Wer bringt eigentlich Streaming-Anbieter wie Kinox.to vor Gericht?
So sieht die Asservatenkammer der GVU aus. Alle Bilder: GVU

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Wer bringt eigentlich Streaming-Anbieter wie Kinox.to vor Gericht?

100.000 Euro an Informanten und Spione im Kino: Wir haben uns genauer angeschaut, wie der unauffällige Lobbyverband GVU den Big Playern der Filmbranche zuarbeitet.

Aktuell steht in Leipzig die mutmaßliche Nummer 3 des illegalen Streaming-Dienstes Kinox.to wegen Geldwäsche, Nötigung, Urheberrechtsverletzung in 767.000 Fällen und Computersabotage vor Gericht. Mit 19 angesetzten Verhandlungsterminen ist es schon heute einer der größten und umfangreichsten Prozesse gegen Raubkopierer—vergleichbar nur mit dem Prozess gegen die Betreiber von Kino.to.

Bernd N. (39) ist der Grund, warum Avit O. (32) seit August in Leipzig auf der Anklagebank sitzt. Der mutmaßliche Mitgründer von Kinox.to schweigt in weiten Zügen zu den Vorwürfen der Dresdner Generalstaatsanwaltschaft. Bernd N. dagegen redet: Gemeinsam mit Ehefrau Karin (37) war der Maurer für das Freischalten von Links auf der Streaming-Plattform Kino.to zuständig.

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„Wir wussten, dass das, was wir machen, auch nicht ganz sauber ist"

Rein äußerlich ist der Ostfriese sicher nicht der IT-Nerd aus dem Bilderbuch. Der frühere „Freischalter" ist von kräftiger Statur. Am Montag erschien er in Turnschuhen und Böhse-Onkelz-Shirt vor Gericht. An beiden Ohren hängen Ringe. Die Jack-Wolfskin-Jacke zieht sich der Kronzeuge während der mehrstündigen Vernehmung nicht aus, obwohl im Gerichtssaal eine angenehme Raumtemperatur herrscht.

Fließbandpoduktion von kopierten DVDs. Bild: GVU

„Wir wussten, dass das, was wir machen, auch nicht ganz sauber ist", räumte der „Freischalter" ein. Gewissensbisse plagten ihn offensichtlich nicht. Allerdings knirschte es zwischen dem Norddeutschen und dem Rest des Teams. „Wenn sie angegriffen worden sind, haben sie zuerst immer gedacht, dass meine Frau und ich das gewesen sind", beklagt sich Bernd N. Die regelmäßigen Konflikte im Team der Streaming-Organisation waren Anlass für einen Verrat.

Karin und Bernd N. wollten aus der Szene aussteigen. Ein Mittäter vermittelte dem Ehepaar schließlich den Kontakt zu jener privaten Organisation, die seit Jahren gegen das riesige Streaming-Angebot in Deutschland kämpft: Die Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen, GVU.

Es war jene Berliner Organisation, die das Verfahren gegen die Betreiber von Kino.to, Kinox.to und anderen Streaming-Portalen ins Rollen brachte und Strafanzeige erstattete. Aber wie arbeitet der gemeinnützige Verein mit Sitz in einem schnöden Bürokomplex in Berlin-Moabit? Und wer steckt hinter der GVU, die sich rigoros und mit erheblichem Aufwand dafür einsetzt, dass Menschen, die in Deutschland Filme online bereitstellen, für Jahre hinter Gittern landen?

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In der GVU haben sich Unternehmen, Verbände und Verwertungsgesellschaften zusammengeschlossen, um den Urheberrechtsschutz „operativ"" zu unterstützen. Zu den über 70 Mitgliedern zählt alles, was in der Verwertungsindustrie Rang und Namen hat: Die deutschen Dependancen der großen Filmstudios, der Verband der Filmverleiher, diverse Buchverlage, Sky Deutschland, der Bundesliga-Ausrichter DFL, der Börsenverein des deutschen Buchhandels, der Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware und der Bundesverband Musikindustrie.

Der Geschäftsführer der GVU: Dr. Matthias Leonardy

Die Raubkopierer aus einem ostfriesischen Dorf boten dem Lobbyverein mit Sitz am Spreeufer Informationen gegen Bezahlung an. Geschäftsführer Matthias Leonardy warb daraufhin unter seinen finanzstarken Mitgliedern um Geld. Schließlich wechselten 100.000 Euro den Besitzer.

Am 8. Juni 2011 durchkämmten Ermittler im Auftrag der Dresdner Generalstaatsanwaltschaft 20 Wohnungen und Geschäftsräume im In- und Ausland. Am Ende ergingen Urteile gegen acht Beschuldigte. Fünf Beteiligte mussten Haftstrafen antreten.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden, die die Ermittlungen im Kino.to-Verfahren leitet, freut sich über die Hilfe aus der Wirtschaft.

Landen ertappte Raubkopierer schließlich vor Gericht, kann es passieren, dass man die GVU-Juristen im Publikum oder sogar auf der Klägerbank trifft. Geschäftsführer Leonardy ließ es sich etwa im Frühjahr 2011 nicht nehmen, die Nebenklage im Prozess gegen Kino.to-Programmierer Bastian P. (33) persönlich zu vertreten.

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Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden, die die Ermittlungen im Kino.to-Verfahren leitet, freut sich über die Hilfe aus der Wirtschaft. „Die GVU hat die Ermittlungen unterstützt, indem sie ihre Erkenntnisse bei der Beobachtung des Raubkopier-Unwesens im Internet an die Strafverfolgungsbehörden weitergegeben hat", erläutert Oberstaatsanwalt Wolfgang Klein. Hierbei handele es sich keineswegs um eine Frage von Kapazitäten, sondern um die Weitergabe von Erkenntnissen. „Die GVU beobachtet das Geschehen im Internet zum Schutze ihrer angeschlossenen Filmproduktionsfirmen, während die Strafverfolgungsbehörden erst bei Vorliegen eines Anfangsverdachts einer Straftat ermitteln dürfen", so Klein.

Aufstieg und Fall eines Streaming-Millionärs: Mutmaßlicher Kinox.to-Gründer vor Gericht

Bei Kinox.to verfolgt die GVU dieselbe Taktik wie bei dem prominenten Vorgänger Kino.to: die großen Anbieter auszuschalten. Die Hauptplayer im Bereich Streaming sollen im Idealfall lahm gelegt werden. „Das ist ein, man kann getrost sagen, Syndikat, das sich dort entwickelt hat", analysiert Leonardy den illegalen Markt. Wie die Prozesse gegen Mitarbeiter von Kino.to und das laufende Verfahren gegen den mutmaßlichen Kinox.to-Gründer Avit O. vor dem Landgericht Leipzig zeigen, kennen sich die wesentlichen Akteure nicht nur untereinander, sondern gehen sogar Geschäftsbeziehungen miteinander ein.

In Moabit sitzt die GVU Tür an Tür mit einer Leiharbeitsfirma, einem Büro für Webdesign und einem Betreiber von Oldtimer-Zentren. Vom Spreeufer aus betreibt der Verein einerseits Lobbyarbeit für die Big Player der deutschen Kreativwirtschaft. Der Verband verlegt Infobroschüren, ist in mehreren Aktionsbündnissen organisiert und bietet Fachvorträge an. Auf Anfrage beteiligen sich die Mitarbeiter auch an Projekttagen in Schulen. Andererseits recherchieren Geschäftsführer Matthias Leonardy und sein Team in den Tiefen der Raubkopie-Szene, um Urheberrechtsverletzungen zu dokumentieren und zur Anzeige zu bringen. Hierzu durchkämmen sie einschlägige Foren und Webportale.

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Auch dsa gehört zur Arbeit der GVU: Auf einem Schwarzmarkt stellen speziell trainierte Hunde anhand des Geruchs gefälschte DVDs sicher.

Erhält die GVU von Filmverleihern Hinweise, dass in bestimmten Kinos aktuelle Blockbuster abgefilmt werden könnten, mischen sich die Experten unauffällig unter das Publikum, um verdächtige Besucher genau zu beobachten. Was manche „Abfilmer" nicht zu wissen scheinen: Heutzutage sind Bild und Tonspur mit codierten Wasserzeichen unterlegt, die den Verleihern die Zuordnung eines Mitschnitts zu einer konkreten Vorführung ermöglichen. Die GVU-Mitarbeiter analysieren Verhaltensmuster der Täter und legen sich auf die Lauer.

Beschäftigte sich der Verein bei seiner Gründung im Februar 1985 vornehmlich mit illegal kopierten Videokassetten, liegt der Fokus der Arbeit heute auf dem Internet. Filme und Serien werden zum Streaming oder Download angeboten. Ebooks lassen sich in Anbetracht kleiner Datenmengen leicht digital weiterverbreiten. Bezahlsender Sky und die DFL, deren Tochterfirma Sportcast bei Bundesligaspielen das TV-Signal produziert, beklagen das Verramschen ihrer Medienprodukte durch ausländische Anbieter, beispielsweise in Russland ansässige Streaming-Seiten.

Die GVU setzt auf Abschreckung: „Man kann Verfolgungsdruck erzeugen"

Der Schaden, der der Wirtschaft allein in Deutschland durch die Nutzung von Raubkopien entsteht, lässt sich kaum beziffern. Schätzungen gehen von 250 bis 400 Mio. Euro pro Jahr aus. „Das ist keine exakte Wissenschaft, weil man die Zahl der Nutzer nicht kennt", weiß Matthias Leonardy. Der GVU-Geschäftsführer setzt in seiner Arbeit auf Prävention und Abschreckung. „Man kann Verfolgungsdruck erzeugen", ist Leonardy überzeugt.

Allerdings ist auch den Raubkopie-Jägern bewusst, dass sich der Online-Schwarzmarkt nachhaltig nur durch adäquate legale Angebote trocken legen lässt. „Wenn die Leute den Film online haben wollen, muss man ihn ihnen legal anbieten", meint Leonardy. An dieser Stelle hinkt die Filmwirtschaft jedoch hinterher. Während in der Plattenindustrie Unternehmen wie Spotify, Napster oder Apple ihren Kunden für rund 10 Euro im Monat allumfassende Musikkataloge zum Streamen anbieten, ist der Online-Filmmarkt heftig umkämpft. Anbieter wie Sky, Amazon oder Netflix reißen sich um exklusive Alleinstellungsmerkmale und schaffen es trotzdem nicht, eine umfassende Auswahl anzubieten. Wer aktuelle Filme und Serien legal und bequem gucken möchte, kann das letztlich nur durch mehrere Abos parallel halbwegs sicherstellen—und das geht auf Dauer ziemlich ins Geld.

Schon allein deshalb wird sich die GVU noch länger mit den illegalen Streaming-Anbietern zu beschäftigen haben.