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Kosovo

Kosovos steiniger Weg zur UEFA-Mitgliedschaft

Mit der UEFA-Mitgliedschaft ging für den Kosovo ein 25-jähriger Traum in Erfüllung. Doch Widersacher Serbien könnte noch ein juristisches Ass im Ärmel haben.
Photo by Robert O'Connor

Das „Stadiumi Bajram Aliu" in Skënderaj im Herzen des Kosovo ist ein ziemlich trostloser Ort, um Fußball zu schauen. Zwei kalte, graue Betontribünen stehen sich gegenüber, dazwischen ein Rasen in miserablem Zustand. Die eine Tribüne hat ein klappriges Stahldach, die andere—und ihre Besucher—muss ohne Überdachung und damit Schutz vor Regen auskommen. An diesem Samstag im März liegt aber mehr Schnee als Regen in der Luft. Die spartanische Ausstattung des Stadions gepaart mit der klirrenden Kälte sorgen dafür, dass man eigentlich überall lieber als in diesem Stadion sein würde.

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Noch schlimmer als das Stadion ist aber die Reise in die Hauptstadt des Kosovo, Priština. Die Straße ist von Grabsteinen und Trümmern gesäumt—Überreste eines blutigen Bürgerkrieges, der das Land vor fast zwei Jahrzehnten fest in seinen Krallen hatte. Der Mann, der als Vater des modernen Kosovo gilt, Adem Jashari, wurden nur wenige Kilometer vom Stadiumi Bajram Aliu bei Kämpfen getötet.

Die kleine Menschenmenge lässt sich rasch in zwei Gruppen einteilen: Diejenigen, die auf dem eiskalten Beton Platz nehmen, und diejenigen, die so umsichtig waren, eine Pappunterlage mitzubringen. Wirklich glücklich hier zu sein, scheint aber keiner.

Für Kosovos Raiffeisen Superliga ist es typisch, dass sich die Stadien im Laufe des Spiels noch deutlich füllen. Das liegt daran, dass spätestens nach der ersten Halbzeit an den Einlässen keiner mehr ein Ticket sehen will. Als also Granit Arifaj die Heimmannschaft KF Drenica mit einem satten Volleyschuss 20 Minuten vor Schluss gegen den FC Priština in Führung brachte, wurde er lautstark vom Publikum bejubelt. Ein Tor, was für die vom Abstieg bedrohte Mannschaft von enormer Bedeutung war.

Doch seit diesem Dienstag ist eigentlich jedes Spiel in der Superliga in gewisser Hinsicht von Bedeutung. Denn seit Dienstag ist der Kosovo offizielles Mitglied der UEFA. Am Dienstag wurde der Kosovo beim UEFA-Treffen in Budapest mit knapper Mehrheit als 55. Mitglied in den europäischen Fußballverband aufgenommen. 28 Stimmen für den Kosovo standen 24 Gegenstimmen gegenüber, zwei Mitglieder gaben ungültige Stimmen ab. Deutschland hatte sich deutlich für eine Aufnahme des Kosovo ausgesprochen, der größte Widerstand kam aus Serbien. Die politisch aufgeladene Entscheidung war im Vorfeld von heftigen Diskussionen begleitet worden. Der Kosovo hatte 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien erklärt, mehr als 100 Länder auf der ganzen Welt haben seitdem die Balkanrepublik anerkannt. Allerdings ist der Kosovo noch kein UNO-Mitglied, weswegen Serbien der UEFA einen Bruch ihrer eigenen Regularien vorwirft. Doch dazu später mehr.

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Die Aufnahme des Kosovo bedeutet das Ende einer fast 25-jährigen Reise—eine Reise, die damit begann, dass sich eine Handvoll „Rebellen" von Jugoslawien abspalteten und eine eigene Fußballliga gründeten.

Im September 1991, kurz nach dem Saisonstart in der zweiten jugoslawischen Liga und inmitten eines zerstörerischen Bürgerkriegs, traf die Priština-Legende Eroll Salihu eine Entscheidung, die den kosovarischen Fußball für immer verändern sollte. „Wir wurden gefragt, ob wir weiterhin spielen wollen", sagte er. „Wir hatten schon zwei Partien verpasst, weil es zu der Zeit schwierig war, in Serbien und Bosnien Fußball zu spielen. Wir waren die einzigen Nicht-Slawen in Jugoslawien und alle gingen davon aus, dass im Kosovo bald Krieg ausbrechen würde. Das war zwar nicht der Fall, aber wir hatten das Gefühl, dass es mittlerweile unmöglich war, in Jugoslawien Fußball zu spielen. Als wir also gefragt wurden, ob wir weiterhin spielen wollen, habe ich nein gesagt. Ich war der Erste, der nein gesagt hat."

Darauf gründete Salihu die erste unabhängige Fußballliga des Kosovo, sehr zum Ärger Jugoslawiens. Die Liga, ihre Vereine und ihre Spieler waren in den Augen der serbischen Oberschicht Rebellen—und wurden auch wie solche behandelt. Mannschaften aus der neugegründeten Liga wurden aus ihren angestammten Spielstätten rausgeschmissen, weil diese in der Regel von Serben kontrollierten Verwaltungen gehörten. Also war man gezwungen, seine Spiele auf Schrottplätzen und Wiesen auszutragen, um der serbischen Polizei aus dem Weg zu gehen. Den größten Widersacher hatten sie aber in der serbischen Miliz, deren einziger Auftrag darin bestand, jegliche Ausdrucksform kosovarischer Unabhängigkeit zu unterdrücken.

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„Oft haben sie unsere Spiele mittendrin abgebrochen", erzählte mir Daut Geci, Präsident des KF Drenica und einer der Mutigen, der zu diesen gefährlichen Zeiten gespielt hat. „Manchmal war es aber noch schlimmer. Da haben sie uns auch körperlich gedroht, und wenn das passierte, durften wir uns an demselben Ort nicht mehr blicken lassen. Während eines Spiels in Mitrovica wurden wir mal wieder von serbischen Milizen vom Platz gejagt. Wer nicht schnell genug war, also alle älteren Zuschauer, wurde gezwungen, das Tor auf dem Rücken hin und her zu schleppen. Es war eine reine Demütigung."

„Das waren damals so schlimme Bedingungen, das kann man sich kaum mehr vorstellen", erzählte Salihu, während er durch ein Buch des kosovarischen Fußballverbands über die ersten 20 Jahre nach Ligagründung blätterte. Das Buch ist der Traum eines jeden Statistikliebhabers, eine umfangreiche Sammlung von Zahlen und Ergebnissen, die auf brillante Art und Weise durch Bilder aus der dunkelsten Zeit des kosovarischen Fußballs zum Leben erweckt werden.

„Mittlerweile ist es natürlich deutlich besser geworden", so Geci weiter. Er hofft, dass durch die UEFA-Mitgliedschaft Investitionen in die Fußballvereine des Kosovo fließen werden und dass vor allem die Stadien modernisiert werden. Aktuell haben einige kosovarische Klubs wohlhabende Besitzer. Doch ohne Partien auf internationaler Ebene sind sie zögerlich, noch mehr Geld locker zu machen. Fisnik Isufi, Vizepräsident des Erstligisten FK Drita, bringt das Problem auf den Punkt: „Viele Geschäftsmänner finden, dass es momentan noch deutlich bessere Arten gibt, Geld zu verdienen, als durch Fußball."

Dass der Kosovo jetzt Mitglied der UEFA ist, ist auch der Verdienst von Salihu, der den Fußballverband des Kosovo bei den Beitrittsverhandlungen vertrat. Ebenfalls bedanken kann sich der Kosovo bei den vage gehaltenen UEFA-Statuten—auch wenn aus demselben Grund noch juristischer Ärger drohen könnte. Denn um Mitglied der UEFA zu werden, muss man als Land von den Vereinten Nationen „anerkannt" worden sein. Und genau hier liegt der Knackpunkt. Denn laut eines UEFA-Juristen würde die UNO als Ganzes gar keine Länder anerkennen können. Gleichzeitig haben aber mehr als die Hälfte der UNO-Mitgliedsstaaten den Kosovo anerkannt. Für die UEFA anscheinend ausreichend, für Serbien aber nicht. Dort ist man der Meinung, dass die in den Statuten geforderte Anerkennung vonseiten der UNO nur durch eine UNO-Mitgliedschaft erfüllt werden könne. Eine anvisierte Änderung der Statuten zur Klärung der Aufnahmebedingungen hatte vor der Abstimmung nicht die benötigte Zweidrittelmehrheit erhalten. Kurz gesagt, die UEFA-Mitgliedschaft des Kosovo steht noch auf juristisch wackligen Beinen, eine Fortsetzung der Auslegungsstreitigkeiten vor dem Internationalen Sportgerichtshof (CAS) scheint vor allem in Hinsicht auf den verbitterten Widerstand Serbiens nicht ausgeschlossen.

Ebenfalls wird eine Rolle gespielt haben, dass der Kosovo 2014 vom Internationalen Olympischen Komitee (IOK) als Mitglied aufgenommen wurde und deswegen bei den diesjährigen Sommerspielen in Rio antreten darf. Sollte die UEFA-Mitgliedschaft des Kosovo nicht gekippt werden, steht auch einer FIFA-Mitgliedschaft aus bürokratischer Sicht nichts mehr im Wege (Letzteres bedingt nämlich Ersteres). Vorausgesetzt, man findet auch bei den FIFA-Mitgliedsstaaten eine Mehrheit.

Der Weg des Kosovo ist noch nicht zu Ende.