Es gibt so ein paar grundlegende Überzeugungen, auf denen unsere Gesellschaft basiert. Avocados schmecken nach nichts, sind aber trotzdem irgendwie geil. Ulf Poschardt sollte jetzt wirklich endlich seinen Twitter-Account löschen. Und: YouTuber und YouTuberinnen sind nicht lustig.
Umso euphorischer war ich, als mir ein Kollege den Link zu Krass Klassenfahrt schickte – eine neue YouTube-Serie, bei der eine fiktive 12. Klasse aus Berlin bei einem einwöchigen Ausflug aufs Land begleitet wird. Verantwortlich für das Format sind Jonas Ems und Jonas Wuttke, beides YouTuber, die selbst in der Serie mitspielen. Auch der Rest des Casts setzt sich aus Influencerinnen und Influencern zusammen, mit unterschiedlich großer Reichweite.
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Das klang nach der idealen Gelegenheit für einen Text darüber, dass auch die junge Generation den Comedy-Standort Deutschland nicht retten wird. Schließlich erschöpfte sich YouTube-Comedy bisher vor allem in peinlichen Prank-Videos und unlustigen Parodien.
Schon der Trailer verspricht Rollenklischees en masse und durchwachsene Schauspieldarbietungen, die in sehr lauter Chartmusik ertränkt werden. Berlin – Tag & Nacht quasi, nur ohne hässliche Tattoos. In der ersten Folge werden direkt die offensichtlichen Anleihen an die erfolgreiche Kinoreihe Fack ju Göhte deutlich. Nicht zuletzt, weil in Krass Klassenfahrt mit Frau Ostermann eine viel zu nette Lehrerin mit von der Partie ist, die sich permanent von ihrem Kollegen “Herr Müller” im Stich gelassen fühlt.
Das offensichtlichste Vorbild ist allerdings Krass Schule – Die jungen Lehrer. Schreckliche Schauspieler stolpern bei dem RTL2-Format durch schmerzhaft dämliche Storylines. Man kann deutschen Komödien zwar einiges vorwerfen, zumindest wissen sie aber, dass sie lustig sein wollen. Scripted Reality im deutschen Privatfernsehen hingegen verzieht auch dann keine Miene, wenn sich die Zuschauerschaft vor unangenehm berührten Lachen windet, und behauptet, sich absichtlich auf’s Furzkissen gesetzt zu haben.
Auch in der YouTube-Persiflage Krass Klassenfahrt gibt es den bebrillten Streber, der von den coolen Kids gemobbt wird. Die Tussi mit der dicken Make-up-Tasche und den vielen Instagram-Followerinnen. Den Aufreißer, der es sich als Ziel gesetzt hat, möglichst viele Mädels aus der Klasse ins Bett zu kriegen. Den schwulen Mitschüler, der für einen Klassenkameraden schwärmt. Den gutmütigen Volltrottel und die schüchterne Jungfrau.
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Trotzdem passiert etwas Seltsames, als ich die erste Folge (“Eskalation am ersten Tag!”) gucke: Ich muss lachen. “Hier gibt es bestimmt nicht mal Strom, Wasser und Handyleitungen”, sagt Joleen entnervt, als der Reisebus die Schulklasse mutmaßlich irgendwo im brandenburgischen Hinterland absetzt. Die Aussage ist offensichtlich etwas, was eine oberflächliche klischeetussige Blondine in einem klischeelustigen deutschen Film sagen würde. Wie ihr Freund Kenneth allerdings versucht, ihre Aussage zu etwas Sinnvollerem zurechtzubiegen, damit er ihr zustimmen kann, fühlt sich nach echter Verzweiflung an.
Damit könnte die Situation schon vorbei sein, ist sie aber nicht. Krass Klassenfahrt hält nicht nur bis zur offensichtlichen Punchline drauf, sondern zeigt, was danach passiert – und wird dadurch trotz aller Baukasten-Klischeecharaktere stellenweise richtig witzig. Als Joleen die Diskussion schließlich mit “Hoffentlich gibt es hier überhaupt ein WLAN-Kabel” beendet, scheint Kenneth sie berichtigen zu wollen, gibt aber schließlich auf und drückt ihr beseelt lächelnd ein Küsschen auf die Backe.
Später wird er sich fragen, ob seine Freundin ihn betrügt. Und ernsthaft erschüttert in die Kamera rufen: “Wenn man auf zwei Leute gleichzeitig steht, dann ist das bisexuell!”
Die Ernsthaftigkeit, die die Influencerinnen und Influencer ihren Charakteren auch bei den absurdesten Storylines noch entgegenbringen, erinnert plötzlich gar nicht mehr so sehr an Berlin – Tag & Nacht, sondern vielmehr an die Netflix-Mockumentary American Vandal.
Da ärgert es mich nicht einmal mehr, wie überdeutlich Werbung für einen Handyhüllen-Hersteller betrieben wird. In Fack Ju Göhte 2 haben sich obdachlose Kinder in Thailand schließlich nichts sehnlicher gewünscht, als endlich mal wieder bei einem großen Fastfood-Unternehmen zu essen. Dagegen wirkt eine Storyline, in der ein Sexvideo von einem Smartphone verschwinden muss, das durch seine neue Hülle unzerstörbar geworden ist, beinahe subversiv.
Wenn alle Beteiligten wissen, dass das, was sie machen, niemanden ernsthaft berühren soll; wenn allen bewusst ist, wie viel Klischee in den Rollen und Handlungssträngen steckt; und wenn man sie deswegen ganz bewusst noch ein bisschen mehr überzeichnet und bricht – dann wird es richtig unterhaltsam. Krass Klassenfahrt schafft das nicht durchgängig, aber immer wieder. Und das ist mehr, als ich über die meisten Comedy-YouTube-Kanäle sagen kann.
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