Warum es in Ordnung ist, für 50 Gramm Schokolade 230 Euro zu bezahlen

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Kakao

Warum es in Ordnung ist, für 50 Gramm Schokolade 230 Euro zu bezahlen

Klingt nach einem ziemlich teuren Vergnügen, doch To'ak macht Schokolade aus einer vom Aussterben bedrohten alten Kakaosorte und zahlt den Kakaobauern mehr als üblich. Ist es das wert?

To'ak gehört zu den teuersten Schokoladen der Welt. Für nur 50 Gramm zahlt man 270 Dollar, umgerechnet über 230 Euro. Das ist die Art von Schokolade, die man eigentlich mit einer Pinzette essen müsste, damit man den Geschmack nicht durch die eigenen schwitzigen Hände verfälscht. Eine Schokolade mit eigener kleiner Geschichte.

Alles beginnt in einem kleinen selbst gebauten Holzhaus in der ecuadorianischen Provinz Manabí. Hühner gackern vor sich hin, Ameisen krabbeln über das Geländer und im Hintergrund zirpen Grillen. Dazu mischt sich Salsa-Musik von der Farm.

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So stellt man sich nicht unbedingt den Hauptsitz eines Luxus-Schokoladenherstellers vor. Aber To'ak ist eben kein normales Unternehmen.

Jerry Toth, der Gründer von To'ak, hat vorher auf der Wall Street gearbeitet—eine ganz andere Welt meilenweit entfernt von Schokolade, Gummistiefeln und dem Dschungel.

At Pachard's farm, the unofficial To'ak headquarters, breakfast begins with fresh fuit and hot chocolate

Die kleine Farm von Servio Pachard, der inofizielle Hauptsitz von To'ak. Zum Frühstück gibt es frisches Obst und heiße Schokolade. Foto mit freundlicher Genehmigung von To'ak

Doch das hat er nicht lange durchgehalten: Nach nur wenigen Monaten hat er seinen Anzug gegen einen Rucksack eingetauscht und sich auf den Weg nach Südamerika gemacht.

Nach ein paar Jahren des „Vagabundendaseins"—er war Auslandskorrespondet für AdBusters und probierte sich an chilenischem Wein—, hat er schließlich die Third Millennium Alliance gegründet, eine Non-Profit-Naturschutzorganisation.

Und hier hat Jerry das erste Mal mit Kakao experimentiert. Das Ergebnis: To'ak.

„Ich war ab und zu für ein paar Wochen in den USA. Da habe ich gesehen, wie die Leute diese Schokoriegel aus Massenproduktion gegessen haben. Für sie war das damals der Inbegriff von Schokolade. Irgendwie hat mich das traurig gemacht", erinnert er sich.

„Die Schokolade, die wir seit unserer Kindheit immerzu gegessen haben, hatte nichts mit dem vollmundingen Geschmack des Kakaos aus unseren Wäldern in Ecuador zu tun. Aus dieser Erkenntnis entstand dann To'ak."

Jerry Toth hat sich mit dem einheimischen Kakaobauern Servio Pachard und dem österreichischen Designer Carl Schweizer zusammengetan, um den Menschen eine „höhere, experimentellere Form der Schokolade näherzubringen."

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You need a horse to fully explore Piedra de Plata

Ein Auto bringt einen in Piedra de Plata nicht weit, man braucht schon ein Pferd

2014 kam To'ak dann zum ersten Mal auf den Markt und sofort sorgte der immens hohe Preis für Schlagzeilen. Die Medien sprachen von der teuersten Schokolade der Welt.

Doch warum ist sie so teuer?

Wall-Street-Banker, kleine ecuadorianische Farmer und eine Tafel Schokolade für 230 Euro … Da denkt man schnell an Abzocke.

Aber das To'ak-Team betont, dass der hohe Preis einzig und allein am Kakao liegt.

„Es gibt andere Schokoladen, Trüffel oder Süßigkeiten, die 10.000 Dollar pro Schachtel kostet, aber nur weil sie noch mit Gold versetzt sind", erklärt Schweizer. „Da ist nicht der Kakao der Hauptdarsteller. Bei uns ist es die Natur selbst. Die Grundzutat ist für uns das Wichtigste."

Der Kakao für To'ak kommt aus Piedra de Plata, der Wiege des Cacao Nacional, einer der ältesten und seltensten Kakaosorten, die auch Arriba genannt wird.

Viele Jahre lang war das sonnige Tal hier eine Art Wilder Westen.

Servio Pachard is a fourth-generation cacao grower

Servo Pachard ist Kakaobauer in vierter Generation. Foto von der Autorin

Während er mir das sogenannte „Burgund des Kakaos" zeigt, erklärt mir Servio Packard: „Vor fünfzig Jahren noch war das tierra caliente: Es gab keine Polizei, keine Gesetze. Rivalisierende Familien brachten sich gegenseitig um, weil vor Ewigkeiten ein Mann der einen Familie mal mit einer Frau der anderen Familie durchgebrannt ist."

Jetzt gibt es hier Straßen, aber die gehen auch nur bis zu einem bestimmten Punkt. Wenn man weiter ins Tal will, braucht man ein Pferd oder einen Esel.

Durch diese isolierte Lage hat es die Großindustrie nicht hierher geschafft, sodass die alten Kakaobäume erhalten blieben.

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Servio lugt unter seinem Basecap hervor und zeigt mit seiner Machete auf einen der Kakaobäume. „Diese Pflanze ist über 130 Jahre alt. Eine sehr alte Kakaosorte … einzigartig und exklusiv. So etwas findet man nicht überall."

Und wenn das einer weiß, dann Servio. Seit vier Generationen baut seine Familie Kakao an, er ist also mit der Pflanze aufgewachsen.

„Als Kind habe ich mich intensiv mit den Früchten beschäftigt und immer wieder kleine Unterschiede festgestellt. Ich wusste, wie man die einzelnen Geschmäcker unterscheidet und konnte so schnell sagen, ob eine Kakaobohne gut oder schlecht ist."

toakcacao

Frische Kakaosamen. Foto von der Autorin

Er halbiert eine der Kakaofrüchte und zieht die klebrigen, weißen Samen heraus und probiert sie: „Dieser hier ist sehr gut, sehr süß. Für qualitativ hochwertige Schokolade lohnt sich dieser Preis."

To'ak zahlt den Produzenten 240 Dollar für einen Zentner des raren Kakaos, der Marktpreis liegt bei 110 Dollar.

Oder anders gesagt: Eine Tafel Schokolade kostet mehr als die Ernte. Ob er das nicht unfair findet, frage ich Servio Pachard.

Doch er bleibt entschlossen: „Dieses Projekt ist das Beste, was Ecuador passieren konnte. Sie zahlen uns für diesen Kakao einen sehr guten Preis, mehr als andere Händler zahlen würden … So viel haben wir noch nie bekommen."

Indem sie den Bauern mehr als den üblichen Marktpreis zahlen, hoffen To'ak, dass sie ihnen einen Anreiz liefern, weiter alte Kakaosorten anzupflanzen—und nicht denKonsumkakao, auch CCN51 genannt.

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CCN51 wurde vom ecuadorianischen Bauern Homero Castro gezüchtet. Es ist das genaue Gegenteil von To'ak: billig, ein Massenprodukt und leicht anzubauen.

Cacao is placed in a solar dryer

Der Kakao wird in speziellen Anlagen, die mit Solarenergie betrieben werden, getrocknet. Foto von der Autorin

Damit ist er eine große Bedrohung für die alten Kakaosorten Ecuadors, die schon mit Krankheiten und veränderten Wetterbedingungenzu kämpfen haben.

„Das Problem in Ecuador ist folgendes: CNN51 liefert mehr Ertrag, ist resistenter gegenüber Krankheiten und der Marktpreis ist fast gleich. Das sagen uns auch die großen Produzenten. Für sie ist es also profitabler, CNN51 anzubauen. Deshalb gibt es fast keinen reinen Cacao Nacional mehr", erklärt Schweizer.

„Unsere Kollegen in Piedra de Plata sagen, dass sie ohne uns die Bäume schon längst abgeholzt hätten. Dank To'ak sehen sie die Bäume jedoch in einem anderen Licht. Es sind nicht nur einfach alte Bäume, die fast keine Früchte tragen. Sie sind wertvoll."

Aber bis die Menschen den 130 Jahre alten Kakao wertschätzen, ist es ein steiniger Weg.

„Beim Wein muss man einfach nur die Flasche hinstellen und man weiß ihn sofort wertzuschätzen, meint Schweizer. „So ein Bewusstsein gibt es für Schokolade nicht."

Carl Schweizer

Carl Schweizer. Foto von der Autorin

Zwar sind einige bereit, für eine Flasche Pappy Van Winkle Whiskey fast 2000 Euro zu blechen, aber 230 Euro für 50 Gramm Schokolade zu bezahlen kommt ihnen nicht in den Sinn.

Jerry Toth will das ändern.

„So wie man mit Schokolade im 20. Jahrhundert umgegangen ist, ist das eine Beleidigung für die Pflanze, die von fast allen Kulturen, die damit in den letzten Jahrtausenden in Berührung kamen, als heilig verehrt wurde", meint er. „Wie könnte man diese Einstellung besser ändern, als einfach zum anderen Extrem zu wechseln."

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„Wir versuchen, Kakao wieder aufzuwerten", fügt Schweizer hinzu. „Für die Menschen soll es nicht einfach ein Schokoriegel sein, sondern wie ein Glas Wein, das man ganz langsam genießt."

„Aber dieser Luxus ist ein Problem", seufzt er. „Manchmal stimmt es mich traurig, dass Produkte wie unseres Randprodukte sind. Auf dem Weltmarkt muss man sich dann so positionieren."

 Toth

Jerry Toth, der Gründer von To'ak. Foto mit freundlicher Genehmigung von To'ak

Als relativ kleine Geschäftsleute können sich Toth und Schweizer nicht einfach den exklusiven Kakaogenuss gönnen oder—wie es ihr Slogan anpreist—„Schokolade erfahren".

Jerry Toth gibt zu: „Finanziell sehen wir die größten Herausforderungen für unser Projekt. To'ak widersetzt sich ja geradezu den Prinzipien des Kapitalismus des 21. Jahrhunderts: möglichst viel und möglichst minderwertiges Zeug zu produzieren, damit die Kosten niedrig bleiben. Wir produzieren in kleiner Stückzahl und streben immer nach der höchsten Qualität. Dadurch entstehen hohe Kosten. Für uns als „Erfinder" ist es ein wahrgewordener Traum, als Geschäftsleute ist es eine sehr kniffelige Herausforderung, die wir immer noch zu meistern versuchen."

Schweizer gesteht: „Oft fragen wir uns, ob wir nächsten Monat überhaupt ein Geld zum Lebenhaben werden oder ob wir alles bezahlen können. Aber das muss man beiseiteschieben. Wir müssen mit dieser Ungewissheit leben und wissen nie, ob es funktioniert oder nicht."

Und dann muss man sich fragen, ob es das wert ist.