Drogen

Das tust du deinem Körper an, wenn du zu viel Kaffee trinkst

Wenn wir ohne Koffein nicht mehr durch den Homeoffice-Tag kommen, kann sich schnell ein ungesunder Teufelskreis entwickeln.
Eine Illustration zeigt drei schwarze Hände, die aus gelben Kaffeetassen ragen; wir erklären, wieso zu viel Kaffee schlecht für den Körper ist
Illustration: Lenny Maya

Das Jahr 2020 hat vieles verändert. Als sich das Coronavirus über den Erdball verbreitete, musste sich die Welt an Lockdowns und andere einschränkende Maßnahmen anpassen. Dabei gibt es unterschiedliche Wege, mit der Situation klarzukommen. Für viele Menschen ist das Kaffee.

Nehmen wir als Beispiel Kolumbien. Während des ersten Lockdowns, der dort von März bis September 2020 dauerte, ging der Kaffeekonsum stark nach oben. Laut der Non-Profit-Organisation National Federation of Coffee Growers tranken die Menschen in Kolumbien im März, April und Mai 2020 im Vergleich zum gleichen Vorjahreszeitraum 30, 24 und 26 Prozent mehr Kaffee. In Deutschland stieg der Kaffeekonsum laut dem Deutschen Kaffeeverband im März und April 2020 im Vergleich zum gleichen Vorjahreszeitraum um drei Prozent.

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Échele Cabeza ist eine Organisation, die ein Bewusstsein für psychoaktive Substanzen schaffen will. Laut einer Umfrage der Gruppe, ist Koffein während des Lockdowns die am dritthäufigsten konsumierte psychoaktive Substanz in Kolumbien. Es seien sogar viele Leute auf den Zug aufgesprungen, die vorher nie Kaffee getrunken haben. Auch der Deutsche Kaffeeverband berichtet, dass es einen Anstieg beim Kaffeekonsum zu Hause gegeben habe, während der Konsum außer Haus signifikant einbrach.


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Diana Agudelo, Psychologin und Dozentin an der Universidad de los Andes, sagt, dass die Monotonie der Lockdowns viele Menschen dazu gezwungen habe, mehr Hirnpower einzusetzen, um mit dem Alltag klarzukommen. Viele ihrer Patienten berichteten von Müdigkeit und einem Gefühl der Überforderung, weil sie jeden Tag arbeiten, zu Hause putzen, kochen und sich um die Familie kümmern müssen. Das Resultat dieser Vierfachbelastung: ein riesiger kognitiver Kraftakt, der genauso ermüdend ist wie ein Workout. Gerade Eltern haben es besonders schwer, da sie neben der Arbeit im Homeoffice auch noch Lehrer für ihre Kinder spielen müssen. In dieser Situation würden laut Agudelo viele Leute für den nötigen Energieschub auf ein paar zusätzliche Tassen Kaffee setzen.

Für die 27-jährige Journalistin María Fernanda Fitzgerald bedeutete die verschwimmende Grenze zwischen Arbeit und Privatleben, dass sie nicht mehr nur fünf, sondern zehn Tassen Kaffee am Tag trank: "Das geschah total unterbewusst", sagt sie. "Immer wenn ich müde war, machte ich mir einen Kaffee. Diese Entwicklung verursachte bei mir Angstzustände, aber anfangs dachte ich noch, dass das nur eine Folge des Lockdowns sei."

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Neben den vom Homeoffice verursachten mentalen Tiefs ist ein anderer Grund für den gestiegenen Kaffeekonsum der schlechtere Schlaf. Mehrere wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass die Qualität des Schlafs während der Pandemie abgenommen hat. Und das führt wiederum zu täglichem Unwohlsein. Laut Agudelo sind drei Faktoren ausschlaggebend für diese Schlafprobleme. Zuerst fehlt es an Stimulation, etwa durch soziale Kontakte oder Aktivitäten außerhalb der eigenen vier Wände. Dann wird der Schlafrhythmus durch die Arbeit zu Hause verändert, weil man zum Beispiel früh länger schläft oder tagsüber Nickerchen macht. Und schließlich sind Angstzustände bei manchen intensiver geworden. 

Die Pandemie hat auch in Sachen mentale Gesundheit eine globale Krise losgetreten: Noch nie zuvor haben so viele Menschen an Angstzuständen, Stress und Depressionen gelitten. Das Ganze kann Menschen dazu bringen, den Tag nur mit ausreichend Koffein zu überstehen. Ein Teufelskreis, denn Koffein hat dann wieder einen negativen Effekt auf den Schlaf. "Kaffee erhöht die Koffein-Toleranz, weshalb man mit der Zeit immer mehr davon trinken muss, um den gleichen Effekt zu erzielen", erklärt Agudelo. An ein paar wenigen Tassen Kaffee mehr am Tag gibt es eigentlich nichts auszusetzen, aber die Psychologin warnt davor, dass die Kombination aus Angstzuständen, Koffein-Konsum und Schlafproblemen zu ernsthaften psychischen Gesundheitsproblemen führen könne.

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Die 24 Jahre alte Laura Morales machte gerade ein extrem forderndes Praktikum bei einem Nachrichtensender, als der Lockdown begann. Durch die Arbeit von zu Hause aus seien ihre Arbeitstage nur noch länger und anstrengender geworden. Um ihr Pensum zu schaffen, habe Morales von 10 Uhr früh bis 3 Uhr nachts gearbeitet und dabei immer mehr Kaffee getrunken, um den fehlenden Schlaf auszugleichen. Dann brach sie zusammen.

"Ich stand unter unglaublich viel Druck und fing an, wie wild zu zittern. Ich konnte nicht aufhören zu weinen und fühlte mich eingeengt", sagt Morales. "Es brauchte eine Weile, bis ich mich wieder beruhigt hatte." Ihr sei klar geworden, dass Kaffee ihr in dieser stressigen Situation nicht gut tat – schon vor dem Nervenzusammenbruch sei ihr aufgefallen, dass ihre Beine nach der dritten Tasse Kaffee zitterten. Von da an sei Morales von Koffein zu entkoffeiniertem Kaffee umgestiegen und habe gekündigt. Zwar habe sie es in ihrem neuen Job noch mal mit Kaffee versucht, aber ihr werde davon immer noch schlecht.

Valeria Querubín ist im Kommunikationssektor tätig und musste ihren Kaffeekonsum ebenfalls nach einem Nervenzusammenbruch zurückfahren. Sie sagt, dass Kaffee ihr zwar dabei geholfen habe, wieder in gute Stimmung zu kommen, langfristig aber zu schädlich für ihr Nervenkostüm gewesen sei. "Ich konnte plötzlich nicht mehr gut schlafen", sagt sie. "Ich bin immer mitten in der Nacht aufgewacht und musste über meine Arbeit nachdenken. Außerdem kaute ich mir die Fingernägel blutig."

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Angst aktiviert das sympathische Nervensystem, erklärt Agudelo. Dieser Teil des autonomen Nervensystems ist verantwortlich für körperliche Anpassungen, etwa das Schwitzen als Reaktion auf höhere Temperaturen, sowie die sogenannte Kampf-oder-Flucht-Reaktion, also die physiologische Antwort des Körpers auf Stress.

"Koffein aktiviert die gleiche autonome Reaktion", sagt Agudelo. In anderen Worten: Wer Kaffee trinkt, triggert in seinem Körper die gleichen Reaktionszentren wie Stress. Um einschlafen zu können, muss der Körper das sympathische Nervensystem runterfahren und gleichzeitig das parasympathische Nervensystem hochfahren. Das ist allerdings nicht so einfach, wenn Koffein im Spiel ist.

Die 26-jährige Andrea Yepes sagt, dass sie Kaffee während der Arbeit jetzt nicht mehr einfach so nebenbei trinke, sondern nur noch, wenn sie eine Pause mache. Dabei gehe sie auf ihren Balkon und lasse ihren Laptop links liegen – ein Schritt, durch den sie das Getränk jetzt mit Entspannung assoziiere und nicht mehr mit Produktivität. Ähnlich beschreibt es der 27 Jahre alten Santiago Hernández: Er sagt, dass er sich inzwischen mit verschiedenen Arten des Kaffeebrauens beschäftige und sich richtig Zeit nehme, wenn er sich seinen Kaffee zubereite. So setze er sich bewusster mit seinem Tagesrhythmus auseinander. 

Es gibt aber auch noch andere Möglichkeiten, den Kaffeekonsum zu reduzieren. Agudelo empfiehlt, auch im Homeoffice eine gewisse Routine zu etablieren – zum Beispiel, indem man immer zu einer festgelegten Zeit aufsteht und sich auch ohne anstehende Termine richtig anzieht.

Natürlich kann Kaffee helfen, wenn man einen Energieschub braucht, um die täglichen Aufgaben zu erledigen. Wenn du jedoch das Gefühl hast, dass dein Koffeinkonsum überhandnimmt, dann solltest du innehalten und darüber nachdenken, ob es zur nächste Tasse Kaffee nicht auch eine Alternative gibt.

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