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Google-Suchen zum Brexit: Hört auf, voreilige Schlüsse zu ziehen!

Die Google-Suchen zum Brexit sind kein guter Anlass, um über die „dummen Briten“ zu spotten.
Bild: Emanuel Maiberg/Google Trends.

Google hat sich längst als erste und häufig einzige Adresse etabliert, mit der Menschen im Netz nach Informationen suchen. Wenn du wissen willst, was Lukas Podolski jetzt schon wieder bei der EM ausgefressen hat, reicht es, EM und den Nachnamen des Kölners in die Suchmaske einzugeben und schon spuckt Google binnen Sekundenbruchteilen Antworten aus. Der Suchmaschinengigant selbst zeichnet das Interesse an bestimmten Themen und Suchbegriffen auf und stellt die Informationen freundlicherweise mit Google Trends in anschaulichen Kurven dar.

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So liefert uns Google Trends Echtzeitdaten darüber, mit welcher Häufigkeit Menschen gerade mit der meistgenutzten Suchmaschine der Welt nach Informationen suchen. Trends ist ein interessantes Tool, aber bis wir gelernt haben, die Daten richtig zu interpretieren, sollten wir dringend aufhören, aus den Kurven voreilig Rückschlüsse zu ziehen.

Um zu verstehen, wie gerne auch etablierte Medien voreilige Schlussfolgerung aus Google Trends ziehen, lohnt es sich, zunächst ein etwas älteres politisches Beispiel anzuschauen. Der Journalist Ben Casselman hat mit dem Fall Mitt Romney am vergangenen Freitag auf Twitter auf einen solchen Fall hingewiesen:

Das Beispiel zeigt sehr anschaulich, wie Google von den Leuten genutzt wird. Mit dem Wissen um diese Daten kann man nun entweder direkt vom Schlimmsten ausgehen und annehmen, dass viele nach den Wahlen überhaupt nicht wussten, wer Mitt Romney überhaupt ist, oder man interpretiert die Kurve schlicht als Abbild der Suchgewohnheiten der Leute bei der Recherche wichtiger Themen:

Bild: Danny Page.

Doch leider wird in den Medien gerne erstmal vom Schlimmste ausgegangen und die Menschen werden für uninformiert gehalten.

Auch ein anderes aktuelles Beispiel zeigt, dass sich aus Google Trends nur schlecht eine Grundlage für eine journalistische Berichterstattung ableiten lässt: In den USA entbrannte im April eine Diskussion um die Einführung einer neuen 20-Dollar-Note, auf der das Gesicht der afroamerikanischen Fluchthelferin und Frauenrechtlerin Harriet Tubman abgebildet werden sollte. Unter anderem die renommierte Washington Post schrieb daraufhin:

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„Wenn man aus der gestrigen wilden Sucherei etwas schließen kann, dann die Tatsache, dass viele Amerikaner nicht einmal wissen, wer sie ist", hieß es in dem Artikel „Wenn ihr keine Ahnung habt, wer Harriet Tubman ist—ihr seid nicht alleine."

Doch vielleicht ist der springende Punkt, dass man aus den Ergebnissen der Google-Suchanfragen nicht wirklich pauschal etwas schließen kann.

Bild: Danny Page.

Man beachte auch die Wortwahl im Washington Post-Artikel. Es wird von „vielen" Amerikanern gesprochen. Doch was genau bedeutet das in dem Fall? Google Trends ist immer relativ. Besonders deutlich wird das in den letzten Tagen nach dem Brexit-Referendum. Die scheinbar vermehrte Suchanfrage „Was ist die EU?" hat in den Medien zu den wildesten Spekulationen über die Intelligenz der Briten geführt.

In zahlreichen Artikeln heißt es nun, dass nach der Brexit-Wahl drei Mal so viel nach der EU gegoogelt würde als zuvor. Doch wie viele Menschen genau haben in Großbritannien nach der EU gegoogelt? Handelt es sich dabei um wahlberechtigte Bürger? Haben diese Suchenden für den Verbleib oder den Austritt aus der EU gestimmt? All diese Informationen sind aus den Google Trends-Daten nicht ersichtlich. Lediglich eine hübsche, plötzlich stark ansteigende Kurve wird uns geboten. Vergleicht man die Kurve mit anderen Suchanfragen aus der Region, wird jedoch schnell klar, dass hinter den „Was ist EU"-Suchanfragen wahrscheinlich nur relativ wenige Menschen stecken:

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Bild: @Sammich_BLT.

Doch das reicht etlichen Journalisten bereits aus, um ein ganzes Land über einen Kamm zu scheren, auch wenn es sich eigentlich nur um eine handvoll Leute handelt, die einfach auf Google nach Informationen gesucht haben, wie man es in Suchmaschinen eben so macht. So heißt es beispielsweise bei der Welt „Briten googeln plötzlich, was der Brexit bedeutet" und bei Spiegel Online „Nach Abstimmung: Briten googeln, was der Brexit bedeutet" und—alleine dieser Artikel wurde auf Facebook tausende Mal geteilt. (Der Spon-Artikel gibt dann zumindest im Text selbst zu, dass man vorsichtig mit Schlussfolgerung aus Google Trends sein müsse).

Alle Schlagzeilen, in denen die Briten ob ihrer Dummheit oder Naivität belächelt werden, sind ohne genauere Angaben zu den Hintergründen der Daten nichts als reißerisch und falsch. Remy Smith wies auf seiner Medium-Seite darauf hin, dass es sich bei dem so häufig beschrieben „Suchanfragen-Rekord" um etwa 1000 Menschen gehandelt habe. Es sei also lächerlich, aus einigen wenigen auf die ganze Bevölkerung zu schließen und daraus eine Riesen-Story daraus zu machen. Der Fall verdeutlicht einmal mehr, dass man jede Statistik immer in ihrem Kontext betrachten sollte.

Ich persönlich bin ziemlich enttäuscht darüber, wie sorglos hier mit Daten umgegangen wird. Der Fall zeigt, dass man Daten zuerst verstehen sollte, bevor man sie dann falsch interpretiert. Google Trends ist definitiv ein interessantes Tool, doch lasst uns diese Daten bitte nur verwenden und in einen Kontext setzen, wenn weitere Informationen hinzugezogen wurden. Man kann sich nämlich selbst ziemlich bloßstellen, wenn man seine Thesen einzig und allein auf der Grundlage von Google Trends aufstellt.

Dieser Artikel ist im Orignal auf Danny Pages Medium erschienen und wurde mit seiner Erlaubnis auf Motherboard veröffentlicht. Für diese Übersetzung wurde er im Vergleich zum Original leicht angepasst und gekürzt.