Menschen

Wie nervig das Leben im Camper in Wahrheit ist

"Oft muss man Mechaniker, Klempner und Elektriker in einem sein" – vier Menschen erklären, warum du es dir gut überlegen solltest, ins #Vanlife umzusteigen.
Alessandro Pilo
Budapest, HU
Zwei Frauen stehen mit ihren Campingbussen in der Natur, aber die Idylle trügt, denn das Leben im Camper kann in Wahrheit schnell nerven
Alle Fotos: bereitgestellt von den interviewten Personen

2020 ist das Thema Wohnraum wegen der Coronakrise in den Mittelpunkt vieler Diskussionen gerückt. Während du dank Homeoffice und Lockdown wahrscheinlich mehr Zeit denn je in den eigenen vier Wänden verbringst, ist dir vielleicht schon mal dieser Gedanke gekommen: Wäre es nicht super, diese vier Wände gegen vier Räder zu tauschen?

Bei Instagram haben die ganzen Camper-Accounts sowieso gerade Hochkonjunktur und zeichnen das Bild eines glücklichen Lebens mit funktionalem Fahrzeug und endlosen Reisemöglichkeiten, ganz ohne lästige Verpflichtungen. Wir alle wissen aber, dass sich das echte Leben abseits der sozialen Medien abspielt. Deswegen erzählen uns vier Menschen, wie glamourös das #Vanlife wirklich ist.

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Antonio Armano, Journalist und Autor

Der Journalist Antonio Armano sitzt am Steuer seines Campingbusses und trinkt Kaffee

Das ist Antonio in seinem Camper

Zwischen 2017 und 2018 habe ich ein Jahr lang in einem Camper gelebt. Was mir während dieser Zeit mit am besten gefiel, war die Freiheit, jeden Tag an einem anderen Ort aufwachen zu können. Und dieses Gefühl, draußen in der Welt zu sein, aber trotzdem von einer Art Hülle geschützt zu werden.

Viele Leute gehen bei diesem Leben on the road aber fälschlicherweise davon aus, dass man viel reist. Aber manchmal findet man ein schönes Plätzchen und will das erstmal länger genießen. Außerdem ergeben sich Gelegenheiten, den Wassertank aufzufüllen oder das Abwasser zu entsorgen, gar nicht so häufig. Deswegen nutzt man jede, die man kriegt. Das kostet Zeit. Zudem macht es einen großen Unterschied, welchen Van man fährt. Bei uns war es ein altes Modell, das viel Benzin schluckte. Reisen war deswegen sehr teuer.


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Wir haben uns vor allem in Norditalien aufgehalten, rund um die Seen von Varese. Dort sind die Leute Campingbussen gegenüber eher argwöhnisch. Sie hielten uns oft für Diebe. Und wenn wir längere Zeit an einem Ort übernachteten, riefen sie direkt die Polizei. Wenn man in Italien seinen Van ohne Bremskeile und ohne offene Veranda parkt, ist das technisch gesehen kein unerlaubtes Campen. Theoretisch kann einem also niemand was. Man braucht die Keile aber, um ruhig schlafen und kochen zu können. Da muss man dann wegen Bußgeldern aufpassen – vor allem, wenn man den Behörden schon aufgefallen ist.

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Inzwischen ist es viel einfacher, von unterwegs aus zu arbeiten. Dennoch muss man einige Dinge beachten. In manchen Camper-Vans geben die Steckdosen nur 12 Volt her. Um einen Laptop mit 220 Volt zu laden, braucht man dann einen Transformator und eine starke Energiequelle. Ich habe mich zum Arbeiten oft in Fastfood-Restaurants oder Waschsalons gesetzt.

Wenn man nicht gerade in einem Luxus-Wohnmobil unterwegs ist, wird man nach einer Weile die eigenen vier Wände und eine heiße Dusche vermissen – gerade im Winter. Deswegen würde ich Leuten, die einfach nur Miete sparen wollen, das Leben im Campingbus nicht empfehlen. Als mein Jahr auf Achse vorbei war, fühlte ich mich wie ein Astronaut, der auf die Erde zurückkehrt: Ich musste mich an das Leben in einer richtigen Wohnung erst wieder gewöhnen. 

Daniela De Girolamo, 36, Bloggerin und Beraterin für das Leben im Van

Links: Daniela Girolamo und ihr Hund vor ihrem Wohnmobil; rechts: der Ausblick aus dem Wohnmobil

Daniela Girolamo und ihr Hund

Ich habe 2015 meinen ersten Camper gekauft, um damit in den Urlaub zu fahren. Aber dann hatte ich keine Lust mehr, nach Hause zurückzukehren. Die letzten beiden Jahre habe ich aus meinem Wohnmobil heraus gelebt. Jetzt während der Pandemie muss ich aber in Italien bleiben.

Wichtig ist, dass man sich gut informiert und vorbereitet. Kostenloses Campen ist im August in touristischen Gebieten quasi unmöglich, das gleiche gilt im Winter für Parkplätze in Skigebieten. Deshalb bin ich in solchen Gegenden vor allem in der Nebensaison unterwegs.

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Daniela Girolamos Wohnmobil steht auf einer Klippe am Meer

Das ist Danielas Wohnmobil

Eines der häufigsten Probleme beim Leben im Van ist die Rationierung von Wasser und anderen Ressourcen. Das ist mir aber lieber, als Rechnungen zahlen oder meine Wohnung mit anderen Leuten teilen zu müssen. Wer sich für das Leben im Van entscheidet, will ja mit dem "normalen Leben" nichts mehr zu tun haben. Mir geht es vor allem um Minimalismus, Ungebundenheit und die Natur. Dass ich immer unterwegs bin, hat mir sogar dabei geholfen, meiner Familie und meinen Freunden näher zu kommen. Körperliche Nähe macht Beziehung oft kompliziert.

Natürlich ist auch beim Leben auf Achse ein monatliches Einkommen unverzichtbar. Mit der Zeit habe ich mir einen Namen in der Camper-Szene gemacht und arbeite jetzt als Beraterin. Davor habe ich mich mit diversen Nebenjobs durchgeschlagen, etwa Barista, Animateurin in Ferienanlagen oder Sprachlehrerin. Das meiste Geld geht für Essen und Benzin drauf, dazu kommen noch Fixkosten wie Steuern und Versicherung. Meine Ausgaben variieren, aber ich kann sie eigentlich immer unter 300 Euro pro Monat halten.

Andrea, 24, Grafikdesigner, und Bianca, 24, verkauft selbstbestickte Klamotten im Internet

Links: Bianca und Andrea vor ihrem Campingbus; rechts: das Innere des Campers

Bianca und Andrea vor ihrem Camper

Wir sind im August 2019 mit unserem umgebauten Van aufgebrochen. Während der ersten Coronawelle mussten wir aber von Portugal nach Italien zurückkehren. Gerade leben wir wieder in einer Wohnung, warten aber nur auf den richtigen Moment, um wieder loszufahren. Der Umbau unseres Vans hat ein Jahr gedauert, wir haben alle möglichen Sachen eingebaut – zum Beispiel Solarpanels, eine Dieselheizung, einen Gastank und einen Warmwasserspeicher. Es geht aber auch einfacher.

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Wir wollten einfach lange unterwegs sein, ohne Einschränkungen, ohne öffentliche Verkehrsmittel, ohne Hotels und ohne Termine. Das Leben im Van ist toll, aber es gibt auch einige negative Aspekte, an die wir vorher gar nicht gedacht haben.

Bianca und Andrea mit ihrem Campingbus in Frankreich

Bianca und Andrea mit ihrem Campingbus in Frankreich

Es kann stressig sein, ständig durch unbekannte Gegenden zu reisen. Vor allem dann, wenn man jede Woche den Wassertank auffüllen und den Abwasserbehälter ausleeren muss. Auf speziellen Camper-Parkplätzen kostet das oft nichts, bei Campingplätzen zahlt man dafür normalerweise zwischen fünf und acht Euro. Man darf nie vergessen, die Fenster richtig zuzumachen, sonst können sie bei der Weiterfahrt kaputtgehen. Außerdem ist es wichtig, den Gastank zu schließen, sonst wird es echt gefährlich.

Es gibt immer etwas zu tun, deswegen hat man kaum die Gelegenheit, mal in Ruhe über alles nachzudenken. Für Paare ist das Zusammenleben auf sechs Quadratmetern auch eine Zerreißprobe. Nach ein paar Monaten hat man jedoch eine Routine entwickelt und alles wird normal. Man arbeitet, man geht einkaufen und alle zwei Wochen wäscht man die Klamotten in einem Waschsalon. Bevor wir aufgebrochen sind, haben wir uns einiges angespart. Trotzdem arbeiten wir noch. Im Durchschnitt geben wir jeden Monat 300 Euro pro Nase aus.

Wer Lust auf dieses Leben hat, braucht nur einen normalen Führerschein, denn damit darf man Campingbusse bis zu 3,5 Tonnen fahren. Wer aber schnell in Panik gerät, sollte sich das Ganze noch mal überlegen. Oft muss man Mechaniker, Klempner und Elektriker in einem sein, es passieren schnell unerwartete Dinge. Man sollte sich für jedes Problem einen Notfallplan zurechtlegen, denn früher oder später wird man darauf zurückgreifen müssen.

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