Wie alliierte Künstler mit Gummi-Panzern die Nazis narrten
Die Ghost Army bei der Arbeit. Foto: Ullstein

FYI.

This story is over 5 years old.

Tech

Wie alliierte Künstler mit Gummi-Panzern die Nazis narrten

Künstler, Schauspieler und Designer der „Ghost Army“ spielten mitten auf den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkriegs ganz großes Theater.

Noch bis Mitte der 1990er war die sogenannte „Ghost Army" eines der am besten gehüteten Geheimnisse des Zweiten Weltkriegs. Wenige Wochen nach Landung der Alliierten in der französischen Normandie, dem sogenannten D-Day, erreichte die erste Multimedia-Truppe der Welt europäischen Boden: Eine 1.100 starke Division aus amerikanischen Designern, Sound-Ingenieuren, Schauspielern, Zeichnern, Illustratoren und Kunststudenten sollte dabei helfen, Nazi-Deutschland in die Knie zu zwingen.

Anzeige

„Sie operierten wie eine Roadshow: Bauten für einige Tage auf dem Schlachtfeld ihre Attrappen auf und zogen dann weiter."

Die Waffen der kreativen Soldaten: Aufblasbare Panzer, Jeeps, Flugzeuge und Kommandoposten aus Gummi sowie überdimensionale Lautsprecher, aus denen simulierte Gefechtsgeräusche dröhnten. Außerdem im Einsatz waren mehrere professionelle Funker, die mit fingierten Funksprüchen zusätzlich Verwirrung stifteten.

Die 23rd Headquarters Special Troops—so die offizielle Bezeichnung der General Eisenhower direkt unterstellten Truppe—kamen an fast vorderster Front zum Einsatz und hatten die Aufgabe, deutsche Wehrmachtstruppen durch die Simulation, eine 30.000 Mann starke kampffähige Einheit zu sein, in die Irre zu führen. Hitlers Soldaten konnten von der Ghost Army an bestimmten Orten gebunden werden, während die tatsächlichen Streitkräfte der Alliierten ihre Position änderten, um einige Gebiete bisweilen ohne nennenswerte Gegenwehr einzunehmen.

Klang als Waffe: So versucht die CIA, Menschen mit akustischer Folter zu brechen

Bei der Rückeroberung Europas war es für die Alliierten von entscheidender Bedeutung, Truppen und Divisionen strategisch geschickt zu verschieben. Schon bei der Invasion der Normandie hatten die Alliierten den Nazis einen falschen Angriffsort vorgegauckelt und so einige der starken Verteidigungsverbünde Hitlers, die den Frontkampf an falscher Stelle erwarteten, umgangen.

Anzeige

Immer in der Nähe der Ghost Army waren reguläre Einheiten der alliierten Streitkräfte, so dass die Nazis leicht auf die Täuschmanöver der Gummi-Kameraden hereinfielen. Mit schweren Baufahrzeugen faketen die Mitglieder der 23rd vermeintliche Panzerspuren, die für die Luftüberwacher der Nazis täuschend echt aussahen, während die Lautsprecher ununterbrochen abwechselnd Stimmengewirr und Artilleriefeuer ertönen ließen, um die nationalsozialistischen Bodentruppen hinters Licht zu führen.

Dass die Ghost Army während ihrer rund 20 größeren Einsätze teilweise mit schwerer Artillerie beschossen wurde, spricht eigentlich nur für den Erfolg ihres Unterfangens: Sie wurde offensichtlich für eine echte Armee gehalten. Drei Angehörige der 23rd verloren so allerdings ihr Leben.

„Sie operierten wie eine Roadshow auf Reisen, bauten für einige Tage mitten auf dem Schlachtfeld Attrappen auf und zogen dann weiter", erklärt US-Journalist Rick Beyer. Er hat über zehn Jahre damit verbracht, die Geschichte der 23rd Headquarters Special Troops zu erforschen. Erst seit seinem gleichnamigen Dokumentarfilm von 2013 ist die Truppe unter dem Namen Ghost Army bekannt. Laut Beyer gibt es keine Hinweise darauf, dass die Existenz der Ghost Army der deutschen Wehrmacht jemals bekannt war. Eisenhowers wohl gehütetes Geheimnis war so top secret, dass die Ghost Army bisweilen sogar eigene Truppen der U.S. Army irritierte.

Anzeige

Es dauerte bis 1996, bis das Pentagon die Akten über die Ghost Army schließlich freigab. Bis dahin waren die Angehörigen der Künstlerarmee nicht befugt, über ihren skurrilen Einsatz im Zweiten Weltkrieg zu sprechen. Denn die USA hatte auch in den Kriegen der folgenden Jahrzehnte ähnliche Täuschungstaktiken angewandt und weiterentwickelt.

Ein M4 Sherman aus Gummi (voll aufgeblasenes Kampfgewicht: 46,5 Kilogramm). Foto: National Archives

Nazi-Deutschland verfügte dagegen nicht über Schauspieler-Soldaten, baute aber ebenfalls verschiedene Attrappen auf um die alliierten Luftangriffe fehlzuleiten. So errichtete man bei Stuttgart und Karlsruhe die Scheinanlagen Brasilien und Venezuela, die den Stuttgarter Hauptbahnhof bzw. die Karlsruher Stadt simulieren sollte.

Ihren größten Auftritt hatte die Ghost Army übrigens im März 1945, als sie in der Nähe von Mönchengladbach eine Rhein-Überquerung simulierte. Fast das gesamte Arsenal an Gummi-Panzern kam in dieser besonderen Schlacht zum Einsatz und band so viele deutsche Truppen rund um die Kleinstadt Viersen, dass die Alliierten rund 40 Kilometer weiter nördlich relativ ungehindert den strategisch wichtigen Fluss überqueren konnten.

Einige der ehemaligen „Geistersoldaten" wurden später übrigens berühmte Künstler, wie Maler Ellsworth Kelly oder Mode-Designer Bill Blass. Im April 2015 ist im bei Princeton Architectural Press Rick Beyers und Elizabeth Sayles' Buch „The Ghost Army of World War II" erschienen, das bisher unveröffentlichte Bilder der heldenhaften Fake-Soldaten zeigt.