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4chan steckt in einer existenziellen Krise und wird sich umorientieren müssen

Dem abgründigen Troll-Vergnügungspark geht das Geld aus. Daher kündigt der Betreiber nun an, große Änderungen einführen zu müssen.
Ganz sicher das harmloseste Bild auf 4chan. Bild: Screenshot 4chan

Das anonyme Meme- und Messageboard 4chan rechnet sich nicht mehr—und je nachdem, wen man fragt, ist das eine Tragödie oder das Beste, das dem Internet passieren kann.

Hiroyuki Nisimura, der Inhaber von 4chan, beschrieb in einem Post am Sonntag, dass die auf 4chan geschalteten Werbeanzeigen nicht funktionieren würden und die Kosten für die Server, auf denen 4chan läuft, nicht gedeckt werden können. Tatsächlich hatte 4chan in den vergangen Wochen bereits große Werbeflächen abgeschaltet, weil die Kosten für die Server, auf denen die Anzeigen liefen, die Einnahmen überstiegen. In seinem Eintrag, der poetisch „Winter is Coming" betitelt ist, schreibt Nisimura, es gäbe nun drei Optionen:

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  • Den Traffic halbieren: ein paar Boards schließen, auf langsamere Server umsteigen und die Bildergrößen für den Upload begrenzen
  • Geld durch mehr Werbung eintreiben, darunter Pop-up-Ads und „schädliche Anzeigen" (gemeint ist vermutlich Malware)
  • Mehr kostenpflichtige Accounts verkaufen

Der japanische Internetmillionär Nisimura ist nicht nur der frühere Gründer und Administrator des japanischen Vorgänger-Messageboards 2chan, sondern seit vergangenem September auch stolzer Besitzer des Troll-Vergnügungsparks 4chan, nachdem er es seinem Gründer Christopher „moot" Poole abgekauft hatte. Das Board hat sich in den vergangenen Jahren zur Geburtsstätte der sogannenten Alt-Right entwickelt, die Donald Trump durch Memes im Wahlkampf unterstützten. Ihre Stimmen gewinnen, so krude und laut sie häufig schreien, zunehmend an Einfluss: Viele Beobachter kommen zu dem Schluss, dass Internettrolle den US-Wahlkampf 2016 durch gezielte Kampagnen zumindest weiter zur Entgleisung geführt, wenn nicht sogar für sich entschieden haben.

Gleichzeitig treiben die lebhaften Diskussionen auch die 4chan-Serverkosten durch die langen, bildlastigen und unregulierten Threads in dem anonymen Bilder- und Messageboard in die Höhe. Nachdem die Gamergate-Diskussion in einer der wenigen Moderations-Maßnahmen auf 4chan verboten wurde (weil sie über Monate aus dem Ruder lief), witterten manche Nutzer Zensur und wichen für die Verbreitung von maximal beleidigendem Content auf Twitter oder das noch anarchistischere Board 8chan aus, das auf den Philippinen gehostet wird.

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Das Gesicht hinter 8chan: Das ist der Mann, der die Jauchegrube des Internets am Leben hält

4chan kämpft schon seit Längerem mit der eigenen Rentabilität. Im Januar 2015 kündigte der Hauptadmin Christopher „moot" Poole an, das Board nicht mehr länger betreiben zu wollen. Im Rahmen seines von vielen Nutzern betrauerten Rückzugs räumte er ein, das Forum nie in die schwarzen Zahlen geführt haben zu können.

Nishimura dagegen gab zwar an, mit seinem Imperium N.T. Millionen mit dem Board zu machen, doch hatte er seit jeher Probleme mit dem Gesetz. 2008 hatte er über 50 Verfahren anhängend und muss millionenschwere Strafzahlungen leisten.

4chan orchestrierte nicht nur Kampagnen zur Belästigung von Minderheiten und Frauen, sondern feuerte auch einen User an, der sich vor laufender Kamera selbst anzündete

Für welche der drei erwähnten Optionen im Post sich der Board-Besitzer nun entschieden wird, ist weiterhin unklar. Klar ist aber: Die angekündigten Veränderungen werden die Kultur der unregulierten Seite nachhaltig verändern.

Innerhalb des Messageboards gibt es für manche Anons keine ethischen Grenzen—ihre Abwesenheit wird wahlweise als gezielte Provokation für sogenannte „Social Justice Warriors" („Gutmenschen") gesehen oder als Sieg der ultimativen Freiheit im Netz gefeiert. Als sich der Siebtklässler Michael Henderson mit der Schrotflinte seiner Eltern erschoss, entschied sich die Community, einem Rechtschreibfehler auf einer Erinnerungsseite für den Teenager („an hero") mehr Aufmerksamkeit zu schenken als dem Tod des Schülers; hackte dessen persönlichen Social Media-Seiten, ersetzte dort sein Gesicht durch Zombies und rief über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren die trauernden Eltern an, um sich über ihren Sohn und seinen Tod lustig zu machen.

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4chan forderte nicht nur Justin Bieber-Fans auf, sich selbst zu verletzen, leakte wiederholt persönliche Daten wie gehackte Nacktbilder der Schauspielerin Jennifer Lawrence, orchestrierte Kampagnen zur Belästigung von Minderheiten und Frauen und startete die unselige Gamergate-Kontroverse, sondern feuerte auch einen Studenten an, der sich vor laufender Kamera anzündete, weil er „für euch alle „an hero" machen will", wie er auf 4chan schrieb.

Wie verkauft man Werbung auf einer Seite, die sich durch sexistische und rassistische Trolle, derbe Witze, allgemeines Chaos und Anime-Porno hervortut?

Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass viele Akteuere im Internet nicht allzu traurig wären, wenn der „berüchtigte Bienenstock voller Abschaum und Boshaftigkeit", wie Brianna Wu es formuliert, in der Bedeutungslosigkeit versinken würde. 4chan entwickelt über ein seltsames Humorverständnis seiner Benutzer eine oft extrem düstere, grenzenlose Eigendynamik, die kaum zu bremsen ist—und genau deshalb wird die Seite von den anonymen Usern so geschätzt.

Doch zweifellos hätte selbst ein teilweises Wegbrechen von 4chan auch enormen Einfluss auf die Internetkultur, die über das Trollen hinausgeht: Zahllose Memes entstanden hier, Anonymous fand zu seiner größten Stärke, und selbst die Petition zur Wiederholung des Brexit-Referendums wurde von den Anons recht clever getrollt.

In jedem Fall wird es nicht einfach, Werbung auf einer Seite zu verkaufen, die sich durch sexistische und rassistische Trolle, derbe Witze, allgemeines Chaos und Anime-Porno hervortut.

Doch Rettung naht, denn in den Untiefen des Internets gibt es immerhin einen Investor, der bereitwillig Geld in das Messaging-Board kippen möchte: Martin Shkreli, seines Zeichens Pharmainvestor, der seit einer 5000%-igen Preiserhöhung für ein lebenswichtiges Medikament den zweifelhaften Titel „meistgehasstester Mann des Internets" mit sich herumtragen darf. Nisimura ist bereits in Gespräche mit dem „Pharma Bro" eingetreten, ließ er über Twitter verkünden. Der meistgehassteste Mann hievt die meistgehassteteste Website aus dem Schuldensumpf? Jeder Topf findet eben irgendwann einen Deckel, würde Oma sagen.