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Warum es gefährlich werden kann, wenn YouTuber und Instagrammer für den Staat werben

Screenshot Flavio Simonetti

Werbung muss als Werbung erkennbar sein – dieser Grundsatz gilt für alle teils ziemlich komplizierten Regeln und Gesetze rund um werbliche Inhalte, ob im Fernsehen oder im Internet. Seit wenigen Jahren stehen vermehrt Influencer in der Kritik, weil sie Werbebotschaften auf YouTube und Instagram nicht ausreichend kennzeichnen.

Die Aufsicht über den privaten Rundfunk, zu dem auch YouTube gerechnet wird, haben die Landesmedienanstalten. Sie müssen entscheiden, ob ein YouTuber zum Beispiel rechtswidrig handelt, wenn er für Geld einen Turnschuh in die Kamera hält. Was Influencer dürfen und was nicht, hat die Behörde in einem knappen FAQ aufgeschrieben.

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“Mach für Deine Follower transparent, wenn Deine Posts einen werblichen Hintergrund haben – damit sie nicht in die Irre geführt werden”, heißt es dort. Demnach müssen Influencer werbliche Beiträge kennzeichen. Die Behörden nennen hierfür die Begriffe “Werbung” und “Anzeige”, die deutlich platziert sein müssen. Von Kennzeichnungen wie “#ad, #sponsored by, #powered by” wird ausdrücklich abgeraten.

Dieser Artikel ist Teil eines Themen-Specials.

Es gibt keine Richtlinien für Influencer im Auftrag des Staates

YouTuber Flavio Simonetti trifft die damalige Staatsministerin Özoğuz. Aus dem Treffen einsteht eines von fünf Videos, das die Integrationsbeauftragte laut Bundesregierung Geld mitfinanziert hat.
YouTuber Flavio Simonetti, die damalige Staatsministerin Özoğuz, eine Deutschland- und Europa-Flagge: Eines von fünf Videos, für die die Integrationsbeauftragte laut Bundesregierung insgesamt 11.781 Euro Budget verzeichnet hat | Bild: Screenshot | YouTube | Flavio Simonetti

Bereits an diese klaren Kennzeichnungsregeln haben sich viele von der Bundesregierung beauftragte Influencer nicht gehalten. Motherboard liegt eine Liste mit allen staatlichen Influencer-Kampagnen vor, die von der Bundesregierung und ihren Behörden bezahlt wurden. Die Liste stammt aus der Antwort auf eine bisher unveröffentlichte Kleine Anfrage. Vom Umweltministerium bis zum Verteidigungsministerium haben sich bereits vierzehn Behörden von Influencern unterstützen lassen.

Motherboard hat für jede Kampagne Posts, Videos und Bilder gesucht – und überprüft, ob sie als staatliche Aufträge erkennbar waren. In einem Großteil der Fälle waren sie nicht oder nicht deutlich gekennzeichnet. Motherboard hat mindestens 26 Beiträge gefunden, wo das der Fall war. Nun gibt es aber einen Clou: Die Influencer konnten sich in Sachen Kennzeichnung gar nicht an irgendwelche Richtlinien halten, weil es in diesem Fall keine Richtlinien gibt. Werbekampagnen für politische Institutionen sind in den Ratschlägen der Landesmedienanstalten aktuell schlicht nicht vorgesehen.

Der Staat darf nicht zum Sender werden

Letztlich geht es dabei um einen Grundsatz, der unsere Demokratie schützen soll: Wie das Bundesverfassungsgericht schon 1961 in seinem sogenannten ersten Rundfunkurteil klargestellt hat, darf die Regierung nicht selbst zum Sender werden. “Die Veranstaltung von Rundfunksendungen ist nach der deutschen Rechtsentwicklung eine öffentliche Aufgabe”, heißt es in der Begründung des Urteils. Der Bund hat für Rundfunksendungen “keine Kompetenz aus der Natur der Sache”.

Daraus geht hervor, dass es so etwas wie Staatsfernsehen oder ein staatliches Videoprogramm nicht geben darf. Das soll verhindern, dass der Staat die Medien für politischen Einfluss missbraucht. Wenn Parteien im Wahlkampf zum Beispiel TV-Spots senden, sind diese klar gekennzeichnet und folgen strengen Regeln. Andererseits dürfen Behörden natürlich über ihre Arbeit informieren und wollen die Menschen erreichen, für die sie arbeiten.

Das Internet macht die Sache mit der Staatsferne extrem kompliziert. Bundesbehörden können nämlich einfach einen YouTube-Kanal aufmachen und Livestreams auf ihrer Website starten. Zumindest rechtlich wird Webvideo derzeit häufig wie privater Rundfunk behandelt. Demnach spricht manches dafür, dass der Staat im Netz möglicherweise längst zum Sender geworden ist, wie jüngst Entertainer Jan Böhmermann in einem gut 15-minütigen Video erläutert hat. Aktuell ist schlicht noch nicht geklärt, wie staatliche Online-Auftritte und die Staatsferne der Medien zusammenpassen sollen.

Die politische Werbung von Influencern könnte rechtswidrig sein

Was bedeutet das für die dutzenden Beiträge, die Influencer im Auftrag der Regierung produziert haben? Die oft minderjährigen Fans müssen schon jetzt damit klarkommen, dass ihre Social-Media-Idole scheinbar beiläufig für Produkte werben. Nun kommt noch politische Werbung hinzu.

Ob Influencer überhaupt auf ihren Kanälen für politische Institutionen werben dürfen, ist aktuell unklar. “Es gibt kaum Rechtssprechung dazu”, erklärt auch Joachim Becker auf Anfrage von Motherboard. Er ist einer der Direktoren der Landesmedienanstalten und leitet den Fachausschuss für Regulierung. Das heißt, er arbeitet gerade an einer Lösung für das Problem mit alten Gesetzen und neuen Medien.

Becker zufolge hätten die Landesmedienanstalten das Problem mit staatlich finanzierten Influencer-Kampagnen durchaus im Fokus. Einer der Knackpunkte ist, dass die Influencer die werblichen Inhalte auf ihren eigenen Kanälen zeigen. Das heißt, sie haben selbst die redaktionelle Verantwortung dafür. “Wir entwickeln hierfür gerade eine gemeinsame Position”, so Becker. Es sei sogar möglich, dass Werbung dieser Art überhaupt nicht zulässig ist. Becker verweist dabei auf das Prinzip der Staatsferne, also die strikte Trennung von staatlichen und redaktionellen Inhalten.


Ebenfalls auf Motherboard: Dieser Mann hütet eines der wichtigsten Kabel des Internets


In anderen Worten: Derzeit kann nicht ausgeschlossen werden, dass die meisten Influencer-Kampagnen der Bundesregierung möglicherweise rechtswidrig sind. Kennzeichnungen wie “Werbung” würden Becker zufolge eigentlich nicht auf politische Kampagnen dieser Art zutreffen. “Werbung” stehe für Wirtschaftswerbung, also für Produkte, die man kaufen kann.

Wer sich durch juristische Texte zu dem Thema wühlt, findet einen anderen Begriff, der auf die staatlichen Influencer-Kampagnen möglicherweise zutreffen könnte: Themenplatzierung. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Wort zumindest in einem Urteil einmal so definiert: “Eine Themenplatzierung liegt vor, wenn innerhalb der Sendung kein konkretes Produkt dargestellt, sondern eine werbliche Aussage bezüglich bestimmter Produktgattungen getroffen wird.”

So etwas wiederum ist laut Rundfunkstaatsvertrag grundsätzlich verboten. Ob staatliche Influencer-Kampagnen möglicherweise verbotene Themenplatzierungen sind, ist derzeit aber Spekulation. Klar ist: Wohl noch nie gab es so viele offene Fragen zu den Grenzen zwischen redaktioneller Arbeit, Werbung und staatlicher Information. Dass ein Staat mit Influencern und sozialen Medien werben kann, ist für die Gesellschaft etwas völlig Neues.

Behörden haben den Auftrag, zu informieren

Dieses Video von einfach inka wurde vom Ministerium für Landwirtschaft und Ernährung mitfinanziert und soll über Tätowierungen aufklären.
Eine Aufklärungskampagne übers Tätowieren – gut sichtbar als “Werbung” gekennzeichnet | Bild: Screenshot | YouTube | einfach inka

Natürlich hat auch die Bundesregierung eine Begründung dafür, warum sie in den Online-Medien mitmischt, etwa mit Influencern, Sponsored Posts und Werbeanzeigen in sozialen Netzwerken. Wie aus der eingangs erwähnten Antwort auf eine Kleine Anfrage hervorgeht, bezeichnet die Regierung das als Erfüllung des “verfassungsmäßigen Informationsauftrags”.

Und natürlich dürfen Behörden Öffentlichkeitsarbeit machen, wie Joachim Becker erklärt. Unter bestimmten Umständen können demnach auch Influencer-Kampagnen erlaubt sein, besonders wenn es darin um soziale Zwecke im Allgemeininteresse geht. Das heißt: Es kann aktuell auch nicht ausgeschlossen werden, dass staatliche Influencer-Kampagnen möglicherweise doch rechtlich okay sind.

Grundsätzlich fußen all diese sich widersprechenden Argumente auf Gesetzen, die vor der Erfindung von Social Media entwickelt wurden. Selbst wenn die Landesmedienanstalten hierzu bald neue Regeln veröffentlichen, müssen im Zweifel Gerichte entscheiden, was gerade noch klargeht und was wirklich verboten ist, und zwar zunächst von Fall zu Fall. So etwas kann Jahre dauern.

Bis dahin wird die Bundesregierung voraussichtlich weiter die Gelegenheit nutzen, die junge Zielgruppe mithilfe von Influencern zu erreichen – und nicht mit Videobotschaften von Staatssekretären im grauen Anzug.

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