Warum ich es seit Jahren nicht über mich bringe, aus der Kirche auszutreten

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Kirche

Warum ich es seit Jahren nicht über mich bringe, aus der Kirche auszutreten

"Sie sind entschlossen, aus der Kirchengemeinschaft auszutreten und haben gründlich darüber nachgedacht?" - "Ich bin mir ehrlich gesagt nicht so sicher."

Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von der (trotzdem) stolzen Mutter der Autorin.

Ich bin nicht gläubig. Ich war es, glaub ich, auch nie wirklich. Meine Eltern selbst haben kein Naheverhältnis zur Kirche, zwangen mich nie, in den Gottesdienst zu gehen und waren, soweit ich mich erinnern kann, sogar ein bisschen ob meiner Spießigkeit enttäuscht, als ich nach der Erstkommunion beschloss, Ministrantin zu werden.

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Zugegeben, in meinem Dorf war das Ministrantentum aber vor allem aus wirtschaftlichen Gründen beliebt. Bei einem Begräbnis verdiente man bis zu 150 Schilling inklusive Verpflegung beim anschließenden Leichenschmaus. Und auch beim jährlichen Ratschen standen die Chancen hoch, neben einer Tonne Süßigkeiten auch noch den ein oder anderen Geldschein zugesteckt zu bekommen. Die katholische Kirche bot meinem 8-jährigen Ich damals also nichts weniger als ein kleines bisschen Freiheit. Ich war reich.

Glücklich bei der Erstkommunion.

Am Ende der vierten Klasse Volksschule klopften meine beste Freundin und ich trotz der guten Verdienstmöglichkeiten an der Haustür unseres Pfarrers, um ihm zu verkünden, dass wir ab jetzt keine Zeit für den Dienst an Gott mehr hätten, schließlich hatten wir jetzt andere Verpflichtungen. Er schlug uns daraufhin wortlos die Tür vor der Nase zu. Dieser Vorfall kündigte wohl das Ende zu meiner Beziehung mit der Kirche an.

Firmen ließ ich mich mit 14 dann trotzdem – weil es jeder tat. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon seit Jahren keine Kirche mehr von innen gesehen.

An diesem Fakt hat sich über die Jahre auch nichts mehr geändert. Ich bin zwar Firmpatin meiner Cousine, was eine recht gute Ausrede für ein neues Kleid und eine liebe Geste von ihr war – mehr aber auch nicht. Immer hatte ich mir geschworen, dass ich nicht zuletzt deswegen früher oder später aus der Kirche austreten würde – zumindest sobald der erste Zahlschein kommen und ich mit meiner Studienbestätigung nicht mehr weit kommen würde. Der Kirchenbeitrag hat bei aller Problematik dann doch zumindest den Vorteil, dass man sich überlegt, wie man es nun mit dem Glauben halten soll.

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Warum sollte ich für etwas zahlen, von dem ich nicht überzeugt bin – für etwas, in das ich einfach hineingeboren wurde?

Das würden manche vermutlich als scheinheilig bezeichnen. Aber ganz ehrlich: Warum sollte ich für etwas zahlen, von dem ich nicht endgültig überzeugt bin – für etwas, in das ich mehr oder weniger einfach hineingeboren wurde? Warum sollte ich einer Institution Geld geben, deren Wertevorstellungen eigentlich so gar nicht mit den meinen übereinstimmen? Einer Glaubensgemeinschaft, die mir persönlich keinen Halt gibt?

Ich kann mich auch erinnern, all diese Fragen einmal meiner Religionslehrerin in der Oberstufe gestellt zu haben. Antworten bekam ich keine – auch nicht auf die durchaus ernst gemeinte Frage, was das Christentum eigentlich von einer Sekte unterscheide. Alles was darauf wirklich folgte, war ein regelrechtes Fegefeuer in der Form einer Schreitirade – und eine Betragensnote.

Pünktlich zu meinem Geburtstag war es jetzt aber endgültig so weit: Besagter Brief liegt nunmehr seit Wochen ungeöffnet auf meinem Schreibtisch und ich weiß nicht so recht, was ich tun soll. In meinem Freundes- und Bekanntenkreis geht es vielen ähnlich. Kaum einer ist überzeugter Christ, kaum einer träumt von einer weißen Hochzeit, vom ewigen Seelenheil oder geht regelmäßig und freiwillig zum Gottesdienst. Überhaupt scheint man außer den regelmäßigen Zahlungsaufforderungen nur wenig von der Kirche mitzubekommen, wenn man sich nicht selbst aktiv beteiligt.

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Trotz all der Zweifel traten bisher aber – so wie ich auch – nur die wenigstens meiner Freunde wirklich aus der Kirche aus: Meinem Freund wurde nach Jahren des Hin und Hers irgendwann fast sein Gehalt gepfändet, eine Freundin stottert bis heute ihre Mahnungen ab und zahlt gleichzeitig trotzdem noch brav die Kirchensteuer, eine andere hat seit Monaten den Tab von kirchenaustritt.at geöffnet, konnte sich aber noch nicht durchringen, die paar Dokumente zusammenzusuchen.

Die Frage nach dem "Warum" kann mir dabei aber niemand wirklich befriedigend beantworten. Am ehesten scheint es ein nicht wirklich greifbares Schuldgefühl zu sein, wie unsere WhatsApp-Gespräche zeigen:

Auch ich scheue mich nach wie vor vor dem Schritt, einen Schlussstrich zu ziehen, kann mir diese Angst aber selbst nicht so richtig erklären. Im Grunde gibt es nichts, das mich halten würde. Deswegen habe ich mich – in der Hoffnung, danach ein klein wenig klarer zu sehen – an Maria von kirchenaustritt.at gewendet. Entgegen meiner Erwartungen wird die Homepage nämlich tatsächlich von der Erzdiözese Wien betreut. Ich habe es also mit einer Expertin zu tun.

Gleich zu Anfang kommt die Frage, ob ich denn nur wegen des Geldes mit der katholischen Kirche hadere. Geld scheint in der Kirche oberste Priorität zu haben – darauf, dass ich ein schlechtes Gewissen hätte, wird nämlich nicht eingegangen.

Irgendwie auch verständlich: Von den derzeit 5,16 Millionen in Österreich lebenden Katholiken treten jährlich durchschnittlich rund 0,99 Prozent aus der Kirche aus – eine Zahl, die seit Jahren relativ konstant bleibt. Nur 2010 musste die katholische Kirche ganze 85.960 Austritte verzeichnen – ein historischer Höchststand, der damals wohl zum Großteil auf das Bekanntwerden von Missbrauchsfällen im kirchlichen Bereich zurückzuführen war.

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Ich erkläre mich weiter und meine, dass die Zahlungsaufforderung eher ein Anstoß war, wieder mehr über meinen Glauben nachzudenken. Trotzdem will ich den Zwang hinter dem Kirchenbeitrag nicht so recht verstehen.

"Das mit der Freiwilligkeit hat man überlegt, aber wieder verworfen, weil die Kirche sonst viel stärker von denen abhängig wäre, die viel Geld haben und es auch zur Verfügung stellen können. Die würden dann möglicherweise Ansprüche stellen. Daher wird von allen genau der gleiche Prozentsatz vorgeschrieben, damit es gerecht ist", erklärt mir Maria.

Was ich nicht wusste: Bis zu 50 Prozent des Kirchenbeitrags könnte man eigentlich zweckwidmen. Außerdem gäbe es viele Minderungsgründe, die man geltend machen kann. Breitgetreten wird diese Info wohl eher nicht, aber zugegeben, mit diesem Punkt hat sie mich fast.

"Lassen Sie es doch darauf ankommen und bitten Sie Gott, sich Ihnen zu zeigen, wenn es ihn gibt."

Maria spricht weiter – und zwar von der Kirche als ihre Familie. Bei Familien könne man eben auch nicht immer mit allem zufrieden sein, meint sie. Trotzdem gehöre man zusammen und teile sein Leben mit ihr – dazu gehöre eben auch sein Einkommen. Dass ich die Caritas aber ja auch ohne der Kirche unterstützen könne, will sie nicht hören. "Außerdem sind so Persönlichkeiten wie der aktuelle Papst moralische Autoritäten, die keine Rücksicht auf Wähler nehmen müssen, sondern auch unangenehme Wahrheiten ansprechen können", schreibt sie mir im Live-Chat auf der Kirchenaustritt-Seite.

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Unangenehme Wahrheiten also. Ich sehe das etwas anders und finde auch das Familien-Beispiel eher unpassend. In Familien muss ich nicht das ganze Paket kaufen. In Familien herrscht doch auch immer eine gewisse Freiwilligkeit. Ich kann – plakativ gesagt – meine karitative, hilfsbereite Tante unterstützen, es steht mir dabei aber gleichzeitig frei, den reichen, pädophilen Onkel nicht mehr zu besuchen.

"Nein", sagt Maria darauf. "Gerade in einer richtigen Familie muss man das ganze Paket kaufen. Die Blutsverwandtschaft bleibt immer Familie, egal was passiert. Aber das Entscheidende ist die Beziehung zu einem Gott, der ganz persönlich an jedem einzelnen Menschen interessiert ist."

Auch wenn ich dieses bedingungslose Hinnehmen, das zugegeben sehr katholisch ist, ziemlich seltsam finde, steht für mich doch fest: Diese Frau scheint wirklich von ihrem Gott überzeugt zu sein. Ich merke, dass ich bei dem Gespräch zunehmend Mitleid empfinde, so weltfremd kommt mir das alles vor.

Ich frage vorsichtig, ob sie tatsächlich an eine höhere Macht glaubt, die an jedem einzelnen Menschen interessiert ist und ihre Schäfchen trotz aller Liebe leiden lässt. "Ich glaube das nicht nur, sondern bin davon überzeugt – und zwar von keiner unpersönlichen höheren Macht, ich glaube an eine Person, die Gott ist. Lassen Sie es doch darauf ankommen und bitten Sie ihn, sich Ihnen zu zeigen, wenn es ihn gibt." Für die leidenden Christen gäbe es dann ja die Caritas, setzt sie nach. Überhaupt hätte ja Gott selbst auch in Jesus gelitten. Stimmt. Da kann man schon mal dankbar sein.

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"Sie sind entschlossen, aus der Kirchengemeinschaft auszutreten, und für Sie führt kein Weg daran vorbei? Zudem haben Sie gründlich überdacht, was wegfällt?"

Trotzdem würden auch Maria manchmal Zweifel plagen. Das beruhigt mich etwas. Trotzdem halte sie sich an die für sie überzeugendere Perspektive: "Angenommen, es ist gleich wahrscheinlich, dass es einen liebenden Gott gibt, der mein Leben in der Hand hat und führt, oder dass alles nur Zufall ist und ich ganz auf mich allein gestellt bin, nur das Gesetz des Stärkeren gilt, alles sinnlos und ziellos ist – dann entscheide ich mich dafür, das zu glauben und danach zu leben, was mir eine bessere Perspektive bietet. Sowohl hier als auch nach meinem Tod. Das, was mir Trost und Hilfe gibt, wie ich mein Leben gemeinsam mit anderen gut leben kann."

Ob man hier wirklich von "gleich hoher Wahrscheinlichkeit" reden kann, sei dahingestellt. Aber wie auch Maria sagt – da sind wir uns dann doch einig –, ist es am Ende eine Entscheidung, die man selbst zu treffen hat: "Die katholische Kirche ist ein möglicher Weg, eine Beziehung zu Gott im Alltag zu leben. Für mich und viele andere ist es der beste, aber es ist nicht der einzige. Folgen Sie dem, was Ihr Herz Ihnen zeigt, finden Sie Ihre tiefsten Sehnsüchte, die sind oft richtig."

Und ja, es gibt Werte und Glaubenssätze der katholischen Kirche, die mich durchaus ansprechen. Ich kann verstehen, dass viele Menschen nach wie vor im Glauben Hoffnung und Geborgenheit finden, dass Glaube etwas ist, an das man sich in schlechten Zeiten halten kann. Mit meinem rationalen Denken lässt sich das allerdings nicht vereinbaren. "Das Leben an sich ist erstaunlich, oder können Sie sich wirklich vorstellen, dass alles, was so perfekt zusammenspielt, nur Zufall ist?", fragt mich Maria deswegen am Ende noch.

Nein, an den Zufall glaube ich tatsächlich nicht, dafür aber an die Wissenschaft und ihre Erkenntnisse; das wird mir nach dem Gespräch einmal mehr klar. Ich glaube nicht an einen Gott, weder als Person, noch als ein höheres Wesen. Ich glaube nicht an das Zölibat, ich glaube nicht, dass Kondome das latexifizierte Böse sind und ich glaube auch nicht daran, dass all meine "Sünden" wie weggewaschen sind, solange ich nur sonntags in der Kirche brav das "Ave Maria" herunterbete oder einmal im Jahr den Segen "Urbi et orbi" im Fernsehen empfange.

"Sie sind entschlossen, aus der Kirchengemeinschaft auszutreten, und für Sie führt kein Weg daran vorbei? Zudem haben Sie gründlich überdacht, was wegfällt?", heißt es auf der Homepage. Ehrlich gesagt bin ich mir noch immer nicht endgültig sicher. Aber mittlerweile ist mein Tab von kirchenaustritt.at geschlossen, die Spendenseite von der Caritas und der Brief der katholischen Kirche sind geöffnet: Ich werde gehen. Ob es sich dann richtig anfühlt, wird sich weisen. Amen.

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Infos zum Thema Kirchenaustritt findet ihr hier.

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