Bei Kelly ging es los, als sie 17 war: Kaum hatte sie in ihren ersten YouTube-Videos ihr Gesicht gezeigt, schickten ihr fremde Männer Bilder von ihren Penissen. Acht Jahre später hat Kelly MissesVlog 1,8 Millionen Abonnenten und wird immer noch fast täglich mit Dickpics belästigt. Auch Jonas Ems, 2,3 Millionen Mal abonniert, 21 Jahre alt, fand in seinem Postfach ständig Bilder seiner Zuschauerinnen mit entblößten Brüsten oder heruntergezogenen Höschen.
Internet-Fame bedeutet für viele, dass sie mit Nacktbildern überschüttet werden – teilweise von Minderjährigen. Das bestätigen uns große, deutsche YouTuber im Gespräch. Die Recherche war nicht einfach, denn viele YouTuber wollen nicht mit Journalisten über Nacktfotos sprechen. Über Monate hinweg haben wir telefoniert, E-Mails und WhatsApp-Nachrichten geschrieben. Das Ergebnis: Nudes von Fans gehören für viele zum YouTube-Alltag.
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Einzelne YouTuber haben erhaltene Nacktfotos auch schon auf ihren eigenen Kanälen verbreitet und die Absenderinnen und Absender damit bloßgestellt. Von den betroffenen Zuschauerinnen und Zuschauern hat sich bisher noch niemand öffentlich zu Wort gemeldet. Traditionelle Nachrichtenmedien haben sich mit dem Thema bisher kaum beschäftigt. Und ohne eine öffentliche Debatte haben YouTuber nahezu Narrenfreiheit im Umgang mit Nacktfotos.
“An alle Mädchen, schickt mir Bilder”, heißt zum Beispiel das Video des YouTubers Lil Lano. Im Videotitel sind auch ein Pfirsich- und Schweißtropfen-Emoji zu sehen, Sexting-Symbole für Hintern und Ejakulation. Lil Lano sagt im Video: “Wenn ihr Nudes senden wollt, dann könnt ihr Nudes senden, kein Problem! Folgt mir auf Instagram und Snapchat! […] Ich versuche jedem zu antworten.”
Wer den YouTuber gut kennt, weiß: Lil Lano ist eine provokante Kunstfigur und weiß wahrscheinlich genau, was er tut. Aber die in der Videobeschreibung erwähnten Instagram- und Snapchat-Accounts sind keine Kunst, sondern real. Es ist möglich, dass besonders junge oder weniger gut informierte Zuschauende das nicht verstehen – und die Aufforderung, Nacktbilder zu schicken, ernst nehmen.
Was Nudes bei YouTube-Stars auslösen
Der YouTuber Jonas Ems hat mit Motherboard über seine Erfahrungen mit Nacktfotos gesprochen. “Ich habe schätzungsweise von 200 bis 300 Mädchen Bilder bekommen, auf denen man mindestens die Brüste gesehen hat”, erzählt er. Von Jungs bekomme er nur sehr selten Bilder. Auf YouTube ist er als Jonas bekannt und veröffentlicht Comedy- und Unterhaltungsvideos. Die Nudes erreichten ihn als Privatnachrichten auf Instagram und Snapchat – und zwar ohne, dass er seine Fans darum gebeten hätte.
Habt ihr Informationen zu dem Thema oder möchtet über eure Erfahrungen sprechen? Motherboard wird hierzu auch in Zukunft recherchieren. Ihr könnt dem Autoren eine E-Mail schreiben .
Als Jonas die ersten Nacktfotos erhält, klickt er sich verblüfft durch die Accounts der Absenderinnen. Viele Profile sind leer, offenbar nur angelegt, um anonym Bilder zu verschicken, wie er erzählt. Aber manche sehen aus wie die normalen Instagram-Profile von 14- und 15-jährigen Schülerinnen. “Ich fand das sehr krass, es war erschreckend”, erzählt der YouTuber. Erst seit sich Jonas vor der Kamera mit seiner Freundin zeigt, bekomme er nahezu keine Nacktbilder mehr zugeschickt.
“Als ich jung war, hat es mich verstört und verletzt”
YouTuberin Kelly Svirakova fühlt sich von den viele Nacktfotos belästigt, wie sie im Gespräch mit Motherboard erzählt. Im Netz ist sie als Kelly MissesVlog bekannt. Sie vermutet, dass viele der ihr zugeschickten Fotos nicht von jugendlichen Fans stammen, sondern von Erwachsenen. “Ich kann mir vorstellen, dass es einige vielleicht anmacht oder erregt, dass ich dieses Bild von ihnen sehen könnte”, sagt Kelly.
Durch die penetranten Dickpics sei Kelly von der Männerwelt enttäuscht. “Vor allem am Anfang, als ich noch relativ jung war, hat es mich sehr verstört und verletzt. Ich kann mir solche Bilder nur dadurch erklären, dass Leute sich nicht bewusst sind, dass ich ein menschliches Wesen bin, das Gefühle hat.”
Mittlerweile seien die Nacktfotos für Kelly zur Normalität geworden. Ihr Verhalten oder ihre Art, sich im Netz zu zeigen, möchte die YouTuberin deshalb aber nicht ändern. Sie hat gelernt zu ignorieren, dass Hunderte Männer sie offenbar als Sexobjekt betrachten und ihr ihre Genitalien aufdrängen möchten: “Wie diese Menschen mich wahrnehmen hat nichts damit zu tun, wie ich mich nach außen gebe.”
Sowohl Kelly als auch Jonas haben die Nacktfotos in YouTube-Videos zum Thema gemacht. Bei Jonas ist das, wie er selbst zugibt, nach hinten losgegangen: In seiner typisch aufgedrehten Art erzählte er in einem Video aus dem Jahr 2016, dass er täglich Nudes auf Instagram bekomme. “Typen stehen auf Ärsche und Typen stehen auf Brüste”, sagte er damals über die Nacktfotos. “Und im Endeffekt, wenn es dann gut aussieht, klar freut man sich im ersten Moment!”
Das klingt fast nach einer Einladung an die Fans, ihm noch mehr Fotos zu schicken – und einige haben es auch genauso verstanden. Nach dem Video habe Jonas mehr Nacktfotos bekommen als zuvor, erzählt er im Gespräch mit Motherboard. Dabei habe er die Leute gerade abschrecken wollen, ihm Fotos zu schicken wie er betont. “Hätte man sich vorher eigentlich denken müssen”, sagt Jonas. “Im Grunde war ich dann doch nicht so reflektiert.” Es sei Schwachsinn gewesen, den Leuten, die ihm Nacktbilder schicken, Aufmerksamkeit zu schenken.
Wie YouTuber mit Nudes ihre Machtbedürfnisse befriedigen
Nicht alle YouTuber gehen so vernünftig mit Nacktfotos um. In deutschen YouTube-Kreisen wird davon gesprochen, dass zumindest einige YouTuber ihre Machtposition schon für sexuelle Gefälligkeiten ausgenutzt haben sollen. Wie oft das genau passiert sein könnte und ob dabei Straftaten begangen wurden, ist unbekannt. Zumindest in den USA muss sich gerade der YouTube-Sänger Austin Jones vor Gericht verantworten. Er soll in mindestens zwei Fällen Minderjährige dazu gedrängt haben, ihm Nacktaufnahmen von sich zu schicken, das geht aus einer Strafanzeige vom Juni 2017 hervor.
Darin heißt es, Austin Jones habe Nacktaufnahmen von Mädchen eingefordert und empfangen, obwohl er gewusst habe, dass diese erst 14 oder 15 Jahre alt waren. Er habe “die Mädchen angewiesen, Videos von sich zu machen, in denen sie in sexuell eindeutiger Weise tanzen und ihnen vorgeschrieben, was sie anziehen, sagen und tun sollen”. Im Juni 2017 sei Austin Jones von der Polizei festgenommen worden, heißt es weiter. Der ehemalige YouTuber wartet nun auf seinen Prozess, wie aus Gerichtsakten hervorgeht, die Motherboard vorliegen. Er ist derzeit nicht mehr online aktiv.
“Das Teilen von solchen Bildern kann traumatisieren”
Andreas Baranowski forscht an der Universität Gießen zu Sexualpsychologie und Medienwirkung. Seiner Einschätzung nach ist es nicht bloß sexuelle Befriedigung, die Nacktfotos für YouTuber interessant macht. Oft seien die YouTuber junge Menschen, die gerade beginnen, den Star-Kult um die eigene Person zu genießen. “Ich habe den Eindruck, bei vielen aufstrebenden YouTubern gibt es die Fantasie: Ich bin jetzt ein großer Star, und deshalb gehört es dazu, dass ich auch Nacktfotos bekomme.”
Nacktfotos zu veröffentlichen könne Baranowski zufolge die Machtbedürfnisse von YouTubern befriedigen. Damit wollen einige YouTuber möglicherweise sich selbst und der Öffentlichkeit demonstrieren, wie beliebt und wichtig sie sind. Folglich ist es ist ein Machtmissbrauch, wenn YouTuber Nacktfots veröffentlichen oder gar Fans dazu aufrufen, solche Bilder zu verschicken. Stars mit wirklich großer Reichweite hätten es Baranowski zufolge nicht mehr nötig, sich auf diese Weise ihrer Macht zu vergewissern.
Warum Fans massenweise Nudes verschicken
Jonas Ems rätselt immer noch, was seine Fans dazu brachte, ihm unaufgefordert Nacktfotos schicken: “Hat das etwas mit Erregtheit zu tun? Oder geht es darum, mit mir in Kontakt zu kommen?”
Dr. Andreas Baranowski würde letzteres wohl bejahen: “Es geht um jugendliche Schwärmerei, bei der Personen des öffentlichen Lebens idealisiert werden.” Manche würden dabei erstmals Leidenschaft entdecken. “In ihrer Fantasie entsteht die Vorstellung: Ich schicke ein Nacktbild, und dann bekomme ich die Aufmerksamkeit der Person. Dahinter steht eine naive Auffassung von Liebe und Sexualität”, sagt Baranowski. Der Wunsch sei nicht, mit der Person tatsächlich eine sexuelle Beziehung einzugehen.
In welche Gefahr sich Fans begeben, wenn sie ihren Idolen Nudes schicken
Aber sind die Fans nicht selbst schuld, wenn sie Nacktfotos von sich verschicken? Sexualpsychologe Baranowski ist da vorsichtig. Natürlich würden die Fans selbstständig handeln. “Doch es liegt in der Verantwortung der Social-Media-Stars, die Nacktfotos nicht zu zeigen”, so Baranowski. Vor allem sehr junge Menschen könnten nicht immer abschätzen, welche Konsequenzen es haben kann, wenn sie Nacktfotos von sich verschicken.
Sie tun das wohl im Vertrauen, weil sie glauben, auf diesem Weg eine Beziehung zu ihrem Idol aufbauen zu können. Wenn diese Fotos dann veröffentlicht werden, sei das ein “Super-Gau”, wie Sexualpsychologe Baranowski erklärt: “Das Teilen von solchen Bildern ist bedenklich und kann traumatisieren.” Junge Fans würden möglicherweise nicht einmal erwarten, dass das Idol ihre Nachrichten überhaupt sieht – geschweige denn verbreitet.
“Wäre es früher so einfach gewesen, den Rolling Stones Nacktfotos zu schicken, hätten das Leute gemacht”
“Das ist ein massiver Vertrauensbruch”, sagt Baranowski. Durch die Veröffentlichung würden die Betroffenen “instrumentalisiert und zum Objekt degradiert, auf Basis dessen Klicks produziert werden”. Wenn Zuschauende Nacktofots verschicken, objektifizieren sie umgekehrt auch die YouTuberinnen und YouTuber, und zwar als Projektionsfläche ihrer sexuellen Fantasien.
Auch Jonas Ems hat in mehreren Videos aus dem Jahr 2016 Nacktfotos seiner Fans gezeigt. Zwar waren die Bilder an vielen Stellen unkenntlich gemacht worden. Doch mindestens die Absenderinnen selbst erkennen sich wohl wieder. Wenn jugendliche Fans auf diesem Weg erfahren, dass ihr Idol die Bilder nicht für sich behalten hat, könne das Baranowski zufolge sehr verletzend sein. Umso mehr, wenn YouTuber die Fotos vor großen Publikum flapsig kommentieren. Weniger verletzlich seien erwachsene Zuschauer mit gefestigter Sexualität, die YouTuberinnen und YouTuber mit ihren Nacktfotos schlicht belästigen wollen.
Ebenfalls auf Motherboard: Wenn Gamer zu Versuchskaninchen werden
Schon damals wurde Jonas von seinen Fans massiv dafür kritisiert, wie er berichtet. “Ich würde solche Videos heute nicht mehr machen”, sagt er im Gespräch mit Motherboard. Offline nehmen möchte er sie aber auch nicht, er wolle seinen alten Content nicht verstecken. Aber er finde, dass YouTuber und Zuschauer besser aufgeklärt werden müssten.
Trotz der Nacktfotos hält Baranowski die junge Generation nicht für außergewöhnlich sexualisiert. Verändert habe sich aber die Technik: Mit Snapchat und Instagram lassen sich Nacktfotos inzwischen kinderleicht und anonym versenden. Sexting sei heutzutage nichts Ungewöhnliches, sagt Baranowski. “Wäre es früher so einfach gewesen, den Rolling Stones kostenlos mit der Post Nacktfotos auf Polaroid zu schicken, mit dem Wissen die Eltern kriegen das nicht mit, dann hätten das früher auch mehr Leute gemacht, da bin ich mir sicher.”
Wenn YouTuber die Körper ihrer Fans zu Sexobjekten machen
Selbst wenn Jugendliche noch nie ein Nacktfoto erstellt haben: Allein die YouTube-Videos zu dem Thema setzen sie unter Druck, wie Baranowski erklärt. Schließlich würden die Nacktfotos vor allem Stereotype untermauern, wie “sexy” Männer und Frauen auszusehen hätten. Denn wenn YouTuber Nacktfotos präsentieren, zeigen sie vor allem Bilder, die sie für sexy halten. Das wecke bei Jugendlichen den Glauben, sie müssten genauso sexy sein, um überhaupt wahrgenommen zu werden, so Baranowski. Das sind vorgelebte Schönheitsideale, die schlicht nicht realistisch sind.
Am stärksten zeigt sich der Druck durch Schönheitsideale wohl in der “Arsch-Challenge”, für die der YouTuber SupermannDennis innerhalb der YouTube-Szene scharf kritisiert worden ist. Mit “Challenge” war in diesem Fall ein Schönheitswettbewerb gemeint: Der Influencer forderte im Jahr 2017 seine Fans auf Snapchat dazu auf, ihm Fotos ihrer Hintern zu schicken. Davon berichteten unter anderem die YouTube-Kritiker vom Kanal Ultralativ, die auch Teile der nicht mehr verfügbaren Snapchat-Story dokumentiert haben. In diesem Fall wussten alle Teilnehmerinnen, dass ihre Nacktofots möglicherweise weiter verbreitet werden.
SupermannDennis habe Ultralativ zufolge tatsächlich ihm zugesandte Nacktfotos in seiner Snapchat-Story veröffentlicht. Solche Storys sind für Follower 24 Stunden lang abrufbar. Die Zuschauer sollten in dieser Zeit Screenshots ihrer Lieblingsfotos erstellen. “Der [Arsch] mit den meisten Screenshots gewinnt!”, schrieb SupermannDennis auf Snapchat, wie ein von Ultralativ veröffentlichter Screenshot belegt. Als Ersteller einer Story kann er auf Snapchat sehen, sobald Zuschauer Screenshots machen.
“Das, was ich gemacht hab’, war falsch”
Seinem teils minderjährigen Publikum vermittelte SupermannDennis damit zwei Botschaften: Erstens, dass ein sexy Körper offenbar zu den wichtigsten Dingen im Leben gehöre; zweitens, dass es völlig okay sei, wenn Frauen öffentlich als Sexobjekte betrachtet und bewertet werden.
Die Snapchat-Story mit den Fotos ist nicht mehr im Netz zu finden. Wohl aber das Entschuldigungs-Video, das der YouTuber danach veröffentlicht hatte: “Das, was ich gemacht hab, war falsch”, erklärt er darin. “Ich mach’ das nicht mehr. Ich hab’ extra abends dann selbst gepostet, dass das einmalig war und dass das nicht wieder passieren wird.” Zudem habe SupermannDennis “versucht, darauf zu achten”, dass er keine Minderjährigen zeige.
Das Entschuldigungs-Video kursiert nur noch als Kopie. Es ist nicht mehr auf dem Kanal des YouTubers zu finden, der sich inzwischen in “Dennis Bro” umbenannt hat. Dem Influencer folgten zu dieser Zeit nach eigenen Angaben rund 20.000 Nutzer auf Snapchat. Offenbar war er selbst überrascht davon, welche Macht er damit auf Zuschauerinnen und Zuschauer ausübt.
Falls du durch veröffentlichte Nacktfotos bloßgestellt wurdest, kannst du dir hier Hilfe und Beratung finden. Falls du Opfer einer Vergewaltigung oder sexualisierter Gewalt geworden bist und etwas unternehmen willst, findest du hier und hier Hilfe und nützliche Hinweise.
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