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Smartphones schießen niemandem in den Hinterkopf

Sind wir so sehr in unseren technischen Neuheiten gefangen, dass wir nicht einmal einen Mord in unmittelbarer Nähe verhindern? Oder verschleiert die technophobe Paranoia die wahren Ursachen?
Foto: Flickr | Phil Campbell | Lizenz: CC BY 2.0 

Letzten Monat betrat ein 30 jähriger Mann eine Straßenbahn in San Francisco und schoss einem 20 Jahre alten Studenten in den Hinterkopf. Der Student, Justin Valdez, starb. Laut dem The San Francisco Chronicle wurde jede Art von Einmischung in das Geschehen von anderen Passagieren dadurch verhindert, dass einfach keiner irgendwas mitkriegte. Das Video des tragischen Vorfalls zeigt Passagiere, die so vertieft in ihre Mobiltelefone sind, dass sie den Mann, wie er seine Waffe schwingt einfach nicht wahrnehmen.

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Solche Szenarien schreien förmlich nach Anti-Smartphone Rhetorik und Hass-Tiraden gegenüber egozentrische Millennials. Sogar die Überschrift des Chronicle zeigt schon, wem hier die Schuld in die Schuhe geschoben werden soll: „Vertieft in ihre Geräte nahmen Smartphonenutzer die Gefahr nicht wahr.“ Ist dies ein weiteres Zeichen, dass wir soweit Gefangene von unseren technischen Neuheiten geworden sind, dass es uns zum Nachteil für alles andere wird? Sicherlich ist die Verliebtheit der Gesellschaft in Smartphones problematisch, aber die Antwort auf die technophobe Paranoia ist dennoch wahrscheinlich ‚Nein‘.

Zugegeben, ich hab das Video des Vorfalls nicht gesehen. Ich stelle mir vor, dass es sehr verstörend und wütend macht, zu sehen wie ein willkürlicher Mord stattfindet. Und das alles während Personen in unmittelbarer Nähe des Geschehens nichts dagegen unternehmen, weil sie mit etwas anderem so beschäftigt sind, dass sie einen Mord nicht mitkriegen. Natürlich wünsche ich mir, dass jemand realisiert hätte, was vor sich geht wird und eingeschritten wäre. Es gibt keinen Zweifel, dass dies ein tragischer und zu verhindernder Vorfall gewesen ist - Valdez sollte nicht tot sein.

Aber wenn wir unsere Emotionen falsch interpretieren und anfangen Handys zu verteufeln, als wären sie für diesen Mord verantwortlichen, dann ist das ein zweifelhafter und zu einfacher Reflex.

Eine Stadt, und besonders die öffentlichen Verkehrsmittel einer Stadt, kann einen einen schon überfordern. Es ist ein normaler menschlicher Impuls sich seinen eigenen Raum zu schaffen, sich ein bisschen abzuschotten, und sich nicht mit all den Geräuschen, Gerüchen und Aufmerksamkeit erhaschenden urbanen Landschaft auseinanderzusetzen, die uns umringt. Mit dem Handy spielen ist ein Weg sich diesen Raum zu schaffen. Handys sind aber auch nur ein Werkzeug, und nicht die Ursache für unseren Wunsches allein gelassen zu werden.

Oder wenn man sich die Angelegenheit von einer anderen Seite ansieht: was wäre, wenn alle im Wagon etwas nicht technisches gemacht hätten? Was wäre, wenn alle in ein Buch vertieft gewesen wären? Aus persönlicher Erfahrung weiß ich, dass ich genauso unaufmerksam, vielleicht sogar noch unaufmerksamer bin, wenn ich einer komplizierten, fiktionalen Handlung folge, als wenn ich gerade eine Runde Snake spiele. Wenn jeder Passagier gelesen hätte, statt Candy Crush zu spielen, SMS zu schreiben oder wie hier vielleicht ein e-Book zu lesen, wie hätte das unsere Wahrnehmung einer solchen Tat verändert?

Es ist schwer vorstellbar, dass Beamte den Akt des Lesens in Verruf bringen würden, weil die Literatur auf diese Weise einen Mord verantwortet hätte. Um ehrlich zu sein haben die Beamten, die im Chronicle zitiert wurden, den Handys nicht die Schuld gegeben, aber sie haben gesagt, dass wir eine besser balancierte Beziehung zu unseren Handys aufbauen sollten, damit wir weniger angreifbar sind.

Trotzdem steht mein Argument noch: Neue Technologie ist der Sündenbock. Wir werden niemals einen Beamten hören, der uns sagen wird, dass wir unsere Beziehung zu Büchern besser ausbalancieren sollten um Kriminalität zu minimieren. Wir lieben Bücher, wir lesen Bücher in der Öffentlichkeit und manchmal bedeutet das, dass wir Dinge, die um uns herum passieren, nicht mitkriegen. Aber ersetzte das Buch mit einem Handy und plötzlich ist es etwas ganz anderes.

Wir sollten den Handys nicht die Schuld für diesen tragischen Vorfall geben. Wir werden wahrscheinlich niemals, ob mit oder ohne Handy, so wachsam sein können, dass alle Kriminalität verhindert wird. Also warum geben wir nicht dem wahren Schuldigen die Schuld: Dem Mörder.