Was ihr über die Transsexuellengesetze in Österreich und Deutschland wissen solltet

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Transsexuellengesetz

Was ihr über die Transsexuellengesetze in Österreich und Deutschland wissen solltet

Eine Petition zur Reformierung des Transsexuellengesetzes verfehlte in Deutschland das Quorum kürzlich dramatisch. In Österreich ist die rechtliche Situation für trans- und intersexuelle Personen ähnlich reformbedürftig.

Titelbild: Franziska Neumeister | Flickr | CC BY 2.0

"Petition 70282" steht auf der Website des Deutschen Bundestages. "Geschlechterspezifische Fragen – Reformierung des Transsexuellengesetzes vom 27.02.2017" lautet der volle Titel der Petition, die am 10. April mit weniger als einem Dreißigstel der benötigten Unterschriften auslief. Nur 1527 Personen unterzeichneten, 50.000 wären nötig gewesen. Wie viele Transsexuelle es in Deutschland gibt, kann nur geschätzt werden.

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Auch, weil das gesamte Transgender-Spektrum sehr breit ist. Laut der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti), die sich in ihren Schätzungen auf Artikel der amerikanischen Informatikerin und Aktivistin Lynn Conway bezieht, liegt schon der Anteil der Personen, die vollständig die Geschlechtsrolle wechseln, in Deutschland bei mindestens 1:1000. Da sowohl Rechtslage als auch Gesellschaftsstruktur in Österreich ähnlich beschaffen sind, könnte sich das auch hierzulande ausgehen.

Das Transsexuellengesetz (TSG), das "Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen", trat in Deutschland am 1. Jänner 1981 in Kraft und wurde seither nicht allzu groß verändert. Erst 2011 kam es zu einem wichtigen Beschluss durch das Bundesverfassungsgericht, der den Operationszwang in Deutschland kippte. Zuvor galten nämlich nur Penis und Vagina als endgültig genug, um auch auf Papier die gewünschte Geschlechtsidentität zu erhalten. Betroffene mussten sich zwischen die Beine schauen lassen.

Die Forderungen der Petition beinhalten den Schutz intersexueller Säuglinge und Kleinkinder vor operativen Eingriffen, das Recht auf Selbstbestimmung ohne jahrelangen Alltagstest, die Änderung des juristischen Geschlechts unabhängig vom Familienstand, die Übernahme medizinischer Leistungen durch gesetzliche Krankenkassen sowie die Anerkennung eines dritten Geschlechts.

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Alle diese Punkte werden von Betroffenen, Vereinen, Organisationen und Unterstützern seit langem diskutiert. In Österreich gibt es aufgrund der ebenso problematischen Situation ähnliche Anstrengungen. Aber worum geht es im Detail und warum zur Hölle scheint das alles niemanden zu interessieren?

Wie sieht der Status Quo für Inter- und Transsexuelle aus?

Während Homosexualität zumindest theoretisch schon in die jeweiligen Bundesregierungen vorgedrungen ist, sind Trans- und Intersexualität kaum wahrnehmbare Nischenthemen geblieben. Auch abseits von Parteien und Politik ist in unserer aufgeklärten Gesellschaft wenig bis nichts über die Rechte von betroffenen Personen bekannt. Man muss sich schon aktiv damit beschäftigen, um Bescheid zu wissen.

Auch, wenn sich der ORF im Februar im Rahmen einer Folge von Am Schauplatz dem Thema Intersexualität angenähert hat. Laut der Reportage von Nora Zoglauer werden in Österreich jährlich 20 bis 25 Kinder geboren, die weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht eindeutig zuzuordnen sind. Während Eltern bis vor wenigen Jahren noch dringend empfohlen wurde, sofort nach der Geburt erste geschlechtsangleichende Operationen durchführen zu lassen, wird heute vermehrt davon abgeraten, um dem Kind eine selbstständige Entwicklung zu ermöglichen.

Zur Zeit der Pubertät können die Kinder mit hormonhemmenden Medikamenten behandelt werden, um entlarvende Anzeichen wie Brust, Bartwuchs und Stimmbruch hinauszuzögern. Den Kindern soll die Möglichkeit gegeben werden, erst als junge Erwachsene eine fundierte Entscheidung über ihr zukünftiges Geschlecht treffen zu können.

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In Nepal, Bangladesch und Australien kann man längst offiziell ein drittes Geschlecht eintragen lassen.

Oder eben nicht. Jedoch liegt die anfängliche Entscheidung darüber, ob es so weit kommen soll, bei den Eltern. Sie können über das Leben ihres noch lange unmündigen Kindes entscheiden – und das kann fatal sein. Der erste Punkt der Petition bezieht sich auf den Schutz der intergeschlechtlichen Säuglinge und Kleinkinder vor derartigen Eingriffen. Da es notwendig sei, diesen auch gesetzlich zu verankern.

Damit untrennbar zusammen hängt auch die Forderung nach einem dritten gesellschaftlichen Geschlecht. Schließlich sei die heteronormative Einteilung von Personen in männlich und weiblich überholt. Alex Jürgen kämpft mit seinem Anwalt seit einiger Zeit darum, seine Intersexualität auch behördlich geltend zu machen.

Neben "Mann" und "Frau" sollte doch auch "Anderes" oder "X" zur Auswahl stehen. Bisher kam er damit nicht durch. Zuletzt musste er vom Landesverwaltungsgericht Oberösterreich als Begründung das Fehlen eines entsprechenden Computerprogrammes einstecken. Der Fall von Alex ist der erste seiner Art in ganz Österreich. In Am Schauplatz kündigte er an, in Berufung zu gehen.

2015 hatte der Menschenrechtskommissar des Europarats Nils Muižnieks dazu aufgerufen, bei der Ausstellung von Personenstandsurkunden und Ausweisen die geschlechtliche Selbstbestimmung intergeschlechtlicher Personen zu respektieren und ihnen eine Eintragung jenseits von "männlich" und "weiblich" zu ermöglichen.

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In wenigen Ländern außerhalb Europas ist dies bereits möglich. So wird ein drittes Geschlecht offiziell etwa in Nepal, Bangladesch und Australien eingetragen. Auch wurde im Dezember 2016 der 55-jährigen Sara Kelly Keenan als erster Person in den USA das Geschlecht in der Geburtsurkunde von "weiblich" auf "intersexuell" geändert).

Der Verein TransInterQueer wendete sich 2016 in Kooperation mit dem Bundesverband Trans* in einem Statement an das Deutsche Institut für Menschenrechte und postulierte unter anderem, dass das geltende Personenstandsrecht "zwischen- oder nichtgeschlechtlich empfindende trans* (und inter*) Menschen in ihrem Geschlecht" diskriminiert, sie in ihrer "Persönlichkeitsentfaltung, ihrer Freiheit (z.B. Reisefreiheit) und Sicherheit" einschränkt, sie "zusätzlichen Diskriminierungen (auf dem Arbeitsmarkt etc.)" aussetzt und "durch die Zwangsordnung zu einem nicht passenden Personenstand ihre Würde" verletzt.

Als zentral wird in dem Schreiben ebenso wie in der Petition das Recht auf eine unmittelbare Personenstandsänderung empfunden. Gemeint ist damit, dass transsexuelle Personen rechtlich in der Lage sein sollen, ihren Geschlechtseintrag auch ohne jahrelange Behandlungen selbstbestimmt zu ändern. In Dänemark, Irland, Malta und Norwegen ist das bereits möglich. In Schweden gibt es diesbezüglich ein laufendes Gesetzgebungsverfahren.

Im deutschen TSG ist gleich im ersten Paragraphen vermerkt, dass zwischen offiziellem Behandlungsbeginn und Vornamensänderung mindestens drei Jahre liegen müssen. Diese Zeit ist für Betroffene ein Kraftakt. Viele bleiben aus psychischen oder finanziellen Gründen ausgeschlossen, andere geben auf oder bleiben traumatisiert. Als Schikane wird die Prozedur von den meisten empfunden, doch ist sie unausweichlich, um ans Ziel zu gelangen. Vereine wie TransX in Österreich ermutigen Betroffene, durchzuhalten.

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Wann darf sich in Österreich eine Frau Mann oder ein Mann Frau nennen?

Es beginnt mit einer Überweisung zur Psychotherapie. Parallel dazu erfolgt eine psychiatrische Differentialdiagnose und eine klinisch-psychologische Testung durch die ausgeschlossen wird, dass das "Geschlechtsunbehagen" psychische Ursachen hat. Dann wird die Diagnose Transsexualität gestellt. Bis zu diesem Zeitpunkt werden die Kosten nur zum Teil von gesetzlichen Krankenkassen gedeckt. Wie eben auch in anderen Therapiefällen.

Gleichzeitig mit der Hormontherapie beginnt der sogenannte Alltagstest. Die betroffene Person muss ihr Wunschgeschlecht nun bereits im "Testlauf" leben, um veränderte Umstände und etwaige Herausforderungen für sich selbst zu erproben. Sie muss zu diesem Zeitpunkt nach wie vor einen dem Geburtsgeschlecht entsprechenden (oder einen geschlechtsneutralen) Vornamen tragen, auch das falsche Geschlecht im Pass muss stehenbleiben. Nach einem Jahr kann um geschlechtsangleichende Operationen angesucht werden. Dafür sind wieder jede Menge Untersuchungen notwendig. Alle Behandlungen nach der gestellten Diagnose Transsexualität müssen von gesetzlichen Krankenkassen gedeckt werden. Ein Punkt der deutschen Petition weist jedoch auf wiederholte Probleme bezüglich der Finanzierung hin und fordert eine gesetzliche Verankerung dieser. Auch sollten die zuständigen Sachbearbeiter besser informiert und sensibilisiert werden. Besonders häufig kommt es zum Beispiel bei als kosmetische Eingriffe abgetanen Behandlungen wie der (Bart-)Epilation, operativen Brustvergrößerung oder der Korrektur einer nicht ganz erfolgreichen Masektomie.

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Was, wenn die transsexuelle Person noch verheiratet ist? Wäre die Ehe dann nicht gleichgeschlechtlich – und somit verboten?

Die Änderung des Personenstands und des Vornamens kann in Österreich seit 2009 ohne Operationen durchgeführt werden. Zu verdanken ist das Michaela P., die ihre Anliegen bis zum Verwaltungsgerichtshof brachte und dieser in seinen Urteilen feststellte, "dass ein schwerwiegender operativer Eingriff, wie etwa die von der belangten Behörde geforderte Entfernung der primären Geschlechtsmerkmale, keine notwendige Voraussetzung für eine deutliche Annäherung an das äußere Erscheinungsbild des anderen Geschlechts" sei.

Dass ein danach gestellter Antrag auf Personenstandsänderung der Klägerin erneut abgelehnt und erst nach Öffentlichkeitsarbeit und Amtsmissbrauchsbeschwerden genehmigt wurde, zeigt, dass Transsexuelle selbst mit dem Höchstgericht an ihrer Seite nicht vor erneuter Diskriminierung gefeit sind.

Österreichische Transgender-Gruppen fordern seit 2016 die "uneingeschränkte Anerkennung unserer Geschlechtsidentität" in Form der selbstbestimmten Wahl des Vornamens und des Geschlechtseintrag, "sobald das Zugehörigkeitsempfinden zum ursprünglich eingetragenen Geschlecht obsolet geworden ist."

Was, wenn die transsexuelle Person noch verheiratet ist? Kein allzu unwahrscheinliches Szenario, wo doch viele Betroffene ihre Transition erst im mittleren Alter beginnen. Wäre die Ehe dann nicht gleichgeschlechtlich – und somit verboten? In Österreich wurde der Scheidungszwang, der bis dahin vorherrschte, 2010 gekippt.

Seither werden geschlechtsneutrale Heiratsurkunden ausgestellt. Denn zwei Frauen oder zwei Männer offiziell auf Papier verheiratet zu wissen, ist auch unter besonderen Umständen undenkbar. In Deutschland muss die Ehe noch aufgelöst werden. Darum geht es auch in der Petition, die die Änderung des juristischen Geschlechts unabhängig vom Familienstand fordert. Die langwierige Prozedur ist jedoch in beiden Ländern sehr ähnlich.

In Österreich gibt es kein eigenes Transsexuellengesetz wie in Deutschland. Es gibt seit 1983 nur verschiedene Erlässe für Verfahren sowie vom Gesundheitsministerium herausgegebene Empfehlungen zur Behandlung nach dem "International Classification of Diseases"-Katalog der WHO.

Es ist also noch ein weiter Weg für Transsexuelle in unserer Gesellschaft – wie nicht nur, aber eben auch, die "Petition 70828" zeigt. Feststeht jedenfalls, dass der definierende Moment im Leben von Transsexuellen wohl nicht jener sein sollte, in dem sie sich erst darüber klar werden müssen, ob sie sich diesen Schritt überhaupt psychisch und finanziell leisten können.

Nicole auf Twitter: @nicole_schoen