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So ist es, jung zu sein und einen künstlichen Darmausgang zu haben

Mit 17 schämte sich Saskia Frietsch für ihren künstlichen Darmausgang, heute posiert die 23-Jährige halbnackt für Fotos. Mit ihren Narben kämpft sie für Akzeptanz.
Foto: Anna Franz

"Als Teenagerin, als andere auf Partys abhingen und ihre ersten Dates hatten, hing ich auf dem Klo", erzählt Saskia Frietsch. Mit 17 erhielt die heute 23-Jährige die Diagnose Morbus Crohn – eine schwere Darmentzündung, die ein Leben lang anhält und meistens in Schüben kommt. Für immer Durchfall und kein Zurück. Das klingt beschissen. Viele Betroffene leiden dabei unter üblen Bauchschmerzen und bekommen so heftigen Durchfall, dass sie sich in die Hose machen, wenn sie nicht innerhalb weniger Minuten eine Toilette aufsuchen. Etwa 400.000 Menschen in Deutschland leiden an Morbus Crohn. Die Krankheit tritt eher bei jüngeren als bei älteren Menschen auf.

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Saskia Frietsch ist ein besonders schwieriger Fall. "Ich hatte heftige Schmerzen", berichtet sie, "ich habe sehr viel Zeit im Krankenhaus verbracht und auf der Toilette." Mit 17 wurde schließlich ihr Dickdarm entfernt und sie bekam einen künstlichen Darmausgang – das ist eine Art Poloch im Bauch, eine Öffnung, aus der die Ausscheidungen herauskommen können. Ein Beutel fing alles auf. "Der ist aber immer wieder kaputtgegangen, was sehr unangenehm war. Stell dir vor, es kommt ungewollt der Inhalt deines Körpers aus dir heraus."

Elf Operationen hat Saskia inzwischen hinter sich. Das ständige Unterm-Messer-Liegen hat Spuren hinterlassen – eine große Schramme unter dem Bauchnabel, daneben eine kreisrunde Narbe und ein Pflaster, unter dem sich das Ventil ihres Darmausgangs verbirgt.

Es hat Jahre gedauert, bis Saskia gelernt hat, selbstbewusst mit ihrem Körper umzugehen. "Anfangs hat die Krankheit schon sehr an meinem Selbstbewusstsein genagt. Durch das ganze Kortison, das ich zu mir nehmen musste, habe ich zugenommen und die Haut ist an vielen Stellen meines Körpers gerissen." Die Mädchen in ihrer Schule lästerten, dass sie zugenommen habe oder nur simulieren würde, wenn sie im Unterricht fehlte. Ihre eineiige Zwillingsschwester, die gelegentlich sogar modelte, hielt ihr zu allem Übel den Spiegel vor, wie sie aussehen könnte, wenn sie die Krankheit nicht hätte.

Körperliche und seelische Tiefs gehören zu Morbus Crohn. Hinzu kommt, dass manche Menschen mit Berührungsängsten oder gar Ekel auf die Krankheit reagieren. Wer will schon mit Magen und Darm zu tun haben? Doch Saskia sagt: "Den Männern, denen ich begegnet bin, habe ich immer gleich die Fakten um die Ohren geknallt. Sie hat es nicht abgeschreckt."

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Ein Geheimnis herumzutragen, helfe weder ihr noch ihrer Umwelt. Deshalb sagt sie heute zu Menschen, denen sie begegnet: "Bei mir sieht's etwas anders da unten aus, und es riecht gelegentlich auch etwas." Das klingt nicht besonders romantisch. "Aber dann fragt später niemand: Warum musst du denn jetzt schon wieder auf die Toilette?"

Saskias Freund Patrick stört es nicht. Auch er leidet an einer leichten Darmerkrankung. Saskia erzählte ihm sofort von ihrer Diagnose. Diese Ehrlichkeit imponierte ihm. Die beiden wuchsen im gleichen Dorf auf. Dann trennten sich ihre Wege. Ihre Reunion und das erste Date fanden im Krankenhaus statt. Vier Jahre sind sie nun ein Paar. Zwischendurch machen sie Witze über ihre Krankheiten, wer wen angesteckt hätte. Saskia lacht.

Vor drei Jahren bekam Saskia dann einen sogenannten "Kock-Pouch". "Das klingt jetzt erstmal blöd – wie 'Kacke' vielleicht oder auch wie das englische Wort 'Cock' – Schwanz –, aber das Ding hat mir tatsächlich geholfen." Der Kock-Pouch ist ein Beutel, der in ihrem Körper liegt. "So sammelt sich der ganze Mist dort und ein Ventil hält alles dicht."

Foto: Anna Franz

Saskia, die eine Ausbildung zur Mediengestalterin macht, hat beschlossen, so offen wie möglich mit ihrer Krankheit umzugehen. Auf ihrem Blog Liebesklang schreibt sie mit viel Humor über ihr Leben mit dem Kock-Pouch, posiert mit ihren Narben für Fotos in Dessous und erklärt ausführlich, wie man den Kock-Pouch leert. Außerdem hat sie zusammen mit ihrem Freund Patrick das Projekt Grenzenlos gestartet, für das sie Menschen mit Narben und vermeintlichen Makeln sehr ästhetisch fotografiert, um ihnen ein wenig von der Schönheit und Würde zurückzugeben, die sie laut der Gesellschaft angeblich eingebüßt haben. Zum Beispiel Ilka, 25, die eine Gesichtsspaltung hat. Oder Benny: 29, Darmkrebs. 10.000 Follower hat das Projekt schon auf Instagram.

"Grenzenlos" hat Saskia gestartet, um Menschen mit vermeintlichen Makeln Kraft zu schenken – und Narben zu enttabuisieren. "Als ich mich selber habe fotografieren lassen, mit meinen Makeln, habe ich festgestellt, dass mir das viel Selbstwertgefühl zurückgegeben hat. Ich wollte, dass es auch anderen hilft. Die Botschaft lautet dabei: Es kommt nicht darauf an, was du hast, sondern, was du aus dem machst, was du hast."

Heute geht es Saskia viel besser als früher – einerseits wegen des Kock-Pouchs und weil sie keine so schlimmen Bauchkrämpfe mehr hat. Andererseits hat sie im Laufe der Zeit gelernt, besser mit ihrer Krankheit umzugehen: "Meine Krankheit ist kaum noch spürbar. Was ein Leben lang bleibt, sind die Narben. Sie und mich selber zu lieben, das war ein Prozess. Ich muss mich immer wieder daran erinnern zu sagen: Hey, du bist so schön, wie du bist."

Mit ihrem Freund Patrick hat Saskia vor Kurzem das Projekt "Grenzenlos" gestartet | Foto: Rebecca Ramlow

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