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„Angenehmer Ausgleich zum Lernen“: Schweinfurter Student gesteht Darknet-Deals

Zum europaweiten Exporteur von Maschinenpistolen sei er eher zufällig geworden, erklärte der 26-Jährige—eigentlich wollte er nur selbst schießen.
Bild: Daniel Mützel / Motherboard.

Christoph K. zeigte sich von der ersten Minute an voller Reue. „Im Nachhinein weiß ich natürlich, dass es falsch war", erklärte der 26-Jährige am 21.1. zur Eröffnung des Verfahrens, das eine echte Justizpremiere ist: K. ist der erste Deutsche, der festgenommen wurde, weil er im Darknet Waffen vertrieben haben soll. Dementsprechend zog sich auch der Beginn der Verhandlung vor dem Schweinfurter Landgericht hin—angeblich dauerte es mehrere Monate, bis sich in Unterfranken ein Richter fand, der ein solches Verfahren betreuen konnte und wollte.

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Der Student, der vor fast einem Jahr bei einer spektakulären Razzia auf dem Campus der Schweinfurter Fachhochschule festgenommen wurde, gestand am Donnerstag zwar die zentralen Anklagepunkte, betonte allerdings, seine zweijährige Darknet-Karriere nicht aus kommerziellen Gründen verfolgt zu haben. Er gab zu, sich Deko-Waffen besorgt, eigenhändig scharf gemacht und dann als Maschinenpistolen und sonstige Schusswaffen verkauft zu haben. Sein Ziel sei allerdings nie das große Geld gewesen—er wollte sich einfach nur sein großes Hobby, das Schießen, finanzieren.

Waffen und Emotionen

Wie aber kam der 26-jährige Unterfranke überhaupt dazu, sich mit dem Darknet zu beschäftigen und schließlich zum Waffenhändler mit europaweitem Vertrieb zu werden? Ursprünglich ging es ihm nur darum, an Schusswaffen heranzukommen, erklärte K. Nur deshalb habe er sich auf Waffen-Foren im Darknet herumgetrieben, weil er sich legal keine Waffenbesitzkarte (WBK) besorgen konnte. Die Zulassungsbehörden würden es bei WBK-Aspiranten „ja mit der Zuverlässigkeit recht eng sehen." K. befürchtete wohl aufgrund einer früheren Bewährungsstrafe keine Chance zu haben, legal an Waffen heranzukommen.

Mit auf der Anklagebank saß am ersten Tag auch Franz E., Vater von K.'s Freundin. Er soll den Studenten mit Munition versorgt haben und stützte die Argumentation von K., dass es ihm eigentlich ausschließlich um sein Hobby ging. Als der Freund seiner Tochter ihn regelmäßig nach weiterer Munition fragte, habe er sich gefreut, dass sich jemand aus seinem Bekanntenkreis für den Schießsport interessiere. E. wollte ihm helfen, es war eine „emotionale Sache".

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Christoph K. begann am 21.1 mit seiner Aussage vor dem vorsitzenden Richter Tietze. Bild: Daniel Mützel / Motherboard.

Am Anfang der Geschäfte von Christoph K. stand eine Einzelbestellung einer rückgebauten Maschinenpistole Typ Skorpion für 180 Euro von der Firma AFG Security Corporation in der Slowakei. In einem Darknet-Forum hatte K. von der Möglichkeit gelesen, diese zu einer scharfen Waffe umbauen zu können. Er wollte nachprüfen, „ob das stimmt, was da im Internet steht." Also ließ er sich die Deko-Waffe Anfang 2013 liefern und baute sie um. Zum Testen ging er auf ein abgesperrtes Militärgelände.

„Manchmal habe ich bereits die nächste Bestellung aufgegeben, bevor die Ware der vorhergehenden eintraf."

Ob er nicht jemanden hätte zufällig treffen können mit einer Maschinenpistole mit derartiger Reichweite, wandte der Richter ein. Ja, sagte K., aber um auf das Gelände zu kommen, musste man zunächst über einen Stacheldrahtzaun klettern und „eigentlich sei da niemand." „Eigentlich"?, fragte der Richter nach. Er hätte nie jemanden gesehen. Ob die umgebaute Pistole so funktionierte, wie er sich das vorgestellt habe? „Sie hätte präziser sein können, aber ich war zufrieden", so K.

Überhaupt habe er nie vorgehabt, mit Waffen zu handeln. Er habe eine abgeschlossene Elektroniker-Ausbildung und studiere seit 2012 an der FH, um sich beruflich weiterzubilden. Beinahe alle Prüfungen bestand er in der Regelstudienzeit, Schulden habe er keine, auch keine Probleme mit Alkohol oder Drogen. Die bei der Festnahme in seiner Laptop-Tasche gefunden Drogen befanden sich „schon ein halbes Jahr dort", versicherte K. Er konsumiere nur „gelegentlich".

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Der Haupteingang zum Campus der Schweinfurter Fachhochschule wenige Wochen nach der Razzia. Hier studiert Christoph K. Mechatronik. Bild: Max Hoppenstedt.

Business-Start mit dem Lohn vom Ferienjob

Seine Laufbahn als Waffendealer habe eher zufällig begonnen. Er sei in einem Darknet-Forum von einem User aus Irland gefragt wurde, ob er unbrauchbar gemachte Maschinenpistolen vom Typ Skorpion für ihn scharf machen könne. Plötzlich habe er die Möglichkeit gesehen, sich seine Leidenschaft finanzieren zu können.

Da er „viele verschiedene Kaliber schießen wollte", reichte dem Studenten eine einzige Skorpion nicht aus und er brauchte mehr Geld. Außerdem fiel ihm auf, dass es „damals nur wenige Anbieter im Darknet" gab. Er investierte seinen Ferienjob-Lohn und bestellte zehn Skorpion-MP legal bei der AFG Security Corporation in der Slowakei, die er sich an das leer stehende Nachbarhaus liefern ließ, „nacheinander, sonst wäre es aufgefallen."

Doch der Deal lief nicht wie geplant—plötzlich meldete sich der Ire nicht mehr und war wie vom Erdboden verschluckt. Als K. klar wurde, dass er „auf einem Berg Schusswaffen" saß, habe er zunächst über das Forum Waffen angeboten und später auf mehreren Darknet-Marktplätzen kommerzielle Angebote eingestellt. Was als Zufall begann, mündete in einen schwungvollen Handel mit unterschiedlichen Waffentypen.

Könnte die IRA die Waffen nutzen? Let me Google that.

Vor Gericht gabe er zu, dass er „gern geschossen" habe—auch das Umbauen der Waffen habe ihm Freude bereitet. Als er merkte, wie einfach es sei, Pistolen über das Darknet zu vertreiben, habe er „gleich noch ein paar Waffen für seine Privatsammlung mitbestellt", Kora-Revolver etwa und halbautomatische Selbstlader. Ob er sich erinnern könne, wie oft er in der Slowakei Nachschub bestellte, will der Richter wissen. „Zig Mal," so K. Wie oft genau, daran könne er sich aber nicht mehr erinnern. „Manchmal habe ich bereits die nächste Bestellung aufgegeben, bevor die Ware der vorhergehenden eintraf." Persönlich bereichern wollte er sich damit aber nicht, betont K. Beispielsweise habe er sich nie etwas gegönnt, sondern habe sich mit den Einnahmen „gleich wieder neue Waffen und Munition gekauft".

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Die langsame Angst vor dem Ende

Nach der mehrere Stunden dauernden Aussagen, will die Staatsanwältin Haderlein schließlich von ihm wissen, ob er gar keine Angst hatte, irgendwann erwischt zu werden? Durchaus, gesteht Christoph K und verweist auf eine Waffen-Übergabe, zu der es wenige Tage vor seiner Festnahme auf dem Campus der FH kam: Er bat einen Kommilitonen, den Mitangeklagten Andreas G., „etwas für ihn zu lagern", da er eine Durchsuchung seiner Wohnung befürchtete. Auch hatte er das Gefühl beschattet zu werden.

Kurz vor seiner Verhaftung stand er schließlich an einer Packstation in Schweinfurt und wollte ein Paket abgeben, als er sah, wie ein Auto vorfuhr und jemand „komisch zu ihm hinüberschaute." Er sei dann weg gelaufen, um sich zu verstecken, als er plötzlich merkte, dass ihm ein zweiter Wagen folgte. Nach seiner Festnahme erfuhr er, dass die Autos den Ermittlern des bayrischen LKA gehörten.

Der Beschuldigte im Verhandlungssaal. Bild: Daniel Mützel / Motherboard.

K.'s Geständnis blieb nicht ganz widerspruchsfrei. Vor Gericht beschrieb K. das Geschäft als „Nervenkitzel" und „angenehmen Ausgleich zum Lernen." Nicht ganz einleuchten wollte daher seine Aussage, dass er nach dem Verschwinden des Iren die Waffen „einfach nur losbekommen wollte" und daher auch Nachverhandlungen und Preisnachlässe beim Verkauf seiner Produkte bereitwillig akzeptierte.

Satte Gewinne drüfte K. dennoch eingefahren haben. Die Einkaufspreise seiner Deko-Waffen lagen häufig nur bei 150 bis 200 Euro—von seinen Kunden in Großbritannien zum Beispiel verlangte er für Maschinenpistolen aber bis zu 2500 Euro pro Stück. Er habe gewusst, dass er bei Ausfuhren nach England höheren Preis erzielen könne.

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Ob es ihn nicht stutzig gemacht hätte, dass jemand aus Irland 10 Maschinenpistolen bestellt und ob diese nicht für die IRA gewesen sein könnte, fragte der Richter. Ja, das habe er später auch „mal nachgegoogelt, aber dann gesehen, dass die IRA nix mehr macht."

Gedankenstütze USB-Stick

Ebenfalls nicht so recht zusammenpassen wollen seine Aussagen in Bezug auf das Tatmotiv: Er betonte zwar, dass ihn erst der Ire auf die Idee mit dem Waffenverkauf brachte. Doch als der vorsitzende Richter Tietze ihn darauf aufmerksam machte, dass er bereits vor der Bestellung der zehn Skorpions drei Schusswaffen des Typs FEG eingekauft hatte, bei denen der Eigengebrauch zumindest fragwürdig erscheint, entgegnete er, dass die anderen zwei als Ersatz gedacht waren, falls mal eine kaputtgeht.

Richter Tietze hat scheinbar einige Daten in der Hand, als er nachbohrt. Auf einem bei K. gefundenen USB-Stick befindet sich wohl eine Liste, auf der der Student seine Bestellungen vermerkt hatte. Die Auflistung sei allerdings nur ein „Gedächtnisprotokoll" gewesen, wiegelt K. im Verhör jedoch ab. Dass die dort vermerkten Mengen die Angaben in der Anklageschrift übersteigen, sei daher für ihn nicht mehr nachvollziehbar. Die Verteidigungsstrategie von Christoph K. scheint auch hier auf dem Prinzip zu beruhen, dass er sich an vieles nicht mehr erinnern kann, was nicht handfest durch Computerdaten und Zeugenvernehmungen belegt ist.

Wie die Ermittlungsbehörden Christoph K. auf die Spur gekommen sind, bleibt weiter fraglich. Die verantwortliche Staatsanwältin Haderlein verweigert die Auskunft darüber mit Verweis auf die laufende Verhandlung. Mittlerweile konnten die Ermittler auch einen Teil seiner Kunden identifizieren. Bei Markus M. in der Pfalz fand die Polizei bei einer Razzia eine MP Skorpion mit Ersatzmagazinen und Schalldämpfer, bei dem Kölner Hermann K. eine halbautomatische Czeska. Ein weiterer ehemaliger Kunde von K. ist für den weiteren Verlauf der Verhandlung als Zeuge geladen.

Ob das LKA Bayern dem Studenten im Darknet oder durch konventionelle Ermittlungsarbeit auf die Spur gekommen ist, wird sich womöglich in den kommenden Wochen klären. Spannend bleibt außerdem die Frage, inwieweit das Gericht dem Angeklagten Glauben schenken wird, in den Verkauf von Kriegswaffen eher beiläufig hineingerutscht zu sein oder ob sein Tatmotiv nicht doch primär der gewerbsmäßige Handel mit Gewinnabsicht war.