FYI.

This story is over 5 years old.

kein zwanni für 'nen steher

Kein Zwanni: „Das Rennen gegen die Finanzmaschine Premier League kann die Bundesliga nicht gewinnen."

Die BVB-Fans boykottieren das Spiel in Stuttgart wegen zu hoher Ticketpreise. VICE Sports sprach mit der Initiative „Kein Zwanni" ​über die Unterschiede zur Premier League und das Verschwinden eines mündigen Publikums.
Foto: Imago

Wenn das Pokalspiel zwischen dem VfB Stuttgart und Borussia Dortmund heute Abend angepfiffen wird, wird der Gästeblock zu großen Teilen leer sein. Die sonst so treuen BVB-Fans wollen beim Viertelfinalspiel in Stuttgart wegen der hohen Eintrittspreise die ersten 20 Minuten des Spiels boykottieren. Grund dafür sind Ticketpreise von bis zu 70 Euro. Statt in der Kurve wollen sie sich unter der Tribüne des Gästeblocks versammeln. Verantwortlich für den Boykott ist die Initiative „Kein Zwanni – Fußball muss bezahlbar sein", die sich seit Jahren für günstige Eintrittstickets stark macht.

Anzeige

VICE Sports sprach mit Marc Quambusch, Sprecher von Kein Zwanni Deutschland, über den permanenten Preiskampf zwischen Fans und Vereinen, die Unterschiede zur Premier League und die Rolle mündiger Fans bei globalen Vereinsmarken.

VICE Sports: Die Fans des FC Liverpool schockten die Klub-Bosse mit einem Boykott gegen die Erhöhung der Ticketpreise. Die BVB-Fans protestieren heute auch gegen die Preispolitik des VfB Stuttgart. Was haben die Boykotte beider Klubs gemeinsam?
Marc Quambusch: Auch wenn Liverpool wie Dortmund eine sehr fußballbegeisterte Stadt ist, kann man beide Vereine nur schwer vergleichen. Die Premier League hat schon über Jahre Proteste versäumt und ist nun an einem Punkt angelangt, wo es fast schon zu spät ist und man versucht, alles wieder zurückzudrehen. Wir versuchen es in Deutschland eher aufzuhalten, weil es hier noch nicht so weit gekommen ist.

Warum ist ein Boykott für euch so wichtig?
In Stuttgart fangen die Sitzplatzpreise bei 38,50 Euro an und ein großer Teil der Tickets kostet 70 Euro. Wir sind also auf dem „besten" Weg, dass sich die normalen Fans wie in England einen Stadionbesuch nicht mehr leisten können. Die Fankultur und die Verankerung des Fußballs als Volkssport werden dadurch immer mehr gefährdet. Wir müssen also darum kämpfen und versuchen, das Wenige, was von diesem Fußball noch übrig ist, wenigstens zu erhalten. Das Streben nach immer mehr Geld, wie wir es momentan haben, darf und kann nicht der Grundgedanke hinter dem Fußballsport sein.

Anzeige

Die Vereine sind gewinnorientierte Unternehmen. Wie können sich die Fans denn überhaupt gegen die Erhöhung der Ticketpreise wehren?
Durch eben solche Boykottaktionen im Stadion, um dadurch eine Störung des Events zu erreichen und so aufzuzeigen, dass irgendwas „kaputt" ist. Oder man kauft die Tickets erst gar nicht. Beim heutigen Spiel gibt es beispielsweise noch zahlreiche Restkarten, obwohl es ein attraktives Pokalspiel ist—das zeigt, dass der VfB Stuttgart die Preisspirale mal wieder deutlich überdreht hat.

Der BVB hat sich offiziell und schriftlich beim VfB Stuttgart über die abgerufenen Ticketpreise beschwert. #vfbbvb #LT
— Borussia Dortmund (@BVB) 8. Februar 2016

Der Tuchel und der BVB kritisierten die Ticketpreise des VfB öffentlich—aber erst, nachdem ihr euch beschwert hattet. Ist die Kritik überhaupt glaubhaft?
Ich glaube schon, dass der BVB ein Verständnis für unsere Position hat. Auch wenn wir ihn nicht von der Kritik ausnehmen. Aber die Abschaffung der Topspielzuschläge für Gästefans hat der BVB ja veranlasst.

Kein Zwanni und die BVB-Fans boykottieren seit Jahren diverse Vereine wegen ihrer Preispolitk. Zwar kamen die Klubs den Fans oft entgegen, doch dann gibt es im nächsten Jahr wieder neue Preiserhöhungen. Könnt ihr diesen Kampf überhaupt gewinnen?
Es ist ein permanenter Kampf und es wird nie einen endgültigen Sieg für die Fans geben. Die Vereine werden immer weiter versuchen, die Spirale enger zu drehen, und die Fans können nur immer wieder aufs Neue für gemäßigte Preise kämpfen. So lange sich der deutsche Fußball in Gänze nicht fragt, wo er eigentlich hin will, wird sich nichts ändern. Wir hoffen, dass sich die Funktionäre Gedanken darüber machen, worum es geht.

Anzeige

Worum geht es denn?
Es geht um die Bundesliga und ihr Ziel, immer noch mehr Geld zu generieren. Aber das ist eben nicht die Antwort auf alle Fragen. Ich glaube aber nicht, dass der Fußball die Weitsicht hat, das so zu sehen.

Was sollten Liga und Vereine stattdessen tun?
Die einzige Chance für die Bundesliga ist, sich auf die eigenen Stärken zu besinnen—etwa durch volle Stadien und die Verankerung des Fußballs in der breiten Gesellschaft. Der englische Fußball ist beispielsweise nicht mehr englisch, sondern international. Anders als in Deutschland kommen tausende Menschen aus dem Ausland nur für das Event ins Stadion. Das Rennen gegen die Finanzmaschine Premier League kann die Bundesliga also nicht gewinnen. Und wenn du versuchst, ein Rennen zu gewinnen, das du nicht gewinnen kannst, und deine wichtigsten Bausteine opferst, dann ist das unfassbar dumm. Ohne Fans funktioniert der Fußball nicht und die Bundesliga braucht einen lokalen Charakter, der nicht austauschbar ist. Noch hat sie den Wettbewerbsvorteil der tollen Stimmung.

Die größeren Vereine werden zu globalen Marken und setzen sich immer häufiger über Kritik aus der eigenen Fanszene hinweg. Haben die Fans vor Ort überhaupt noch eine relevante Stimme?
Wir sollten aufpassen, dass der Fan nicht nur noch ein Beiwerk ist. Man muss da aber ganz klar differenzieren: In Dortmund, auch in Gelsenkrichen oder etwa bei Union Berlin hat die Meinung der Fans noch sehr viel Gewicht. Bei anderen Vereinen ohne eine solch starke Fanbasis, wie etwa beim VfL Wolfsburg, kann der Verein jedoch schon eher machen, was er will. Aber eine reine Eventiesierung kann beim Fußball auf Dauer nicht funktionieren.

Interview mit ProFans: „Die letzte Konsequenz ist das Fernbleiben"

Dennoch halten sich schon jetzt viele Fans von Boykotten fern und zahlen die höheren Preise trotzdem. Wie versucht ihr, diese Zuschauer zu erreichen?
Es ist wichtig, dass einige Fans vorangehen und andere abholen. Ich glaube, viele Anhänger werden dann sehen, wie wichtig solche Aktionen sind. Natürlich gibt es Fans, die sagen, dass sie sich alles leisten können, doch das kann nicht dazu führen, dass es ihnen egal ist. Die Fans von Borussia Dortmund standen schon immer sehr eng zusammen. Jedem Fan sollte bewusst sein, dass Einigkeit ihre stärkste Waffe ist.

Was wünscht ihr euch für die Zukunft?
Die Liga und die Vereine sollten sich bewusst werden, dass es nicht nur in eine Richtung und bergauf geht. Die ständigen Preiserhöhungen machen die Vereine nicht reicher, sondern andere Ligen wie in Italien zeigen, dass das schnell nach hinten losgehen kann und zu leeren Stadien führt. Wir haben in Deutschland den Höhepunkt erreicht—das ständige Abkassieren kann schnell in eine verhängnisvolle Falle führen und den Weg haben wir leider eingeschlagen…

Das Interview führte Benedikt Niessen, folgt ihm bei Twitter: @BeneNie