Popkultur

YouTube braucht mehr Ehrlichkeit

Dagi Bee und Sophia Thomalla beim Webvideopreis 2015. Foto: Deutscher Webvideopreis | Flickr | CC BY 2.0

Am vergangenen Wochenende wurden mit dem Webvideopreis die Oscars der Generation YouTube vergeben und wer bei dieser Beschreibung nicht an strahlende Jugendliche mit schneeweißen Zähnen und hochdotierten Sponsoring-Verträgen denkt, der—ist wahrscheinlich ein weniger zynischer Mensch als ich. YouTube, eigentlich kreative Spielwiese für engagierte Filmemacher, denen Mittel und Verbreitungswege fehlen, um ihre Ideen anderweitig zu realisieren, steht mittlerweile fast synonym zu inhaltsbefreiten Blabla-Videos von jungen Menschen, die zum Teil zwar noch keinen Schulabschluss, dafür aber bereits 1 Million Follower auf Instagram haben. Das mag ein Problem der Außenwahrnehmung sein und mit der tatsächlichen inhaltlichen Verteilung der Plattform rein gar nichts zu tun haben. Trotzdem wirken die ganzen Bienchen, Löwenkinder und Saminators da draußen für jeden Menschen jenseits der Geschlechtsreife überaus abschreckend.

Warum ist das so? Wie kann man das ändern? Durch mehr alternativ aufgezogene Nachrichtenaufbereitung a la LeFloid? Anspruchsvolle Comedy von [insert Name here, die Autorin hat bis auf vereinzelte Perlen nämlich noch nichts gefunden, was sie diesbezüglich so richtig glücklich gemacht hat]? Vielleicht wird man irgendwann zynisch in diesem ganzen Medienzirkus oder man hat schon zu oft hinter die Kulissen geschaut, und weiß, wie viel Spaß es wirklich macht, mit der perfekten Kameraeinstellung zu kämpfen und in ausgelutschten Videokategorien denken zu müssen, weil sie halt funktionieren und man ja irgendwie auch den Markt bedienen muss. Aber: wenn wir YouTube schon als Plattform der absoluten Narrenfreiheit feiern, darf es dann nicht gerne auch ein bisschen rotziger sein? Gerade weil man eben—im Rahmen der Jugendschutzvorschriften und Nutzungsbedingungen—wirklich machen kann, was man will? Was YouTube wirklich braucht, um dem eigenen Anspruch des anarchisch angehauchten „Alles kann, nichts muss” genügen zu können, ist ein bisschen mehr Hass—oder zumindest ehrliche Emotionen. So. Ich habe es gesagt.

Videos by VICE

Auf diese bahnbrechende Erkenntnis hat mich tatsächlich der Webvideopreis gebracht, die Preisverleihung, die neben besonders aufwendigem und anspruchsvollen Schnitt oder super Sounddesign eben auch die Leute auszeichnet, die in ihren Vlogs Kommentare kommentieren oder bei Community-Veranstaltungen wie den Videodays für mittlere Nervenzusammenbrüche beim jungen Publikum sorgen. In der Kategorie „Lifestyle” gewann nämlich nicht der Gute-Laune-Terrorist Sami Slimani oder das immer etwas quengelig klingende Doppelkinn(d) Liont, die im Monat Millionen erreichen (und im Übrigen auch nicht nominiert waren). Der Sieger hieß Michael Buchinger, wurde für sein Format „Michaels Hass-Liste” ausgezeichnet und ist das mit Abstand erfrischendste, was ich seit langem auf YouTube gesehen habe.

Mit 63.000 Abonnenten ist der Österreicher weit von dem entfernt, was man als einen YouTube-Star bezeichnen könnte. Er ist permanent wütend, oder zumindest angemessen aufgebracht, verzichtet auf schmissige Einspieler und behandelt trotzdem irgendwie alle die Themen, die so typisch für YouTube sind: Verrät Dinge über sich selbst, gibt Tipps zu Schulthemen („Wie man ein gutes Referat hält”), präsentiert seinen Kleiderschrank und beantwortet Userfragen. Sehr oft trinkt er dabei Wein. Nicht alles davon ist der absolute Gipfel der Unterhaltung, was Michael aber wirklich gut macht ist—ob nun beabsichtigt oder nicht—die komplette Skurrilität gängiger YouTube-Formate aufzuzeigen. Insbesondere mit seiner DIY-Bastelreihe „Das pinteressiert mich nicht!”

„Hallo, Michael Buchinger hier. Ich trage ein Flanellhemd, wie alle Leute, die gerne basteln und dann im hohen Alter bemerken, dass sie lesbisch sind.”

YouTube ist bekannt für seine Satirevideos, die meistens irgendwo zwischen ziemlich gut und spontaner Lobotomie-Sehnsucht rangieren. Wenn ich also sage, dass ich mir mehr Hass, mehr Edgyness, mehr Kanten wünsche, dann spreche ich nicht davon, dass sich mehr Leute Perücken aufsetzen und mit dem Finger auf andere zeigen sollen. Dann möchte ich Personen, die so authentisch sind, dass ich sie ernstnehmen oder zumindest ansatzweise respektieren kann. Wenn es da draußen wirklich Leute gibt, die unbedingt das neueste Contouring-Video von BibisBeautyPalace sehen wollen, nichts lustiger finden als die Musikvideos von Y-Titty oder es nicht erwarten können, mehr über Dagis und Timos Beziehung zu erfahren—bitte. Have fun. Aber insbesondere dann, wenn man eben schon ein bisschen länger volljährig ist, möchte man womöglich keine Banalitäten aus dem Leben von Menschen erfahren, die mit ihren Zuschauern sprechen, als würden sie einem Komapatienten Nagellack andrehen.

Interview mit Rocketbeans TV: „Uns wird vorgeworfen, wir wären stur und würden YouTube nicht verstehen.”

Ich freue mich wirklich, dass neben Michael auch andere Videomacher beim Webvideopreis ausgezeichnet wurden, die schon deutlich länger zeigen, wie erwachsen und gut selbstgenerierter Content sein kann und dass die Welt eines YouTubers aus mehr besteht als Sonnenschein und One-Direction-Playlists auf Spotify. Rocketbeans TV, die früher Deutschlands erfolgreichste Videospiele-Sendung Game One produziert haben, setzten sich in der Kategorie „Person of the Year – MALE” gegen den erfolgreichsten deutschen YouTuber überhaupt, Gronkh, durch. Die Hamburger machen Nerd-Content für Liebhaber und Popkulturjunkies und wenn was nicht gut ist oder nicht gut läuft, dann wird auch mal rumgebrüllt.

Klassiker.

Diese Authentizität, die deutlich mehr Nahbarkeit impliziert als jedes Follow-Me-Around-Video in Instagram-Optik, macht Formate wie „Royal Beef” so erfolgreich. Eine Reihe, in der die Hauptmoderatoren Etienne, Budi, Simon und Nils in verschiedenen Games gegeneinander antreten und bei der sich, pünktlich zur besten Tatort-Zeit am Sonntagabend, regelmäßig über 30.0000 Nutzer vor dem Livestream einfinden. Oder die „Spiele mit Bart”-Videos, in denen bei Rotwein und Bier die Grauseligkeit von Adventures wie Phantasmagoria zelebriert wird. Vielleicht gelingt es auch deshalb, von Werbeeinnahmen und Spenden eine komplette Redaktion zu unterhalten. Liont muss seine minderjährigen Fans in mehreren Videos anflehen, sein schnell hingerotztes Rap-Album zu kaufen. Die ältere Zielgruppe der Rocketbeans zahlt gerne ein paar Euro im Monat, um originären Content zu unterstützen.

Noisey: Die YouTube-Community disst Kollegah.

Mit Multi-Channel-Netzwerken, Sponsoring-Deals und dem Ausblick auf die ganz große Medienkarriere hat YouTube ein Professionalisierungsruck durchlaufen, der einerseits dafür sorgen mag, dass die größte Videoplattform der Welt nicht nur aus verwackelten Handyaufnahmen und grobkörnigen Webcam-Clips mit furchtbarem Ton besteht. Andererseits tun all die stetig lächelnden Gute-Laune-Gurus mit ihrem werbeoptimierten Content und den austauschbaren Inhalten der Kreativ-Community keinen Gefallen. Das ist langweilig. Uninspiriert. Spricht zu großen Teilen eben nur die Teenies an, die sich dann eben irgendwann anderen Dingen zuwenden, wenn sie für „Boyfriend-Tags” zu erwachsen geworden sind. Das, was die breite Masse gemeinhin mit dem Begriff „YouTuber” verbindet, ist die Antithese zu allem, was die Plattform im Gegensatz zu den durchstrukturierten, etablierten Medien eigentlich sein will.

„Wenn ich eine Frau wäre, wäre ich Beauty-Blogger”—LeFloid im Interview.

Wenn wir mehr Leute brauchen, die sich vor der Kamera betrinken, um sich mal so richtig auszukotzen und der eigentlich so weitläufigen Kreativspielwiese YouTube etwas von ihrem anarchischen Charakter zurückzugeben, dann sei es so. Prost.

Lisa trinkt auch ganz gerne mal ein Gläschen. Folgt ihr bei Twitter.