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Die schleichende Legalisierung des Gendoping

Wir haben mit Hidde Haisma, Professor für pharmazeutische Genmodulation, über die neuesten Methoden medizinischer Leistungssteigerung gesprochen—und warum er glaubt, dass wir neue Regeln brauchen.

Hidde Haisma würde es nicht wundern, wenn die Athleten von Sotschi schon in Scharen auf Gendoping zurückgreifen. Genetisches Doping ist ohne Frage die Zukunft sportlicher Leistungssteigerung. Athleten können ihre DNA pimpen, um ihre Ausdauer, Muskelkraft oder Sauerstoffaufnahme zu verbessern, indem sie ihre EPO-Gene, Wachstumshormone oder ihren Muskelaufbau einer genetischen Manipulation unterziehen.

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Mit Gendoping kannst du deinen Körper nicht nur theoretisch nach deinen eigenen Vorlieben umgestalten, das Ergebnis ist auch für die Anti-Doping-Behörden in der Praxis nicht nachweisbar. Denk daran, wenn du dir die Olympischen Spiele ansiehst. Nachteile? Die Wissenschaft weiß nicht genau, wie die Auswirkungen von Gendoping unter Kontrolle gehalten werden können und auf lange Sicht gesehen, gibt es potenzielle Auswirkungen auf den Körper, die noch nicht genau festgelegt werden können.

Im letzten Jahrhundert stellte der Arzt Bob Goldman Athleten die hypothetische Frage, ob sie auf Mittel zurückgreifen würden, die ihnen einen unmittelbarer Erfolg im Sport garantieren und nicht nachweisbar wären. Einziger Nachteil: Nach fünf Jahren würden sie sterben. Überraschenderweise entschieden sich ungefähr 50 Prozent der Befragten für den ewigen Ruhm und gegen ein langes Leben. Das Experiment wird das Goldman-Dilemma genannt, und verdeutlicht auch heute noch die missliche und dramatische Lage, in die Sportler geraten können (auch wenn jüngere Studien die exorbitante Höhe des Prozentsatzes lebensmüder Athleten in Zweifel ziehen).

Da aktuell die Olympischen Spiele in Sotschi stattfinden, lohnt es sich das Thema noch einmal zu diskutieren. Wir haben uns also mit Hidde Haisma getroffen—einem Professor für pharmazeutische Genmodulation an der Universität Groningen, der auch noch als Berater bei der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA zum Thema Gendoping arbeitet. Er hat uns erklärt, was Gendoping eigentlich wirklich ist, ob es verwendet wird und was die Gefahren dabei sind. Der Anti-Doping-Experte gab uns auch seine überraschende Vision von der Zukunft der Dopingkontrollen.

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Motherboard: Hallo Herr Haisma. Zunächst einmal: Was zum Teufel ist eigentlich Gendoping? Wie funktioniert es?

Hidde Haisma: Jeder kennt EPO-Doping. EPO ist aber einfach nur ein Protein, das alle gesunden Menschen in einem normalen physiologischen Prozess in ihrer Niere produzieren. Wie wir wissen greifen einige Radfahrer auf EPO zurück—das auch als ein Arzneimittel für Menschen mit Nierenerkrankungen verwendet wird, wobei es dann ein zusätzliches Protein produziert. Im medizinischen Szenario wird das Protein also von außen hinzugefügt, beim Gendoping aber läuft das anders.

Da wird ein Gen genommen—in diesem Fall das Gen, das die Produktion von EPO reguliert, isoliert und in einem sogenannten Vektor verpackt. Das kann ein Virus sein, aber es kann auch die DNA selbst sein. Wenn es in eine Muskelzelle injiziert wird, dann kann der Muskel EPO produzieren. Was beim Gendoping also passiert, ist, dass einfach etwas mehr von dem Gen als normalerweise im Körper vorhanden, hinzugefügt wird, und der Körper das zusätzliche Gen selber produziert.

Diagram via

Das heißt, dass dein Körper das Protein selber produziert, anstatt das man es sich spritzen muss?

Ja, genau. Im Grunde bist du nur eine Fabrik, die EPO herstellt. Die Menschen sind aus zwei Gründen davon begeistert. Zum einen, weil EPO aus dem Labor etwas anders als unser eigenes EPO ist, das auch bei einem Doping-Test gefunden werden kann. Aber dein eigenes EPO ist dein eigenes EPO und unterscheidet sich nicht vom EPO, das du bereits im Körper hast. Das erschwert die Erkennung.

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Der zweite Vorteil vom Gendoping mit Proteinen ist, dass dieses Gen noch Monate, sogar Jahre, aktiv bleibt. Du könntest also eine einzige Injektion bekommen mit du noch auf Jahre hinaus Spaß haben kannst.

Ist das wirklich nur Spaß? Ich kann mir vorstellen, dass es nicht besonders gut für den Körper ist?

Ja, das stimmt hier liegt auch das größte Risiko. Insbesondere die Dosierung und die Dauer sind schwer zu bestimmen. Natürlich will man ein paar Wochen lang zusätzliches EPO, aber nicht über Jahrzehnte. Und wenn du mit dem Training aufhörst, willst du das Zeug ganz bestimmt nicht mehr in deinem Körper haben. Das größte Problem mit Gendoping ist, dass man es nicht so einfach rückgängig machen kann.

Gibt es noch andere Gene, neben EPO, die sich für das Gendoping eignen?

Ja, ein anderes Beispiel ist Myostatin, das in der Regel gewährleistet, dass die Muskeln nicht weiter wachsen. Statin bedeutet im Prinzip „Aufhören“. Man kann aber auch eine Art Anti-Myostatin herstellen, dass den Muskelwachstum nicht stoppt.

Ein weiteres Beispiel ist das Wachstumshormon IGF. Das ist ein Hormon, das den Muskel wachsen und härter werden lässt. Und für die Ausdauer gibt es eine Reihe von Enzymsysteme, die beeinflusst werden können.

Können Sportler Anti-Myostatin, realistisch betrachtet, überhaupt in der Praxis verwenden?

Ich denke schon. Sportler, die Drogen nehmen, greifen in der Regel auf Ressourcen zurück, die eigentlich für Menschen mit einer bestimmten Krankheit angelegt sind. Und es gibt durchaus ein paar Muskelerkrankungen. Muskeldystrophie des Typs Duchenne, zum Beispiel. Menschen mit dieser Erkrankung haben sehr schwache Muskeln und dafür wurden Therapien entwickelt, unter anderem auch Gentherapien, die ihnen dabei helfen, stärkere Muskel aufzubauen. Die dort entwickelten Methoden finden ihren Weg schließlich auch in den Sport.

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Was meinen Sie, wird Gendoping bereits in der Praxis angewendet?

Ich habe keine Ahnung, aber es würde mich nicht überraschen. Denn besonders kompliziert ist es nicht. Ich habe immer gesagt, dass die Studenten, die bei mir lange genug ein Praktikum gemacht haben, in der Lage sind, so etwas mit DNA anzustellen oder du kaufst dir das ganze Paket einfach kommerziell. Außerdem kannst du im Internet auch Anleitung für die Herstellung von sich genetisch produzierendem EPO finden. Ein Student, der auch nur ein bisschen intelligent ist, kriegt das hin. Das ist nicht so schwer.

Ich dachte immer, dass das einer der schwierigsten Bereiche der Forschung ist?

Ja schon, aber das ist keine Wissenschaft.

Was ist es dann, ein Handwerk?

Es geht hier darum von etwas Gebrauch zu machen, von dem wir eigentlich schon lange wissen. Vor allem wenn es um DNA geht, dann ist es nicht sehr kompliziert, aber ob es auch funktionieren wird, das ist eine andere Frage. Und ob die Sportler davon profitieren würden, ist auch noch fraglich. Aber die Technik ist nicht sehr kompliziert. Und die benötigte DNA kann man einfach aus dem Mund entnehmen.

Es wurde bereits behauptet, dass wir gerade in Sotschi die letzten Olympische Spiele ohne genetisches Doping erleben.

Ich bin sehr gespannt und werde sie mir ansehen. Der Punkt ist natürlich, solange die Kontrolleure nichts testen, finden sie auch nichts. Jetzt liegt es an der WADA und der Anti-Doping-Behörde alles zu überprüfen.

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Es ist nicht so, dass diese Tests standardisiert sind, aber es gibt bereit zwei verfügbare pharmazeutische Nachweisverfahren. Ich kann mir denken, dass zwei Dinge passieren werden. Wenn es also Sportler gibt, die eine äußerst überraschende Leistung abliefern, dann vermute ich, dass man in solchen Fällen noch einmal testen wird—auf Gendoping.

Die andere Sache, ist, dass Blut und Urinproben genommen werden, die aufbewahrt werden und vielleicht weit nach den Olympischen Spielen darauf untersucht werden, ob Gendoping im Spiel war.

Würde es Sie also überraschen, wenn genetische Leistungssteigerung schon heute im Sport zum Einsatz kommt? Sie wissen, dass es technischen möglich ist.

Da bin ich mir ziemlich sicher. Sportler nehmen immer große Risiken auf sich, wenn sie die Goldmedaille haben können. Sie sind zu allem bereit, es würde mich also nicht überraschen. Es muss nur gut getestet werden, um es zu beweisen. Wenn wir es nicht finden, dann werden wir es auch nicht finden. Wenn es verwendet wurde, dann gibt es keinen, den man fragen kann.

Ist das Gendoping überhaupt nachweisbar?

Es ist für die Doping-Behörde natürlich schwer, es nachzuweisen. Auf der einen Seite kann man sagen, dass endogene Substanzen in einem Doping-Test nicht so leicht gefunden werden können. Darüber hinaus ist die Menge, die du produzierst, nicht viel größer als die normale Menge und natürlich variieren die Normalwerte auch. Ich glaube nicht, dass Doping auf dieser Grundlage erkannt werden kann.

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Der beste Beweis dafür wäre natürlich, nachweisen zu können, dass eine Person ein genetisch verändertes Gen im Körper hat. Denn dieses Gen ist tatsächlich etwas anderes als normale Gene.

Denn wenn man ein Gen für Gentherapie oder Gendoping verwendet, dann existieren daran auch Abschnitte, die nicht für die Aktivität des Proteins benötigt werden. Wir nennen das Junk-DNA. Die meisten normalen Gene enthalten viel Schrott, der nicht notwenig ist. Bei der Gentherapie werden die Stücke der Junk-DNA herausgelöst—denn das Gen ist zu groß, um verabreicht zu werden—und daraus wird ein neues Gen gemacht, ohne Junk. Und die werden für die Therapie verwendet.

Um also zu beweisen, dass ein Sportler Gendoping betrieben hat, sollte man nach einem Gen ohne Junk-DNA suchen. Das scheint eine schwierige Angelegenheit zu sein. Ist die Wissenschaft dazu in der Lage?

Theoretisch gäbe es dann tatsächlich einen wasserdichten Beweis für Gendoping. Derzeit gibt es zwei Gruppen auf der Welt, die das entwickelt haben. Die wurden durch angemessene Test geprüft und scheinen gut zu funktionieren. Das Problem ist momentan die Empfindlichkeit des Tests. Wenn jemand Gendoping an sich selber durchführt, dann dringt ein wenig Blut in die DNA. Dieser Spur geht man dann nach. Die Frage ist, wie viel ins Blut eingedrungen ist, und wie lange es dort verweilt. Beim WADA Gen-Panel diskutieren wir die Ergebnisse und beraten dann, wie man das Verfahren verbessern kann.

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Ein Nachweis ist also immer noch fast unmöglich. Haben Sie eine sportliche Leistung im Sinn, bei der Sie misstrauisch sind?

Das ist inhärent in jeder Sportart, bei der jemand weit nach oben ragt. Ich glaube, wir leben in einer Welt, in der alle Sportler die gleiche Ausstattung haben, die gleichen Trainingsmethoden und die gleiche Ausrüstung. Wenn dann eine Person viel besser als der Rest ist, muss man fragen: Was ist hier los? Doping? Gendoping?

Usain Bolt?

Zum Beispiel.

Sven Kramer?

Ja.

Dies sind Beispiele, bei denen Sie ins Zweifeln kommen?

Ich würde jetzt nicht sagen, dass die beiden gedopt haben. Aber das sind Beispiele von Sportlern, die viel besser als die anderen sind und dann würde ich ganz einfach sagen, geht das an die neutrale Doping-Behörde. Die werden sich das auch ansehen wollen. Wie wir das auch schon bei Lance Armstrong gesehen haben.

Es kann aber auch ein natürlicher Defekt sein. So, wie bei dem finnischen Biathlet Eero Mäntyranta, der in den sechziger Jahren unglaublich stark war. Er war mit Abstand der beste. Dieser Mann hatte eine genetische Störung des EPO-Gens und konnte 50% mehr Sauerstoff durch sein Blut transportieren, als seine Gegner. Er stand also total unter dem Einfluss einer in gewisser Weise natürlichen Form von Doping.

In Deutschland gibt es auch diesen Jungen, der außergewöhnlich kräftig ist. In seiner Familie gibt es eine Anomalie des Myostatin-Gens. Aber es gibt ja auch die Rinderrasse der Weißblauen Belgier, die übernatürlich viele Muskeln haben, da sie eine natürliche Mutation des Myostatin-Gens aufweisen.

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Was sind die Gefahren von Gendoping?

Derzeit werden viele kranke Menschen mit Gentherapie behandelt. Unser Wissen ist also schon ziemlich weit fortgeschritten. Wenn man DNA in Chromosomen steckt, dann wissen wir, dass es Risiken gibt, zum Bespiel steigt das Krebsrisiko. Bei Sportlern sind, je nach Gen, andere Probleme zu erwarten.

Zum Beispiel beim EPO-Gen: Bei einer Überdosierung wird zu viel EPO produziert und somit gibt es zu viele rote Blutkörperchen. Wenn mehr als die Hälfte des Blutes aus roten Blutzellen besteht, dann wird das Blut flüssig und die Risiken eines Herzinfarktes, Schlaganfalls oder von Blutgerinnung steigen stark an. Aber da gibt es eine Art Grenze, so dass man der Gefahr entkommen kann.

Stell dir aber vor, wenn es zu viel vom Wachstumshormon IGF gibt, oder wenn es überaktiv ist, und das für längere Zeit passiert, dann werden die Muskelzellen weiter wachsen und könnten sich zu einem Tumor entwickeln. Das bedeutet, dass bei der genetischen Manipulation die Dosierung und das Timing unglaublich wichtig sind.

Ist das derzeit schon möglich? Das man das Dosieren kann? Also nur wenig Muskelwachstum erreicht?

Im Prinzip ist es möglich. Das größte Problem ist jetzt, es aktiv zu halten. Ein weiteres Problem sind Menschen, die Zeug verwenden, ohne zu wissen, was sie tun. Generell stimmt es, dass es einige Zeit dauert, bevor die Sache in Gang kommt. Wenn also nicht ausreichend Geduld mitgebracht wird, und man denkt, dass es nicht funktioniert, dann kann man große Probleme kriegen, weil man nicht lange genug auf den Effekt gewartet hat.

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Wurden Sie eigentlich schon selbst von einem Sportler wegen Gendoping angesprochen worden?

Sicher.

War ein lukratives Angebot dabei?

(Lacht) Soweit ist es bisher nicht gekommen. Das beste Bespiel war jemand, der sich als Detektiv ausgegeben hat und EPO für seine Recherche bekommen wollte. Als ich mich dann über ihn informieren wollte, kannte ihn niemand. Das ist jetzt ein paar Jahre her. Aber ich hatte auch mal einen Athleten, die sich als Testperson anbot. Ich bin der Sache nicht nachgegangen, und von ihm habe ich auch nichts mehr gehört.

Wie denken Sie, sieht die Zukunft des Doping aus?

Nun, ich denke, wir bewegen uns in Richtung medizinischer Sicherheit—es wird also keine separaten Tests mehr für Doping geben. Ich denke, wir werden ein System sehen, dass eher wie ein allgemeines Screening funktioniert, bei dem die Kontrolle darüber funktioniert, dass der Wert der roten Blutkörperchen zum Beispiel nicht mehr als 50 Prozent betragen darf—wie dieser Wert zustande kommt, wäre dann zweitrangig, nicht die Methoden sind die medizinischen Wert würden über die Regelkonformität entscheiden.

Und wenn der Wert dann doch zu hoch wäre, dann dürften nur medizinische Kriterien der Grund sein. Wie diese Grenze erreicht wurde, ob durch ein Höhentraining, eine Druckkammer, EPO oder Blutdoping, wird weniger wichtig sein, die Grenze selbst wird das Kriterium sein.

Aber damit würden wir doch Doping bis zu einem Wert von 50 Prozent roter Blutkörperchen einfach legalisieren, oder?

Das ist wahr. Aber ich denke, man muss pragmatisch sein. Wir alle haben verschiedene Hämatokrit-Werte, die darüber hinaus auch noch in sich genommen über die Zeit schwanken. Wenn jemand also ein Höhentraining absolviert, dann geht der Wert hoch. Die Frage ist doch, was ist gefährlicher: ein Höhentraining oder ein bisschen EPO.

EPO ist verboten, Höhentraining nicht. Ich habe ich meine Zweifel, ob das Sinn macht.