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Berliner Aktivisten übernehmen die Vattenfall-Zentrale und verkünden neue Kohlepolitik

Nach Varoufake kommt Vattenfake—und die Lausitz ist gerettet.
​Bild: Peng! Collective

„Okay, los!" Ein paar geschäftig aussehende Damen und Herren mit Rollkoffern und Anzügen bewegen sich am Freitagmorgen von einem Pulk Kameras und Tonangeln verfolgt auf der Berliner Chausseestraße in Richtung der Zentrale eines Energiekonzerns.

Ihr Ziel ist der Geschäftssitz von Vattenfall, wo sie der Presse gleich eine bahnbrechende Nachricht verkünden werden: Der Energiekonzern steigt aus der Braunkohleförderung in Deutschland  aus, übernimmt ökologische Verantwortung in der Region und verwandelt die Lausitz in einen Wind- und Solarpark.

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​Durchsage der Kommunikationsguerilla: Google muss zerschlagen werden

Das ist auch höchste Zeit, denn paradoxerweise steigt seit der Energiewende der CO2-Ausstoß in Deutschland. Grund ist die umstrittene Kohleförderung in der Lausitz, wo der Tagebau die Landschaft zu einem hässlichen Kraterareal umgepflügt hat und die Luft vom schmutzigsten und reaktionärsten aller Modelle der Energiegewinnung—Kohle—verdreckt ist.

Eigentlich wollte der schwedische Energiekonzern in dem Gebiet gern noch fünf neue Kohletagebauten eröffnen und ein paar Jahrzehnte betreiben. Doch nach Protesten und einer Direktive der schwedischen Regierung möchte das Unternehmen seinen Klimakiller am Liebsten einfach schnell loswerden—und spielt mit dem Gedanken, seine Kohlesparte an den Nächstbesten zu verkaufen, der in der Lausitz weiter Kohle fördern möchte.

Das Problem ist damit natürlich nicht gelöst. Während Zehntausende in der Region um ihre Arbeitsplätze in der strukturschwachen Region fürchten, droht ganzen Dörfern wegen des Tagebaus die Umsiedlung—und Umweltschützer befürchten katastrophale Schäden für die Vegetation und Luft der Region. Kurz gesagt, die Lage ist verfahren.

Das ​Peng! Collective au​s Berlin hat deswegen freundlicherweise Vattenfall die Verhandlungshoheit in dieser vertrackten Sache abgenommen und die Unternehmenskommunikation heute vormittag kurzerhand selbst in die Hand genommen.

Jean Peters lässt gegenüber der Presse die Bombe platzen: Vattenfall bleibt in der Lausitz und stellt auf Erneuerbare Energien um! Alle Bilder, soweit nicht anders angegeben: Theresa Locker/Motherboard

Dazu laden die Aktivisten Medienvertreter in die Zentrale ein, wo sie eine akribisch vorbereitete Fake-Pressekonferenz in der Lobby abhalten: Komplett mit vorproduziertem Banner, ein paar schönen, großformatigen Aufklebern, die auf die Übernahme der Verantwortung verweisen und eigenen Kamerateams.

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„Wir haben uns entschieden: Wir bleiben in der Lausitz und investieren dort komplett in erneuerbare Energien."

Flankiert wird der angebliche Energiekonzern-Vertreter (gespielt von Peng!-Mitglied Jean Peters) von „Ina Svensson", die sich als Senior Public Relations Officer aus Stockholm ausgibt, sowie weiteren falschen Schweden von der „Vattenfall Responsibility Initiative". Kernbotschaft: „Wir haben uns entschieden: Wir bleiben in der Lausitz und investieren dort komplett in erneuerbare Energien."

Fügt sich nahtlos ein: Das Peng! Collective bei der Pressekonferenz in der Berliner Vattenfall-Zentrale für den Ausstieg aus der Lausitz-Kohle. Unten mit Aufkleber: „Wir übernehmen Verantwortung".

Die Pressekonferenz verläuft so dermaßen ungestört, dass es kaum zu glauben ist. Kein Mensch von Vattenfall interessiert sich dafür, dass dort in der Hauptzentrale unter Anwesenheit der Presse mal eben die Inneneinrichtung umdekoriert und die Unternehmenskommunikation gekapert wird.

„And stick the Finger to RWE and say: You can now solve this problem by yourselves."

Frage aus der (eingeweihten) Presse: „Wie wollen Sie das gegenfinanzieren?"— „Mit den Erträgen aus der Braunkohle", erwidert Jean fröhlich, während seine Mitstreiter meterlange „Responsibility Initiative"-Aufkleber auf die Werbe-Leuchtwände hinter ihm kleben. „And stick the Finger to RWE and say: You can now solve this problem by yourselves", wirft Jean Peters in bester #Varoufake-Tradition noch hinterher.

Weitere Eckpunkte der kleinen Keynote: Eine Kooperation mit Unis für mehr lokale Fachkräfte, der Umbau der Region zum Innovationsleuchtturm in Sachen Erneuerbare Energien und als Sahnehäubchen die Schaffung 1000 weiterer Arbeitsplätze für Klimaflüchtlinge von den Philippinen. Ziemlich verantwortungsbewusst hört sich das Ganze jedenfalls an. ​

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„Doch, doch, wir haben einen Raum gebucht."

Vor allem aber akribisch vorbereitet: Zur Ablenkung segelt pünktlich ein eingeweihter Herr mit irgendeiner anderen absurden Anfrage an den Empfang, „Herr Sörensen" aus Stockholm hat eine „Re: Re: Re: Re:"-Konzern-Email mit einer Bestätigung für den gebuchten Konferenzraum im Inneren der Zentrale auf dem iPad, auf dem er stets wichtig herumwischt, und die angeblichen Konzernvertreter haben Vattenfall-Badges und verteilen gern Visitenkarten.

Insgesamt einen Monat hatte das Team an der Aktion gearbeitet. Noch gestern führten die Aktivisten in der Lausitzer Straße eine Generalprobe durch und gingen verschiedene Szenarien durch, um spontan auf Unvorhergesehenes reagieren zu können:

Jean Peters beim Briefing am Donnerstagabend: Probe für die Kommunikationsguerilla. Bild: Peng! Collective 

Heute werden zudem wir Medien gekapert beziehungsweise machen fleißig mit. Letztlich frage ich mich selbst auch, was wir hier eigentlich als Medienvertreter genau tun: Berichten wir nur oder spielen wir aktiv mit, um den Konzern unter Druck zu setzen? Und wie zurückhaltend sollten wir sein? Oder zugespitzt: Bin ich hier nur für Motherboard oder auch ein bisschen für das Peng! Collective?

Allein durch unsere Präsenz und unsere Nachfragen sind wir Teil des Spiels geworden und müssen über unsere Rolle nachdenken: Jede Rückfrage an den Konzern trägt zur Beeinflussung der Situation bei, und damit die Aktion überhaupt funktioniert, müssen wir unseren gern gepflegten Objektivitätsanspruch zu großen Teilen aufgeben, denn wir sind ja eingeweihte Statisten, die so tun, als sei das gerade Verkündete echt. Und würden dementsprechend—auch ein bisschen schadenfroh—gern bald mal jemanden von Vattenfall fragen, was er oder sie von der „Responsibility Initiative" hält. (Wie wir mittlerweile wissen, ​wenig.)

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Schließlich erscheint ein echter Pressesprecher, der von Jean kurzerhand umarmt wird: „Großartig, dass wir endlich Verantwortung in der Lausitz übernehmen!" Er windet sich unwirsch aus dem kumpelhaftem Griff der „schwedischen Kollegen", bittet uns, in der Lobby zu warten und haut dann mit einer Kollegin ab, während wir in aller Ruhe das Gebäude verlassen.

Die Vattenfall-Zentrale wurde auch von außen etwas umgestaltet.

Für Jean vom Peng! Collective, der den zuversichtlich-anpackenden Public Relations Manager von Vattenfall spielte, war eine solche Aktion keine Premiere. „Wir haben schon Atomkraftwerke besetzt und bei Shell habe ich mal einen Wissenschaftler gemimt", erklärt er im Eingang der Zentrale, während die verärgerten Pressesprecher von Vattenfall Deutschland sich im Garten verschanzen und kreuz und quer durch die Gegend telefonieren.

Die Sozialaktivisten, die sich in der Identity Correction-Tradition der Yes Men sehen, nutzen die Ästhetik der Unternehmenskommunikation und der Medienlogik gezielt, um Falschnachrichten zu verbreiten. Zuletzt stellten sie auf der Republica etwa ​neue Google-Produkte vor und freuten sich über die empörten Reaktionen mancher Politiker.

Ein paar Minuten später scheinen die ersten Medien die Finte geschluckt zu haben: Das Inforadio des RBB schickt eine Eilmeldung auf Twitter herum; sie sind offensichtlich gerade eben der  ​Fake-Pressemitteilung auf den Leim gegangen, die das Peng!-Kollektiv in Vattenfalls Namen heute früh von einer schwedischen Mailadresse versendet hat.

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+++EIL: @Vattenfall bleibt in der Lausitz und will sein Geschäft künftig komplett auf Erneuerbare Energien ausrichten.

— rbb-info (@rbbonline) April 24, 2015

Vermutlich ist der Sender mittlerweile auch auf das vorproduzierte PR-Video reingefallen, das so wunderschön beliebig dahinplätschert, wie es die CSR-Initiativen der meisten Unternehmen auch tun.

Eingebettet in wattiges Blabla wie „Unser Investitionsschub bindet lokale Unternehmen ein" prangt das Video auf einer professionellen Fake-Website www.vattenfall-responsibility.de mit tollen Tortengrafiken und den branchenüblichen CSR-Schmonzbildern (Kinder/Sonne/Wiesen), die verdeutlichen sollen, wie sehr das zukunftsorientierte Energieunternehmen sich für die Umwelt und die Gesellschaft einsetzt:

Leider klappt nicht alles, was sich Peng! vorgenommen hat—Idealerweise wäre die „Responsibility Initiative" in einer kleinen Präsentation direkt in einem Konferenzraum der Vattenfall-Zentrale vorgestellt worden. Die Aktion wurde so größtenteils auf dem Rücken der Empfangsdamen ausgetragen, die verzweifelt versuchten, jemanden zu erreichen, der uns in den angeblich gebuchten Konferenzraum lassen oder zumindest ein Pressestatement abgeben  könnte, während die „Stockholmer Delegation" genervt mit den Rollkoffern scharrte.

„Das ist ja mal ne 180-Grad-Wendung! Aber Verantwortung übernehmen ist immer gut."

Doch für die Künstler ist diese Art des Protests trotzdem gelungen und wichtig, um eine öffentliche Debatte über die Rolle des Konzerns in der Lausitz anzustoßen. Ich frage Jean, ob er glaubt, dass das Hijacking von Unternehmens-PR heutzutage wichtiger, weil durchschlagender  sei als klassische Ausdrucksformen der Protestkultur wie Soli-Demos. „Nein", sagt Jean, „das ist alles gleich wichtig. Jede Minute, die du mit dem Vorbereiten einer Demo beschäftigt bist, ist Zeit, die du für die Auseinandersetzung und die Diskussion über ein wichtiges gesellschaftliches Thema opferst, und das kann nur gut sein."

Ich frage noch kurz zwei Herren, die mit Aktentasche auf dem Weg zur Konzernzentrale sind, was sie von dem spektakulären Strategiewechsel Vattenfalls halten. „Meine Güte, das ist ja mal ne 180-Grad-Wendung. Aber ja: Verantwortung übernehmen ist immer gut. Das sage ich, obwohl ich selbst aus der Branche bin", sagt einer schließlich und schluckt heftig.

Was wäre nun das bestmögliche Szenario in Folge der Aktion? „Vattenfall kann unser Konzept quasi ab morgen schlüsselfertig übernehmen", meint Jean. „Die Vermittlungsarbeit haben wir ja schon für sie erledigt."

Theresa freut sich über mediale Verwirrung—auch auf ​Twitter.