Wäre es nicht besser, einfach anzuerkennen, dass es verschiedene Formen von Beziehungen und Intimität gibt? Ein One-Night-Stand ist auch eine Beziehung, weil dadurch eine Beziehung zwischen zwei Menschen geschaffen wird.

Es wirkt, als wäre Sex nur noch etwas, das wir auf unserer Liste abhaken.

Inwiefern hat das Internet—und wie wir darüber kommunizieren—unsere Dating-Kultur verändert?
Irgendjemand hat mir von so einem fiesen GIF erzählt, auf dem einfach nur drei Punkte zu sehen sind—so als würde jemand gerade etwas in sein iPhone tippen. Man kann es jemandem schicken und dann sieht es aus, als würde der andere einfach unglaublich lange schreiben.

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Das ist ziemlich psycho.
Total. In meinem Buch mach ich auch Witze darüber, dass die Genies hinter AOL und all den anderen frühen Internetanbietern herausgefunden haben müssen, wie man unseren Wunsch nach Liebe und Sex nutzt, um uns vom Internet abhängig zu machen. All unsere Emotionen sind mittlerweile daran gebunden. Man muss nur mal an die Gefühlsschwankungen denken, die man durchmacht, wenn man auf eine Nachricht von jemandem wartet—das wird auch durch unsere Abhängigkeit von diesen Technologien bedingt. Früher hätten wir darauf gewartet, dass endlich das Telefon klingelt.

Auf Twitter gibt es diesen Running Gag von wegen: „Das Gefühl, wenn jemand deinen Tweet liked, aber nicht auf deine Nachricht antwortet."
Ich habe eine Freundin, die aus China kommt und in Yale studiert. Sie ist eine großartige Studentin und total zielstrebig. Einmal hat sie mir erzählt, dass sie auf einem Date war und er danach nicht auf ihre Nachrichten geantwortet hätte. Ich meinte zu ihr, dass er vielleicht einfach arbeiten musste und sie sagte: „Er hat getweetet. Ich folge ihm noch nicht einmal auf Twitter, aber ich weiß es trotzdem." Ich dachte mir, wenn jemand, der so klug und vernünftig ist wie sie, so ist, dann muss wohl jeder Mensch so sein.

Könnte es sein, dass es dabei auch darum geht, dass man anderen gefallen will? Man hört nicht wirklich oft von Männern, die sich darüber beklagen, dass eine Frau nicht zurückschreibt.
Eine Sache, die mir viele heterosexuelle männliche Freunde von mir erzählt haben, ist, dass sie süchtig nach Tinder sind und Tinder für sie wie ein Videospiel ist. Ich vermute, dass es immer weniger Leute gibt, die sich hinsetzen und Nachrichten analysieren, aber ich kenne definitiv auch Männer, die sich deswegen komplett verrückt machen lassen.

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Moira Weigel. Foto: FSG

In deinem Buch schreibst du auch über die Zeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als Frauen anfingen, arbeiten zu gehen und plötzlich mehr Männer trafen, als jemals zuvor. Das Internet scheint einen ähnlichen Effekt gehabt zu haben, hat aber zugleich auch dazu geführt, dass wir eine überwältigende und im Grunde unendliche Zahl an Optionen haben—man könnte immer noch jemand Besseren treffen. Dieser Gedanke scheint viele Leute anzutreiben.
Das ist die berühmte Qual der Wahl. In vielerlei Hinsicht ist es gut, eine quasi unendlich große Auswahl zu haben, zum Beispiel wenn man nach einer Scheidung wieder auf dem Markt ist. Ich finde, das hat tatsächlich echte Vorteile, die manchmal nicht genug wertgeschätzt werden. Aber ja, manchen Menschen wird dadurch die Entscheidung auch schwerer gemacht.

Wie denkst du über „Date-Nights" in festen Beziehungen?
Mich fasziniert diese Idee. In meinem Buch komme ich unter anderem auch auf den Film Date Night mit Steve Carrell und Tina Fey zu sprechen—eigentlich kein besonders guter Film. Es geht um dieses langweilige Pärchen, das in Jersey lebt und keinen Sex mehr hat, bla bla bla. Dann geht eine ihrer Date-Nights gehörig schief: Sie gehen in dieses schicke Restaurant und es gibt eine Verwechslung. Sie nehmen am falschen Tisch Platz und geraten in die Geschäfte von irgendwelchen Gangstern. Der Höhepunkt des Films ist, dass sie eine Prostituierte verkörpern muss und er einen Zuhälter—das Date wird zu einem tatsächlichen Geschäft. Irgendwie schafft es der Film, sämtliche Erwartungen an ein Date genau auf den Punkt zu bringen: Es geht darum, in der Öffentlichkeit zu sein und eine bestimmte Seite von sich präsentieren zu können. Dieser seltsame geschäftliche Charakter daran führt dazu, dass sich viele Leute unwohl fühlen, macht gleichzeitig aber auch irgendwie den Reiz eines Dates aus.

Ich frage mich auch, ob es zum Teil nicht nur einfach darum geht, sich Leuten sexy zu zeigen. Es ist immer irgendwie aufregend, wenn eine andere Person auf einer Party mit dem Partner flirtet oder man selbst mit jemand anderem flirtet. Zudem habe ich irgendwann gelesen, dass Date-Nights auf die Initiative einer Stadt hin entstanden sein sollen. Die Stadt soll für Date-Nights geworben haben, um die Wirtschaft anzukurbeln. Das heißt: Die Leute sollen ausgehen, um Sachen zu kaufen.

Wie hast du dir den Tenor des Buches vorgestellt? Es klingt nicht, als wäre Dating etwas schlechtes. Gleichzeitig wird es aber auch als Teil eines kapitalistischen Systems dargestellt, in dem Liebeshungrige nur Schachfiguren sind.
Wir sind so eng mit diesen Systemen verstrickt, dass es schwer ist, etwas zu finden, das davon ausgenommen ist. Aber ich denke, es ist hilfreich, sich diese Systeme vor Augen zu führen—zumindest gibt einem das Wissen über die Situation die Freiheit, zu entscheiden, ob man bestimmten Wünschen nachgeht oder eben nicht. Aktuell ist es nunmal so, dass wir alle an den Kapitalismus gebunden sind, aber ich glaube auch, dass Liebe eine Rettungsleine beziehungsweise ein Ausweg daraus sein kann. Es gibt Dinge, die man nicht an einem Preis festmachen kann.


Titelfoto: Cristina Souza | Flickr | CC BY 2.0