Illustration mit einem grimmig dreinschauenden blauen Mann, der mit Kopfhörern und verschränkten Armen vor einer Frau sitzt, der Freund einer Leserin rutscht immer mehr in eine antifeministische Echokammer ab.
Illustration: Djanlissa Pringels 
Menschen

Mein Freund wird immer frauenfeindlicher, was soll ich tun?

"Manchmal macht er Andrew-Tate-Podcasts beim Abendessen an."

"Frag VICE" ist eine Artikelreihe, bei der uns Leserinnen und Leser bitten, ihnen bei verschiedenen Problemen zu helfen – egal, ob es sich um nicht erwiderte romantische Gefühle oder den Umgang mit nervigen Mitbewohnern handelt. Heute hoffen wir, einer Leserin zu helfen, deren Partner langsam in einem antifeministischen Kaninchenbau verschwindet.

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Hi VICE,

ich bin mit meinem Freund seit fast zwei Jahren zusammen und bis vor Kurzem dachte ich noch, unsere Beziehung sei perfekt. Ich fühle mich sehr zu ihm hingezogen: Er ist selbstbewusst, gepflegt und hat sein Leben im Griff. Wir haben viele gemeinsame Freunde, gehen gerne Essen, in Clubs oder machen schöne Ausflüge. In einigen Aspekten unterscheiden wir uns aber sehr.

Unsere erste tiefergehende Unterhaltung endete in einer bizarren Diskussion über Kim Kardashian. Obwohl er ihr bei Instagram folgt, findet er es "abgefuckt, dass sie mit ihrem Körper Geld verdient". Für ihn sei das ein Beweis dafür, dass Frauen es im Leben leichter haben. Natürlich war ich komplett anderer Meinung, worauf er antwortete: "Wie schön, dass du sie so in Schutz nimmst." Außerdem hätte ich noch eine Menge über die Welt zu lernen.

Ich dachte mir, seine Ansichten würden mit der Zeit schon etwas ausgewogener werden – und eine Weile schien es auch so. Aber manchmal sagt er sehr frauenfeindliche Sachen. Vor allem, wenn wir mit seinen Kumpels unterwegs sind und Alkohol trinken.

Ich habe oft das Gefühl, dass er manche Sachen nur sagt, um mich zu ärgern. Er streitet sich gerne. Ich bin auch selbst ein bisschen so. Manchmal fühlt es sich an, als würden wir ein Spielchen spielen. In den letzten paar Monaten allerdings scheint es so, als würde er sich immer weiter darin verlieren.

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Zum Beispiel hört er sich Podcasts von Andrew Tate an, dem selbsternannten Antifeministen, der vor Kurzem wegen mutmaßlichen Menschenhandels und Vergewaltigungsvorwürfen in Rumänien verhaftet wurde. Manchmal macht er den Podcast sogar beim Abendessen an. Seine Begründung: Ich müsse hören, was Andrew sagt. Mir wird davon wirklich schlecht.

Er hat auch angefangen, Frauen als "Gold Digger" zu bezeichnen, also als geldgeil, die manchmal nur danach fragen würden, geschlagen zu werden. Männer, die auf viel jüngere Frauen stehen, sind seiner Meinung nach wiederum ein Zeichen "natürlicher Selektion". Kürzlich sagte er, dass es mich unattraktiv machen würde, wenn ich über meine Karriere rede. Wir leben noch nicht zusammen und er hat jetzt angefangen, mir Nachrichten zu schreiben, um zu fragen, was ich gerade mache.

Aber es ist nicht alles schlecht: Es gibt auch sehr schöne Momente in unserer Beziehung. Mir ist aufgefallen, dass er solche Sachen vor allem sagt, wenn es ihm nicht gut geht. Das Problem ist nur, dass es ihm in letzter Zeit überhaupt nicht mehr gut geht. Er weigert sich allerdings, sich Hilfe zu suchen.

Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich bin immer noch sehr verliebt in ihn – und weil das so ist, habe ich das Gefühl, ihm noch helfen zu können. Gleichzeitig finde ich es durch und durch abstoßend, wie er über Frauen redet. Ich traue mich auch gar nicht, mit meinen Freundinnen und Freunden darüber zu sprechen. Die würden sonst nie wieder etwas mit ihm zu tun haben wollen.

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Schafft er es wieder aus dem Loch oder sind wir beide einfach zu verschieden, um zusammen zu sein?

Danke

M.


Liebe M.,

leider spricht Andrew Tate viel mehr Menschen an, als man denkt. Bevor er im August vergangenen Jahres auf den meisten Social Media Plattformen gesperrt wurde, hatte er 4,6 Millionen Instagram-Follower, 744.000 YouTube-Abonnenten und bei TikTok sammelten Videos mit dem Hashtag #AndrewTate Milliarden von Views. Es wäre auch naiv zu denken, dass sich nur Loser für ihn begeistern. Viele seiner Follower sind erfolgreich und haben Beziehungen.

Generell sind antifeministische Einstellungen wieder auf dem Vormarsch, wie zum Beispiel die aktuelle Leipziger Autoritarismus-Studie zeigt. So stimmten 24,6 Prozent der Befragten 2022 der Aussage zu: "Frauen übertreiben ihre Schilderungen über sexualisierte Gewalt häufig, um Vorteile aus der Situation zu schlagen." 2020 waren es noch 17,2 Prozent.

Auf Reddit teilte eine Userin vor Kurzem eine ähnliche Geschichte wie deine. Die Antwort der Community war ziemlich eindeutig: "Setz ihn vor die Tür!" Aber natürlich ist es im Leben nicht immer so einfach. Du hast eindeutig weiterhin starke Gefühle für deinen Freund, aber seine negativen Ansichten zu Frauen betreffen auch dich.

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Sarah Bracke ist Dozentin für Soziologie und Genderstudies an der Universität von Amsterdam. Bereits in einem früheren Interview mit VICE wies sie darauf hin, dass sich die Gesellschaft im Wandel befindet. "Der Feminismus und LGBTQ+-Rechte haben signifikante Fortschritte gemacht und auch trans Menschen sind immer sichtbarer. Und ja, das bedeutet, dass die traditionelle Männlichkeit unter Beschuss steht." Eine Folge dieser Herausforderung ist, dass einige Männer eine Art existenzielle Krise durchleben. "Privilegien aufzugeben, ist selten leicht", sagt Bracke. "Manche sind wütend, fühlen sich wie Versager oder haben den Eindruck, dass es für Männer wie sie keine Möglichkeiten in der Gesellschaft mehr gibt."

Antifeministischen Influencern wie Andrew Tate ist es gelungen, Kapital aus diesen Ängsten zu schlagen und sich ein großes Feld von Followern aufzubauen. Anstatt Menschen dazu zu motivieren, an sich selbst zu arbeiten, um diese Ängste zu überwinden, leiten sie diese auf einen gemeinsamen Feind um: Frauen.

Auch die Amsterdamer Psychologin Joey Steur begegnet diesem Phänomen immer wieder bei ihrer Arbeit als Paartherapeutin: "Ich spreche mit vielen Männern, die nicht länger wissen, was genau ihre Rolle in der Gesellschaft ist." Diese Unsicherheit spiegle sich auch in den Beziehungen ihrer Patienten wider. Oft seien sie ratlos, was sie ihren Partnerinnen in einer Welt, in der die konventionelle Arbeitsteilung keine Rolle mehr spielt, noch bieten können. "Als Therapeutin nehme ich diese Gefühle ernst", sagt Steur. "Ich sage ihnen auch, dass sie nicht allein damit sind und dass es OK ist, darüber zu sprechen."

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Zur therapeutischen Arbeit gehört es auch, Einstellungen Schicht für Schicht von ihrem ideologischen Überbau zu befreien. Das ermöglicht den Patienten am Ende Einblicke in ihr Verhalten und ihre Gefühle. Das ist notwendig, bevor sie und ihre Partner überhaupt versuchen können, einen Kompromiss zu finden. Steur denkt deswegen, dass eine Paartherapie die optimale Lösung für euer Beziehungsproblem wäre.

Aber wie du sagst, scheint dein Partner nicht bereit dafür zu sein. Gibt es also vielleicht etwas, das du selbst tun kannst? "Dein Partner scheint in seiner Denkweise steckengeblieben zu sein", sagt Steur. "Er sagt Dinge, die dich betreffen, und du reagierst in bestimmter Weise." Diese ständige Reibung führe dazu, dass ihr euch emotional voneinander entfernt. "Aber du schreibst auch, dass du ihn noch liebst und ihn verstehen willst", sagt Steur. "Dieses Gefühl bietet die Möglichkeit, sich einander wieder anzunähern."

Du könntest versuchen, die Dinge, über die er spricht, distanziert zu betrachten. Es ist normal und nachvollziehbar, dass dir seine Ansichten über deine Karriere oder Gewalt gegen Frauen sehr nahe gehen, schließlich betreffen sie dich selbst. Aber Steur ist der Meinung, dass emotionale Reaktionen auf seine Provokationen nur weiter die toxische Dynamik verstärken. "Viele Paare werden in solchen Konflikten sehr schnell defensiv", sagt sie. "Das macht die Kommunikation feindselig und hält euch davon ab, zum Kern des Problems zu kommen"

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Stattdessen, schlägt Steur vor, könntest du versuchen, einen Safe Space für ihn zu schaffen, in dem er frei über dieses Unsicherheitsgefühl reden kann, das seinen Aussagen zugrunde liegt, ohne Angst haben zu müssen, dafür verurteilt zu werden. Wahrscheinlich ist das nicht leicht. "Es kann auch helfen, wenn du ihn in einem ruhigen Moment, in dem ihr euch gerade nicht streitet, fragst, warum er solche Dinge sagt", sagt Steur. "Frag ihn zum Beispiel, wie er zu seinen Ideen und Vorstellungen kommt und ob er mit seinen Freunden darüber redet." Um dich selbst zu schützen, solltest du dich laut Steur daran erinnern, dass sein Denken und seine Einstellung viel mehr mit ihm selbst als mit dir zu tun hat.

Im Idealfall beginnt dein Freund dann, langsam die emotionalen Ursachen für sein Denken zu verstehen und daran zu arbeiten. "Wenn er diesen Punkt erreicht hat, kann er auch seinen Weg zurück zu dir finden", sagt die Therapeutin. "Und dann wirst du ihm sagen können, wie sehr seine Aussagen dich treffen."

Aber es ist auch gut möglich, dass er sich dir gegenüber nicht öffnen oder emotional angreifbar machen will. Du musst dann ehrlich mit dir sein und dir überlegen, was noch akzeptabel für dich ist. Es ist normal, dass Paare sich uneinig sind, sogar in wichtigen Dingen wie Erziehung oder dem Umgang mit Geld. "Aber wir alle haben Dinge, die so wichtig für uns sind, dass wir dabei unmöglich einen Kompromiss eingehen können." 

Es ist wichtig, dass du erkennst, welche Dinge das für dich sind, und dich dann traust, eine Grenze zu ziehen. Ja, es besteht die Möglichkeit, dass ihr es nicht schafft, euer Problem zu lösen, und es am Ende besser ist, getrennte Wege zu gehen. "Aber dann wirst du dein Bestes gegeben haben – mehr geht nicht", sagt die Therapeutin.

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