Im Gespräch mit dem Mann, der in der Schweiz Pestizide verbieten will

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Im Gespräch mit dem Mann, der in der Schweiz Pestizide verbieten will

Soll die Schweiz zur Bio-Insel werden? Etienne Kuhn hat uns seine Bürgerinitative “Eine Schweiz ohne synthetische Pestizide” erklärt.

Die Pestizide auf unserem Essen sind ein bisschen wie Bakterien - sie sind ein unsichtbarer Teil unseres Alltags, der uns wohl nicht unmittelbar schadet, aber wenn man über ihn nachdenkt, verursacht seine Gegenwart ein mulmiges Gefühl. Vor allem dann, wenn dir bewusst wird, dass der Schweizer Apfel in den du gerade beisst, sehr wahrscheinlich mit 20 Schichten Pflanzenschutzmittel überzogen ist, damit er perfekt aussieht. Oder wenn du davon gehört hast, dass sich Chemiekonzerne wie Syngenta und Bayer vor europäischen Gerichten fetzen, ob ihr Ackergiftbestseller Neonicotioid doch keine Mitschuld am Bienensterben trägt und die EU Glyphosat als nicht krebserregend für Konsumenten einstuft, während die WHO das Pestizid für Bauern als wahrscheinlich krebserregend wertet.

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Der neu gegründete Verein Future 3.0 möchte dieses Gefühl der Unsicherheit mit drastischen Mitteln bekämpfen. Er hat eine Bürgerinitiative lanciert, die in der Schweiz sämtliche synthetischen Pestizide verbieten möchte. Gespritzte Rüebli, Kartoffeln und Co. sollen nicht nur nicht mehr in der Schweiz wachsen dürfen, sondern auch aus dem Ausland die Landesgrenze nicht mehr überqueren können. Dieses Vorhaben klingt so radikal wie die Masseneinwanderungsinitative der SVP. Mit dem entscheidenden Unterschied, dass er nicht von einer Partei kommt, sondern von einem Dutzend Bürgern aus der Westschweiz, die für das Verbot bereits erfolgreich ein lukratives Crowdfunding abgeschlossen haben.

Aus dem Text zur Initiative geht nicht genau hervor, wie die Initianten sich eine pestizidfreie Schweiz vorstellen. Wie ausgereift ist ihr Vorhaben? Was tun sie mit dem gesammelten Geld? VICE hat mit Etienne Kuhn gesprochen, der die Initiative ins Leben gerufen hat.

VICE: Ihr Verein Future 3.0 plant eine Volksinitiative, die eine pestizidfreie Schweiz fordert. Heisst das konkret, dass in der Schweiz nur noch Bio-Produkte angebaut und importiert werden dürfen?

Etienne Kuhn: Nein. Wir fordern nicht eine Schweiz mit nur Bio-Produkten oder Bio-Importen, sondern eine Schweiz ohne synthetische Pestizide. Das hiesse, dass Lebensmittel zwar kein Bio-Siegel tragen müssten, aber wie Bio-Produkte ohne künstliche Pestizide hergestellt werden würden. Zum Verständnis: Ein Bio-Lebensmittel ist eigentlich ein Markenprodukt. Es benötigt ein geschütztes Zertifikat, um es in der Schweiz als biologisch zu verkaufen. Ein Produkt, das im Sinn unserer Initiative ohne Pestizide gewachsen ist, braucht dieses Label nicht.

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Warum wollen Sie Lebensmittel mit Pestiziden verbieten?
Um dem Schweizer Volk gesunde Lebensmittel zu garantieren. Die Produktion von Lebensmitteln ohne Pestizide wird auch einen positiven Einfluss auf unser Ökosystem und unsere Biodiversität haben. Das Know-How im Landwirtschaftsbetrieb ist heute so gut, dass wir den Einsatz von diesen gefährlichen Produkten nicht mehr benötigen. Kommt hinzu: In der Schweiz werden heute jedes Jahr über 280 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen. Dies wegen der intensiv betriebenen Landwirtschaft und wegen übertriebenen Schönheitsanforderungen von den Detailhändlern an die Produkte.

In einem Crowdfunding-Projekt sind für die Initiative über 52.000 CHF zusammengekommen. Was sind nun die nächsten Schritte?
Dieses Geld wird uns helfen, die nötigen Unterschriften für die Lancierung der Volksinitiative zu sammeln. Pro Unterschrift muss trotz Online-Sammlung mit einem administrativen Aufwand von einem Franken gerechnet werden. Der nächste Schritt ist, vor allem mit allen Parteien weitere Gespräche zu führen. Wir möchten aufzeigen, dass alle von unserer Initiative profitieren werden: Konsumenten, Landwirte und Politiker.

Wann soll die Initiative vors Volk kommen?
Wir hoffen, so rasch wie möglich. Die Initiative sollte spätestens in drei oder vier Jahren zur Abstimmung kommen.

Auf der Homepage von Future 3.0 ist nur zu lesen, dass es sich um eine Bürgerinitiative handelt. Was für Menschen stehen hinter dem Projekt? Wer hatte die Idee für die Initiative?
Ich habe die Initiative vor ein paar Monaten lanciert. Hinter dem apolitischen Komitee von Future 3.0 stehen Biologen, Unternehmer, Topographen und Weinproduzenten. Aber wir verstehen uns nicht ausschliesslich als Ökologen: Als Eltern wünschen wir uns schlicht und einfach, dass man ohne negative gesundheitliche Konsequenzen konsumieren und sich ernähren kann. Wir sind alle berufstätig und engagieren uns in unserer Freizeit für diese Initiative und das Wohl unserer Mitbürger.

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Das Kampagnen-Video der Initiative

Wieso war eine Bürgerinitative notwendig?
Jährlich werden 2.200 Tonnen Pestizide auf unsere Felder gesprüht. Die Produkte gelangen in unser Trinkwasser, Essen, unsere Luft und unsere Erde. Wir haben festgestellt, dass in der Politik heute für die Lösung eines solchen Problems des öffentlichen Gesundheitswesens kein eigentlicher Einsatz und Wille vorhanden ist.

Die wenigen Massnahmen, die bis heute getroffen wurden, haben nichts wirklich bewegen können. Ich denke dabei zum Beispiel an den lächerlichen Pestizid-Reduktionsplan des Bundes, der den Pestizidverbrauch der Schweiz in den nächsten zehn Jahren nur um zwölf Prozent mindern will. Wenn wir Bürger heute selber nichts unternehmen, wird dies dramatische Konsequenzen haben für unsere Gesundheit und die der nächsten Generation.

Die Schweiz gehört weltweit zu den Ländern mit den höchsten Lebensmittelpreisen. Biolebensmittel sind etwa ein Drittel teurer als konventionell produzierte Produkte. Was sollen Leute tun, die sich das nicht leisten können?
Einer der Hauptgründe, die Biolebensmittel teurer als konventionell produzierte macht, ist die hohe Nachfrage und das kleine Angebot. Dies würde sich aber in Zukunft ändern, weil die gesamte Produktion umgestellt wäre. Wir haben heute bereits konkrete Beispiele wie in Frankreich und anderen Ländern, wo die Preise von unbehandelten Lebensmitteln gleich teuer sind wie die von behandelten Lebensmittel.

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Zurzeit werden laut BioSuisse nur knapp 13 Prozent der Schweizer Nutzfläche ohne die Hilfe von synthetischen Pestiziden bewirtschaftet. Hat Future 3.0 konkrete Pläne entwickelt, wie die Versorgung der Bevölkerung mit dem neuen System gewährleistet werden soll?
Wir haben bis jetzt lange Gespräche geführt und Analysen erstellt mit Bauern, Biologen, Agronomen, Juristen, Forschern und auch Schweizer Konsumenten, um diese Initiative zu kreieren. Die Produktion ohne Pestizide ist möglich und der Ertrag ist vergleichbar mit dem Ertrag aus konventioneller Produktion. Der Ertrag kann je nach Fall sogar höher ausfallen. Die Initiative sieht für die Umsetzung eine Zeitspanne von zehn Jahren vor. Diese lange Dauer erlaubt die Umstellung der Betriebe in der Schweiz und auch die Entwicklung einer Landwirtschaft im Ausland mit den gleichen Normen.

Dass eine Landwirtschaft ohne synthetische Pestizide funktioniert, zeigen die über 6.000 nachhaltig denkenden Bio-Bauern der Schweiz. Sie verzichten vollständig auf den Einsatz von künstlichen Pflanzenschutzmitteln. Sie produzieren hochwertige, giftfreie Produkte, die guten Absatz zu wesentlich besseren Preisen als pestizidbelastete Standardware finden. Neue Techniken und Pflanzensorten oder biologische Schädlingsbekämpfung können die Giftspritze ersetzen.

Der ehemaligen Schweizer Umweltminister Philippe Roch hat mehrmals über Ihre Initiative getwittert . Unterstützt er das Projekt offiziell?
Wenn Herr Roch unsere Tweets retweetet, kann man ganz klar davon ausgehen, dass er unser Projekt unterstützt. Es handelt sich jedoch nicht um eine offizielle Unterstützung.

Niemand lässt sich gerne etwas verbieten. Wieso glauben Sie trotzdem, dass die Initiative eine Chance vor dem Volk hat?
Vor 36 Jahren waren alle gegen ein Anschnallobligatorium im Auto, heute gurtet sich wie selbstverständlich jeder an. Spass beiseite, wer von den acht Millionen Schweizern möchte heute noch Pestizide essen? Alle wollen gesunde Produkte und eine Landwirtschaft, die die Natur respektiert. Unsere Initiative soll heute allen Schweizern und Schweizerinnen ganz einfache Fragen stellen: Ist es unsere Vision, weiterhin Lebensmittel voller Gift zu produzieren mit einer Landwirtschaft, die unser ganzes Ökosystem und unser Wasser zerstört? Ist dies wirklich unser Geschenk an die nächsten Generationen? Nur weil wir zu faul und zu wenig mutig sind?

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Alle Fotos von Etienne Kuhn