george floyd

Diese Politikerin will, dass ihr keine Bilder von sterbenden Schwarzen teilt

Auch, wenn ihr es gut meint.
Die Schwarze Politikerin Aminata Touré steht an einem See, sie sprricht mit uns über George Floyd und Rassismus
Foto: Aminata Touré

Es war wie eine Zeitschleife. Schon wieder wurde ein Schwarzer Mann bei einem Polizeieinsatz getötet. Schon wieder ging ein Video des Todes viral. Und wieder sagte ein Mann kurz bevor er erstickte, den Satz, der seit fast fünf Jahren einer der Slogans der "Black Lives Matter"-Bewegung ist: "I can't breathe".

George Floyd starb, nachdem ein Polizist minutenlang auf seinem Hals gekniet hatte. Der Fall erinnert an den Tod von Eric Garner 2014, der eine US-weite Bewegung gegen rassistische Polizeigewalt ausgelöst hatte. Und in Deutschland?

Anzeige

Tobt die Debatte, ob es okay ist, das brutale Video zu teilen. Aminata Touré sagt: Nein. Aminata ist Vizepräsidentin des schleswig-holsteinischen Landtags, Sprecherin für Antirassismus der grünen Landtagsfraktion – und eine von wenigen Schwarzen, deutschen Politikerinnen.

Sie erklärt, was der Fall George Floyd mit uns zu tun hat. Und warum wir, statt über unsere eigenen Rassismusprobleme zu sprechen, lieber mit dem Finger auf die USA zeigen. Wir haben mit ihr gesprochen.

VICE: Aminata, hast du das Video vom Tod George Floyds gesehen?
Aminata Touré: Nein, ich hab mir das nicht angeguckt.

Warum?
Weil ich das nicht sehen möchte. Ich finde das zu brutal.

Findest du, das Video hätte nicht viral gehen dürfen?
Viele glauben, man müsse die Brutalität sehen, um sie zu verstehen. Es gibt auch Menschen aus der Schwarzen Community, die es wichtig finden, das zu teilen. Ich sehe das anders. Es fehlt nicht an Beweismaterial oder Statistiken. 2019 gab es in den USA 1.099 Fälle, bei denen Menschen von der Polizei getötet wurden. 24 Prozent derer waren Schwarze Menschen, obwohl Schwarze nur 13 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen. Mir reicht die Zahl, um ein klares Bild zu haben. 400 Jahre institutioneller Rassismus – das ist Beweis genug.


Auch bei VICE: Die Black Women's Defense League kämpft mit Waffen gegen Rassismus


Aber wäre "Black Lives Matter" jemals so stark geworden, ohne das millionenfach geteilte Video von Eric Garners Tod?
Die Frage ist immer, wer Sender und wer Empfänger ist. Ich persönlich brauche kein weiteres Video davon. Und viele Schwarze Menschen, und solche, die sich mit Rassismus auseinandersetzen, brauchen dieses Beweismaterial auch nicht, um zu wissen: Wir haben wirklich ein Problem.

Anzeige

In den letzten Jahren bekomme ich ständig solche Clips geschickt. Nicht nur virale: Menschen schicken mir über Instagram oder andere Kanäle auch Videos, die sie privat gefilmt haben. Ich bin Politikerin, da ist das irgendwie verständlich – aber auch ganz viele Schwarze Privatpersonen werden damit bombardiert. Nach dem Motto: Hier guck mal was passiert ist. Wir werden dadurch permanent zu Zeugen brutaler Gewalt gegen uns gemacht. Ich denke dann immer: Mir brauchst du das nicht zeigen – ich weiß das.

In Gegen den Hass erzählt die Journalistin Carolin Emcke das Video von Garners Tod in allen grausamen Details nach, Sequenz für Sequenz. Ist das auch falsch?
Nein, ich finde es richtig, zu berichten. Das muss offengelegt und dargelegt werden. Aber die Frage ist, welche Form wähle ich? Viele Menschen teilen einfach ein Bild von Floyd, das ist meiner Meinung nach die bessere Lösung.

Sollte man überhaupt mit der Kamera draufhalten, wenn man glaubt, Polizeibeamte verhalten sich nicht korrekt?
Ja. Das ist wichtig, um später als Beweismaterial damit arbeiten zu können. Darüber diskutiere ich auch gar nicht. Die Frage ist: Kippt das dann in Voyeurismus? Und warum setzen wir uns mit dem Problem hinter der Gewalt nur auseinander, wenn gerade etwas passiert ist? Strukturelle Gewalt ist Alltag.

"Die Frage ist: Kippt das dann in Voyeurismus? Und warum setzen wir uns mit dem Problem hinter der Gewalt nur auseinander, wenn gerade etwas passiert ist? Strukturelle Gewalt ist Alltag."

Anzeige

George Floyd starb in den USA. Hat sein Tod überhaupt etwas mit dir als Schwarzer Deutscher zu tun?
Ich werde oft kritisiert, wenn ich Schwarze anderswo auf der Welt "Schwestern" und "Brüder" nenne. Ich dürfe mich nicht mit jedem Schwarzen solidarisieren. Aber wir teilen ja nicht nur die Hautfarbe, sondern die Erfahrungen, auch wenn die variieren, je nachdem wo wir leben. Ich habe in meiner Arbeit in Europa und in den USA Schwarze Menschen und Organisationen getroffen, da habe ich das auch festgestellt. Und wir sind ja nicht dämlich: Wir wissen, dass es auch Schwarze Menschen gibt, mit denen wir politisch nicht klarkommen.

Trotzdem gibt es einen Unterschied zwischen rassistischer Polizeigewalt in den USA und bei uns.
Ja, allein schon die Zahlen. Und es gibt dort ganz andere Waffengesetze: Viele Lynchmorde begehen Zivilistinnen, die sehr einfach an Waffen kommen. Aber wir haben uns auch in Schleswig-Holstein gerade dafür eingesetzt, dass die Waffengesetze noch restriktiver werden – gerade nach den Attentaten von Hanau.

Natürlich gibt es in den USA die Geschichte der Sklaverei. Dafür haben wir hier in Deutschland massenhaft koloniales Erbe, das nicht ausreichend aufgearbeitet ist. Es gibt generell wenig Bewusstsein für die historische Tradition von Rassismus in Deutschland. Vielen wissen nicht, dass zur Nazizeit auch Schwarze Menschen verfolgt wurden.

"Es gibt generell wenig Bewusstsein für die historische Tradition von Rassismus in Deutschland."

Anzeige

Die Anzahl bekannter Todesfälle in Zusammenhang mit rassistischer Polizeiarbeit ist bei uns kleiner. Sind unsere Probleme weniger massiv – oder schauen wir nicht genau genug hin?Finde ich problematisch, das zu nivellieren. Wir haben hier andere Probleme, aber wir müssen uns trotzdem mit strukturellen Problemen in unseren Institutionen auseinandersetzen. Die Erwartungshaltung, dass wir als Menschen, die von Rassismus betroffen sind, erst tätig werden dürfen, wenn wir zuhauf ermordet werden, finde ich heftig.

Vergangene Woche wurde ein Vater einer Roma-Familie bei Freiburg von einem Polizeihund verletzt. Den Beamten wird Rassismus vorgeworfen. Das hat kaum jemanden interessiert.
Es ist sicher einfacher mit dem Finger irgendwo hinzuzeigen, als sich mit der eigenen Situation auseinanderzusetzen. Natürlich beeinflusst das, wie oft solche Fälle geteilt werden.

Der Europarat hat Deutschland erst im März aufgefordert, mehr Antirassismus-Trainings für Polizisten zu machen. Woran hakt es da?
In Schleswig-Holstein setze ich mich dafür ein. In unserem Koalitionsvertrag steht, dass alle Ministerien Maßnahmen für unseren Aktionsplan gegen Rassismus vorschlagen sollen. Auch das Innenministerium im Bereich Polizei. Die Polizeischule nimmt an "Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage teil". Justizpersonal – auch Richter und Staatsanwälte – werden erstmals in einem Projekt mit dem Deutschen Institut für Menschenrechte für Rassismus sensibilisiert.

Sind Antirassismus-Trainings nicht sowieso zu wenig?
Wir fangen derzeit wirklich, literally bei Null an. Es gibt gar nichts, irgendwo müssen wir beginnen. Und Anti-Bias-Trainings sind immer noch besser, als wenn es einmal im Jahr eine Menschenkette gibt, wir eine Fahne hissen und sagen: Rassismus ist doof.

Im Fall Eric Garner wurde letztes Jahr das Verfahren eingestellt. Der Fall Oury Jalloh, in dem viele Fragen offen bleiben, auch. Dass rassistisches Verhalten keine harten Konsequenzen hat, ist doch ein Problem?
Wir leben nicht in einem rechtsfreien Raum. Bei Fehlverhalten gibt es Verfahren und man kann vom Dienst entlassen werden. Wir hatten in Schleswig-Holstein Auszubildende, die sich sexistisch und rassistisch geäußert haben – die wurden rausgekickt. Und die Sensibilisierung für das Thema fehlt nicht nur in Institutionen, sondern auch in der Politik. Und manchmal fehlt es nicht am Bewusstsein, sondern am politischen Willen das durchzutragen.

Folge Thembi bei Twitter und VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.