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Football

Warum ich mich heute Nacht durch den #rannfl-Super Bowl quälen werde

Wie so viele schwitzende Mittzwanziger werde ich heute Nacht beim Mini-Public-Viewing Super Bowl schauen. Ich werde mich über das nervigste Kommentatoren-Duo des Landes aufregen. Und ich werde Football genießen.
Foto: twitter.com/FrankBuschmann

Im Jahresrhythmus bestimmt mein Freundeskreis einen Austragungsort zum kollektiven Bowl-Gucken. Man könnte es das Public-Viewing des kleinen Mannes nennen. Oder so wie es ist: Acht verschwitzte Mittzwanziger auf 13 Quadratmetern. Anforderungen an den Austragungsort: ein mindestens 52-Zoll-Flatscreen mit Dolby-Surround-System, ein möglichst großer Fliesentisch zum Abstellen aller Blechpizzen und Chicken Wings, deren schiere Anzahl schon betroffen macht, und ein tolerantes Wohnumfeld (im Falle einer spektakulären Overtime-Entscheidung—zu der es sowieso nie kommen wird).

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Wir werden Sonntag nicht allein sein: Mit uns durch den Abend gehen Frank Buschmann und Jan Stecker. Die Gute-Laune-Dabei-ist-alles-Moderatoren des deutschen Sportfernsehens werden uns auch diesmal begleiten, dabei zwischen dem dritten und vierten Viertel noch einmal den Touchdown erklären (für Zuschauer, die gerade zum ersten Mal einschalten. Beim Superbowl. Im vierten Viertel. Nachts um 3.30 Uhr).

Nur um später an der Frage, worin der Unterschied zwischen einer „Neutral Zone Defraction" und einem „Enchroachment" liegt, sich und den ahnungslosen Zuschauer scheitern zu sehen. Denn Football ist leider so kompliziert, dass man selbst bei einem zweisemestrigen Studium aller Regeln am Super-Bowl-Abend an den Punkt kommen wird, an dem man sich kurzzeitig nur noch ratlos ansieht. „Weißt du, was da gerade passiert?" – „Nein, aber sei leise. Vielleicht erklären Sie es gleich." – „Ah ne, die haben es gar nicht mitbekommen."

Sag ich doch! — Frank Buschmann (@FrankBuschmann)17. Januar 2016

Dabei gehört Jan Stecker eigentlich zu meinem liebsten TV-Experten. Er war mal, so glaube ich, Quarterback bei den Cologne Crocodiles. Möglichweise werden Buschmann/Stecker diesen Fakt am Sonntagabend aber noch einmal bescheiden einfließen lassen, dann kann ich mir ganz sicher sein. Dass Stecker, der zu allem Überfluss Jurymitglied beim „Goldenen Lenkrad" ist, auch noch die Wahlkampfauftritte 2009 von Angela Merkel moderierte, wird dabei wohl leider nicht zur Sprache kommen. Seine Arbeit macht er mittlerweile so gut, dass selbst die ewigeuphorischen Facebook-Fans von Frank Buschmann (und das sind bekanntlich einige) in den vergangenen Wochen auf eine sofortige Absetzung des Experten pochten.

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Das lässt ihn insgesamt deutlich sympathischer erscheinen als den letzten Part dieses Fernsehevents: Icke. Irgendein schlecht berlinernder Ex-Praktikant, den Buschmann und die Pro7/Sat1-Mediengruppe vor einigen Jahren ausgegraben haben, und der „das Netz" fortan akribisch nach allem Halblustigen absucht. Babys in Footballstramplern, Footballs in Babystramplern. Hauptsache es trägt den Hashtag #rannfl. Es ist zum Kotzen.

— Icke Dommisch (@Icke41)10. Januar 2016

Unterbrochen wird diese Geisterfahrt der Sportgeschichte nur durch regelmäßige Werbeeinspieler. Und weil wir hier in Deutschland und eben nicht in den USA sind, bekommen wir auch keine liebevollen und exklusiven Werbetrailer, sondern nur Smava-, MeetOne- und Parship-Angebote auf LSD. In dieser Reihenfolge. Ohne Ausnahme.

Man könnte meinen, dass das völlig ausreiche, um am Sonntag dem Fernseher den Rücken zuzuwenden und sich gemeinsam mit Jean-Paul Sartre zu fragen: „Ist der Existentialismus ein Humanismus?" – Ich weiß es nicht. Denn zwischen den Werbepausen, da ist Football.

Dem deutschen TV-Sender kann man einiges vorwerfen. Doch dass sie in diesem Jahr jeden Sonntag mindestens zwei Spiele live im Kabelfernsehen übertrugen, dafür würde ich höchstpersönlich ein Denkmal in Unterföhring aufstellen. Konnte man in den vergangenen Jahren nur den Super Bowl—und mit etwas Glück die Conferencefinals—verfolgen, ist Football mittlerweile über die gesamte Saison salonfähig geworden. Heimisch in den Wohnzimmern von abertausenden Deutschen, die fast allesamt noch nie einen Football in den Händen hielten. In diesen Nächten aber sich, dem Sport und dem Event drumherum schamlos zujubeln.

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Anders als bei einem Fußball-WM-Finale sitzt man dabei nicht 90 Minuten vor einem Fernseher in der Hoffnung während des allesentscheidenden, weil einzigen, Tores nicht gerade auf dem Weg zum Kühlschrank gegangen zu sein. Alle fünf bis zehn Minuten geschieht beim Super Bowl etwas Spektakuläres. Ein One-Hand-Catch nach 40-Yard-Pass in die gegnerische Endzone? Kann schon passieren. Ein Quarterback, der sich bei einem Blind-Side-Hit alle Rippen unterhalb des Herzens bricht? Schon vorgekommen. Oder halt das arme Würstchen, das den siegbringenden Field-Goal-Versuch am Gestänge vorbeikickt.

Und auf all das kann gewettet werden. Deshalb sitze ich zumeist mit einem langen Notizzettel im Sessel und streiche nacheinander 25 verfehlte 1-Euro-Fantasiewetten durch. Immerhin schenkt es ein wenig Nervenkitzel bis zur Schlussminute auf ein Millionenvermögen darauf hoffen zu können, dass eine ungerade Zahl von Field-Goals erzielt, alle Runningbacks insgesamt weniger als 157 Yards erlaufen und zuvor mindestens ein Nippel während der Nationalhymne zu sehen ist.*

Zugegeben: Die Experten prophezeien in diesem Jahr den vielleicht langweiligsten Super Bowl der Geschichte. Ausgerechnet beim 50. Mal. Weil auf der einen Seite Cam Newton die Carolina Panthers anführt. Ein menschgewordenes Monster, das mit seinen Läufen regelmäßig alle Defensivversuche ad absurdum führt. Während sein Gegner auf der anderen Seite, die Denver Broncos, darauf hoffen muss, dass Altstar-Quarterback Peyton Manning nicht nur seinen Wurfarm wiederfindet, sondern auch noch verletzungsfrei aus der Kabine eiert. Der Super Bowl kann, gerade wenn Manning beteiligt wird, zu einer riesengroßen Enttäuschung im Vier-Viertel-Takt verkommen. Aber dann gibt's meist eine ganz ordentlich Halbzeitsause.

Während dem Fußball, der Leichtathletik, manchmal auch dem Basketball vorgeworfen wird, dass die Eventmacher mittlerweile den einfachen Mann vergessen haben, würde beim Super Bowl niemand diese Kritik aussprechen. Einfache Männer sieht die NFL gar nicht vor. Also darf ich mich gepflegt darauf freuen, dass muskulöse Fabelwesen von Fleischklopsen in Lichtgeschwindigkeit umgerammt werden. Besungen von Coldplay, Beyonce und Lady Gaga. Moderiert von einer wahrlich nervtötenden Crew. Gefeiert von acht, chickenwingsgetränkten Freunden in Unterhose. Ganz legal. Ist eben Super Bowl.

*Der Nippel-Part ist meist nicht der schwierige Teil dieser Wetten.