Foto bereitgestellt von Melina Sophie
In dieser Serie veröffentlichen wir gekürzte Auszüge aus dem neuen Buch "Coming-out" des VICE-Autoren Sebastian Goddemeier, erschienen im riva Verlag.
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Auch bei VICE: Finden alte Leute andere alten Leute heiß?
Wenn sie auf ihre Kindheit zurückblickt, fällt ihr auf, dass ihr schon sehr früh klar war, dass sie Frauen liebt. "Rückblickend wusste ich schon im Kindergarten, dass ich lesbisch bin. Ich habe mich damals nach Frauen umgedreht, nicht nach Männern. Damals fehlte mir aber noch das Bewusstsein." Auf dem Land gab es allerdings keine lesbischen Vorbilder, keine alternativen Lebensrealitäten zur heteronormativen."Es ist auf dem Dorf auf jeden Fall schwieriger, sich als lesbische Frau zu finden. Es hat Jahre gedauert, bis ich mich outen konnte." Mit 18 kam Melina zum ersten Mal auf den Gedanken, dass sie lesbisch sein könnte. Das ist sehr viel Zeit, die sie in ihrer Entwicklung verpasst hat. "Mein Gedankengang war: Vielleicht bin ich lesbisch, aber das kann nicht sein, das will ich nicht, das darf ich nicht, das soll nicht sein. Ich hatte so große Angst vor den Konsequenzen. Weil ich wusste, dass Homosexuelle immer noch nicht so akzeptiert werden, wie es eigentlich der Fall sein sollte." Homosexuelle wurden in den Medien als andersartig und aussätzig dargestellt. Dadurch machte sie sich vor allem Sorgen, wie die Menschen in ihrem Umfeld reagieren würden.
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Mit 19 zog Melina nach Köln. Auf YouTube hatte sie sich bereits einen Namen gemacht: Ihre Abonnenten begleiteten sie beim Weihnachtsbaumkauf und auf Taxifahrten. 500.000 Menschen rufen ihre Videos auf. In der Stadt am Rhein lebte sie in einer Wohngemeinschaft mit Sängerin und Vloggerin Shirin David. "Ich habe den Mut, mich zu outen, erst bekommen, als ich nach Köln gezogen bin – Köln, ne? Gay city number one!", zwinkert sie in die Kamera ihres iPhones. "Dort habe ich Menschen kennengelernt, die auch homosexuell sind. In Bars und Clubs zum Beispiel. Das hat mir Sicherheit gegeben. Ich konnte mich endlich identifizieren.""Das ist ein kompletter Identitätswechsel. Diesen zu machen ist schon sehr schwer – für mich und für alle Menschen in meinem Leben."
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"Ich wollte mich vor niemandem mehr verstecken. Nicht vor meinen Freunden, meiner Familie und schon gar nicht vor meiner Community." Melina wollte Freiheit. "Ich dachte: Wenn ich in Köln mit einer Frau Hand in Hand durch die Stadt laufen würde, würde ich blöde Blicke bekommen. Das wollte ich nicht. Deswegen musste ich es rausschreien – damit ich privat und öffentlich ich selbst sein konnte." Deswegen saß sie am 31. Juli 2015 in ihrem Zimmer und outete sich vor einem Millionenpublikum.Zu diesem Zeitpunkt war Melinas öffentliches Coming-out ein Spektakel. "Damals war das ein Thema, das auf YouTube noch kaum Beachtung fand. Deswegen hat das Video so viele Klicks generiert. Das ist nun fünf Jahre her, seitdem hat sich so viel getan." Vor allem für Melina selbst: Das Video war so wichtig für sie, damit sie ihr Leben authentisch leben konnte – als lesbische Frau. "Ich habe das so lange mit mir herumgetragen, ich wollte diese Last nicht mehr."Nachdem Melinas Coming-out im Privaten so reibungslos verlaufen war, geriet sie bei ihrem öffentlichen Bekenntnis etwas ins Stolpern. Unter ihrem Video entlud sich Hass ungefiltert in den Kommentaren: "Geh dich erhängen, das ist nicht normal, ich schlage dich zusammen – ganz, ganz schlimme Sachen. Gott sei Dank habe ich auch positives Feedback bekommen. Und das hat überwogen." Außerdem lernte Melina durch diese Erfahrung, die negativen Stimmen auszuschalten. "Ich muss ganz ehrlich sagen, dass mich die negativen Kommentare damals überhaupt nicht beeinflusst haben. Ich war endlich ganz ich selbst, das war mir wichtiger." Ihre neu gefundene Selbstliebe übertrumpfte den Hass der Internet-Trolle. Melina hatte durch ihr Coming-out Selbstsicherheit und Selbstbewusstsein gewonnen: Was andere sagten, war ihr von nun an egal."Ich muss mich immer wieder outen. Aber das ist okay, ich finde das gut. Nur so erzeugt man Sichtbarkeit."
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