Danke für die Waffen: Warum der Diktator Myanmars einen Tempel in den Rheingau bauen ließ
Schätzt deutsche Wertarbeit: Militärdiktator Ne Win aus Myanmar

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Danke für die Waffen: Warum der Diktator Myanmars einen Tempel in den Rheingau bauen ließ

Der idyllische Tempel ist vor allem ein Symbol für die Skrupellosigkeit deutscher Exportpolitik. Die heutigen Bewohner aber wollen nichts von den Maschinenpistolen und Landminen wissen, während die Geschäfte von Fritz Werner weitergehen.

Wenn du im Rheingau zwischen Wiesbaden und Rüdesheim spazieren gehst, steht er da plötzlich auf dem Hügel wie ein UFO: Ein dreistöckiger, südostasiatischer Tempel voller Gold und Schnitzereien—mitten in den Weinbergen.

Wie zur Hölle kommt der da hin? Recherchierst du auf der Tourismus-Website rheingau.de, bekommst du folgende offizielle Version über die nahezu mystische Erscheinung des Pavillons in der Rheinlandschaft zu lesen: „1971 kam der burmesische Tempel hinzu, als Dank des Kaisers von Myanmar für die guten Geschäfte mit dem Industrie-Ausrüster."

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Die Mär vom großgütigen Kaiser eines fernen Landes, der den Pfälzern einen authentischen asiatischen Prachtbau schenkte, ist tatsächlich zu schön, um wahr zu sein. Bei genauerer Betrachtung offenbart die Geschichte des Tempels nämlich einen Einblick in die skrupellose Moral deutscher Waffenexporte: Tatsächlich hatte Myanmar überhaupt keinen Kaiser, sondern wurde in den vergangenen Jahrzehnten maßgeblich von ein paar durchgeknallten Diktatoren in Uniform beherrscht—und die Firma, die sich heute auch selbst verbrämt als „Industrie-Ausrüster" bezeichnet, ist die Munitions- und Waffenfirma Fritz Werner GmbH, die über Jahrzehnte zum verlässlichen Exklusivaufrüster und Freund einer brutalen Militärjunta wurde.

Mit Hilfe deutscher Wertarbeit metzelte das Regime schließlich jahrzehntelang reihenweise Studenten und Demokraten in Südostasien nieder, während der Diktator nahezu jeden Sommer seine liebste pfälzische Rüstungsfirma und den Tempel besuchte. Bis heute ist der Pavillion zwischen den Weinbergen nicht nur ein Symbol für eine ungezügelte Exportpolitik der BRD, sondern auch dafür, wie schnell schmutzige Geschäfte aus der Vergangenheit in Vergessenheit geraten. Dem heutigen Bewohner—ja, in dem Tempel wohnt jemand—ist die wahre Geschichte des Gebäudes angeblich nicht bekannt, während die inzwischen zivilen Geschäfte Fritz Werners GmbH (in veränderter Form) mit Myanmar auch heute munter weitergehen.

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Ewige Liebe: Die Junta und die Rheingauer Waffenfirma

Die Rüstungskooperation ist sogar älter als die diplomatischen Beziehungen der beiden Staaten. Schon kurz nach der Unabhängigkeit des Landes von Großbritannien 1953 kooperierten die beiden Staaten bei der Herstellung der Maschinenpistole BA53 (das später mit Ne Win-Gewehr gleich den Namen des Diktators höchstselbst verpasst bekam). Zusammen mit Heckler & Koch baute die Fritz Werner GmbH eine Fabrik zur Herstellung des G3-Sturmgewehrs im Myanmar, das später noch zu trauriger Berühmtheit kommen und durch die Weltpresse gehen sollte.

1962 putschte der General Ne Win in der noch jungen Demokratie. Das eigentlich reiche, an China, Indien und Bangladesch, Laos und Thailand grenzende Land wurde für das nächste halbe Jahrhundert zu einer Militärdiktatur—und verkam zu einem der ärmsten Länder der Welt.

Nicht viele Staaten wollten gern mit dem als paranoid, abergläubisch, brutal und unberechenbar geltenden Diktator zusammenarbeiten, der Kindersoldaten einsetzte, aufs eigene Volk schießen ließ, die ethnischen Minderheiten unterdrückte und seine Straßen durch Sklaven planieren ließ. Die Bundesrepublik Deutschland jedoch sah darin überhaupt kein Problem und wurde zu dem Schlüsselland in der Aufrüstung Myanmars.

Die bis 1990 in Staatsbesitz befindliche Waffenfirma Fritz Werner GmbH ging eine beispiellose Liebesbeziehung mit den ranghöchsten Militärs inklusive „Nummer Eins" Ne Win ein. Fritz Werner hatte damals einen privilegierteren Zugang zum Staatsoberhaupt als die deutsche Botschaft.

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„Die G3-Sturmgewehre waren gerade frisch aus Deutschland eingetroffen und die Soldaten brannten darauf, sie zu benutzen."

Drei Munitionsfabriken wurden zunächst von Fritz Werner gebaut, dann lizensierte Deutschland die Herstellung des G3-Sturmgewehres in Myanmar und lieferte die Waffe in zehntausendfacher Ausführung direkt an Ne Win, bis die Produktion im Land überhaupt anlief. Das Auswärtige Amt winkte diesen Deal 1962 überhastet durch, weil es befürchtete, das blockfreie Birma (wie das Land damals hieß, bevor die Junta es umtaufte) würde die junge DDR anerkennen.

Auch als Genreal Ne Win Proteste in der neuen Militärdiktaur sofort blutig niederschlug, ließ das Auswärtige Amt verlauten: „Keine Bedenken"; die deutschen Freunde lieferten gleich mal 18 Millionen Schuss und weitere 12.000 Gewehre des Typs G3, wie Roman Deckert in einer Chronik für das Berliner Informationscenter für Transatlantische Sicherheit schreibt. Die Information fand er in den Archiven des Auswärtigen Amts.

Die burmesischen Streitkräfte, die Tatmadaw, sind berüchtigt für Brutalität und Korruption. Sie stellen bis heute 25% des Parlaments, das ist in der Verfassung so festgeschrieben. Bild: imago

Der junge U Bo, der 1962 in Rangoon studierte, wurde laut einem Bericht der Friedrich-Ebert-Stiftung zu einem Augenzeugen:

„Wir standen auf dem Gelände der Mandalay Hall und die burmesischen Soldaten hatten sich hinter dem Zaun postiert. Der Kommandeur gab einen Befehl und als er sich umgedreht hatte, begannen sie mit ihren G3 zu schießen. Die G3 [Gewehre] waren gerade frisch aus Deutschland eingetroffen und die Soldaten brannten darauf, sie zu benutzen. Es war das erste Mal, dass sie mit ihnen unter realen Bedingungen schießen konnten. Ich stand in der ersten Reihe und dachte, sie wollten uns mit ihren Schüssen nur erschrecken. Aber die Kugeln schlugen in Hüfthöhe ein und da realisierte ich, dass sie direkt auf uns schossen."

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Auch ein Guerillakrieg und weitere friedliche Proteste mit Erschossenen Demonstranten 1974 bewegten die Bonner Exportkontrolleure nicht, ihre Politik zu ändern. Das einzige, was korrigiert wurde, waren die Munitionswerke selbst, die auf Antrag Fritz Werners umfassend modernisiert wurden.

14 Jahre später kam schließlich doch der Wendepunkt: Als die Armee Anfang 1988 Studentenunruhen gewaltsam unterdrückte und im August Tausende Demonstranten mit G3s niedermetzeln ließ, waren die deutschen Gewehre plötzlich überall—auf Tausenden Fotos, die um die Welt gingen.

Einer der Bestseller der Rheingauer Firma Fritz Werner GmbH an Myanmar: Das G3-Sturmgewehr. Bild: Wikimedia Commons.

Innerhalb weniger Tagen starben mehr als 100 Menschen, die unbewaffnet demonstriert hatten. „Free Burma" wurde zu einem Schlachtruf, die eingesperrte Oppositionspolitikerin Aung San Suu Kyi zur Ikone des friedlichen Widerstands. Währenddessen machte der gern gesehene Gast Ne Win auf Kosten Fritz Werners wie fast jedes Jahr Urlaub in der Bundesrepublik. Egal: Noch im September 1988 wurden weitere Munitionsmaschinen die Ausfuhr genehmigt.

Und auch, als sich die Militärjunta in den 1980er Jahren mit der Entwicklung von Chemiewaffen beschäftige, spielte die Fritz Werner (damals auch in ähnliche Rüstungsdeals mit Iran und Irak gleichzeitig involviert) eine wichtige Rolle; 15 Generäle bekamen eine kleine ABC-Waffen-Schulung in Deutschland.

Ahnungslos im Rheingau

Um den fernöstlichen Pavillion—eigentlich ein Nachbau einer Empfangshalle der burmesischen Könige—zwischen den Rieslingreben nahe Wiesbaden ranken sich derweil eine Menge Legenden.

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Der Tempel mit dem blumigen Namen „Brücke der Freundschaft" wurde 1970 mit einem Frachter in den Rheingau verschifft und in die Reben gebaut, nur unweit des Sitzes der Waffenfirma der Fritz Werner GmbH. Nach einer Nutzung als Tagungszimmer, als Schulgebäude der European Business School und fernöstliche Heilpraxis lebt und arbeitet hier heute ein Mainzer Geschäftsmann.

Die Waffenbosse? „Das sind sehr nette Leute".

Peter Brunsbach wollte 2000 eigentlich erstmal nur von der asiatischen Optik des Gebäudes profitieren, er pachtet den mit Schnitzereien verzierten Tempel und versucht es zunächst mit einer Praxis für Traditionelle Chinesische Medizin, die aber floppt. „Mit Chinesen arbeiten ich nie mehr zusammen", so urteilt er bitter über den „größten Fehler seines Lebens."

Doch zum Glück hat der gelernte Webdesigner noch eine ganz andere Geschäftsidee in petto: Er stellt ein paar Topfpflanzen, ästhetisch experimentelle Sofas und Computerschreibtische in den Tempel und eröffnet ein Studio für Reproduktionen 3D-gescannter Objekte und Skulpturen, in dem er nun auch wohnt.

Peter Brunsbach sagt, er habe keine Ahnung, dass die Eigentümer Fritz Werner Landminen, Maschinenpistolen und Munition herstellten—und will es eigentlich auch gar nicht wissen. „Der Tempel ist ein Geschenk der burmesischen Regierung an ein Unternehmen im Rheingau, das sich um die Industrialisierung des fernöstlichen Landes verdingt gemacht hat", erzählt mir Peter Brunsbach am Telefon die Version der Geschichte, die er kennt. „Das sind sehr nette Leute!", versichert er. „Da kommen auch immer mal wieder Diplomaten her und schauen sich den Tempel an."

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Und jetzt wird alles gut?

Nach dem Massaker von 1988 machte Deutschland eine 180-Grad-Wendung und wurde plötzlich zum scharfen Kritiker des Regimes. Da wurden ja schließlich Menschenrechte verletzt—geht ja gar nicht! Doch ohne deutsche Waffen hätte die Junta nicht gegen unbewaffnete Studenten vorgehen können:

„Die deutsche Regierung hat zweifellos eine gewisse Mitschuld an den Tötungen in Burma, weil deutsche Firmen Waffen oder Fabrikmaterialien zur Herstellung von Waffen geliefert haben. Die deutsche Regierung hat dies nicht nur gebilligt, sondern auch aktiv realisiert. Wenn ich jemandem eine Waffe gebe in dem Wissen, dass er damit jemand anderes tötet, werde ich in den meisten Ländern als Helfershelfer bezeichnet. So gesehen ist Deutschland damit ein Komplize der Massaker von 1988 und dem Krieg gegen die ethnischen Minderheiten.", sagt Mark Farmaner, Direktor der Burma Campaign London.

Mittlerweile ist die Fritz Werner GmbH an MAN bzw. den Ferrostaal-Konzern mit Sitz in Geisenheim verkauft und als Fritz Werner Industries Co. dort eingegliedert.

Was macht Fritz Werner wohl heute so in Myanmar? „Ausschließlich zivile Projekte", sagt die Firma. Im Bild chinesische Gewehre. Bild: imago

Und obwohl seit 1991 ein EU-Waffenambargo nach Myanmar gilt und Deutschland eine Kehrtwende nach den Protesten und dem Rücktritt Ne Wins machte (Myanmar war nun plötzlich auch in der offiziellen Lesart ein Schurkenstaat), gab es bis 2004 mindestens noch einmal pro Jahr Lieferungen von Dual-Use-Gütern, wie Übersichten des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle zeigen.

Noch heute ist die Firma unter dem Namen Fritz Werner Industrie-Ausrüstungen in der wichtigsten Stadt Rangun präsent—auch lange nach dem Rücktritt des Diktators Ne Win 1988 und der vorsichtigen außenpolitischen Öffnung hin zu einer Art parlamentarischen Demokratie mit militärischer Dominanz. 2011 erhielt Fritz Werner den Auftrag, die drei wichtigsten Flughäfen des Landes in Naypyidaw, Mandalay und Rangun zu modernisieren. „Ausschlißlich zivile Projekte" seien das, „die der Bevölkerung zugutekommen", so die Fritz Werner GmbH.

Die Firma will sich seit der Öffnung 2013 im Ausland als Industrieausrüster ohne Schurken präsentieren und beteuert, anderweitig Geschäfte zu machen—etwa mit Röntgengeräten gegen den grassierenden Drogenschmuggel im Goldenen Dreieck, in dem noch immer der Großteil der Bevölkerung in den Heroinhandel eingebunden ist. Das zumindest sagt die Firma selbst.

Seit einigen Jahren versucht die deutsche Botschaft nun, mit Kleinstprojekten wie zum Beispiel zur Behandlung und Rehabilitierung von Minenopfern die Sympathie der burmesischen Bevölkerung zu gewinnen. Aber wer hat die sogenannten „Antipersonenminen" in Myanmar damals wohl in Serie produziert?

Genau.