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Popkultur

Wir haben junge Geflüchtete gefragt, wie sie mit Hasskommentaren umgehen

"Ich hasse Menschen, die in ihrem Land und in sich selbst das Allerbeste sehen. Wir sind alle gleich, verdammt."

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Hass richtet sich meist gegen Personen, die ein vermeintlich leichtes Ziel darstellen wegen ihrer Herkunft oder ihres Aussehens. Geflüchtete werden zur Projektionsfläche all der Unzufriedenen, all jener, die sich unverstanden fühlen.

Was denken diejenigen über den Hass im Netz, die selbst oft das Ziel davon sind: junge Geflüchtete?

Ali, 26, Gründer und Musiker aus Syrien

Ali ist gelernter Physiotherapeut, kam letzten Mai nach Deutschland und wohnt seit einiger Zeit in Berlin. Seine Verlobte möchte er bald auf einem sicheren Weg nach Deutschland holen. Da es sehr kalt und Ali müde war, wollte er kein Foto machen, sondern hat ein Bild von ihm aus seiner Zeit in Heidelberg geschickt.

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VICE: Was machst du, wenn du mal wieder Hass im Netz gegen Geflüchtete siehst?
Ali: Um ehrlich zu sein, scrolle ich dann weiter. Ich ignoriere das eiskalt und suche lieber nach Gemeinsamkeiten, als mich an Unterschieden aufzureiben. Wenn ich etwas im Netz poste, dann sind das positive, persönliche Dinge. Zum Beispiel erinnere ich gerne an meine verstorbenen Freunde, damit sie nicht in Vergessenheit geraten.

Wie sehen das andere Geflüchtete?
Wem das nicht so egal ist wie mir, sind die Tausenden Menschen in den Flüchtlingsheimen, die jeden Tag die Nachrichten verfolgen, diskutieren und immer ängstlicher werden. Stell dir vor, du bist in einem Raum mit acht anderen, ohne Privatsphäre, es ist kalt, das Essen ist nicht das beste und Familienmitglieder von dir haben es immer noch nicht hierher geschafft. Und dann sagen dir die Medien, dass es draußen nur Hass für dich gibt, im Netz, auf der Straße und in der Politik – das sind keine guten Voraussetzung, oder?

Engagierst du dich gegen Fremdenhass?
Ich starte zusammen mit anderen Refugees die arabisch-deutsch-englische Bibliothek "Between Us بيناتنا", die ein Ort kultureller Begegnung werden soll. Es gibt immer Dinge, die verschiedene Kulturen beim Austausch behindert, daher wollen wir dort das auflösen, was zwischen Geflüchteten und Deutschen steht. Wir sind auf einem guten Weg dahin, brauchen aber noch ein paar Sponsoren.

Nasr, 26, Ingenieur aus Syrien

Nasr ist vor eineinhalb Jahren nach Deutschland gekommen – eigentlich wollte er in die Niederlande. Er ist durch ganz Mazedonien gelaufen, hat wochenlang ohne Zelt in Wäldern geschlafen und war oft mehrere Tage wach. Sein Ziel ist es, als Ingenieur zu arbeiten. Er hat sich gerade bei bei einem großen deutschen Technologiekonzern um einen Ausbildungsplatz beworben.

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VICE: Gibt es Dinge, die du hasst?
Nasr: Ich hasse Menschen, die in ihrem Land und in sich selbst das Allerbeste sehen. Wir sind alle gleich, verdammt. Im Internet sieht man das häufig, am meisten in den großen sozialen Netzwerken. Hier in Berlin habe ich das auf der Straße Gott sei Dank noch nicht erlebt.

Wie sieht Hate Speech in Syrien aus?
2006 kamen ungefähr zwei Millionen Iraker durch den Krieg nach Syrien – da gab es eine ganz ähnliche Stimmung wie heute in Deutschland. Viele Fremde können viele Menschen schnell überfordern. Aber es geht auch andersherum: Als Menschen aus dem Libanon nach Syrien kamen, haben viele den Geflüchteten die Tür geöffnet.

Und im Internet?
Bei uns wird im Netz wenig über Politik gesprochen, weil das gefährlich ist. Syrer haben heute auch andere Dinge zu tun, als im Internet Hasskommentare zu veröffentlichen – Arbeiten zum Beispiel.

Glaubst du, dass man etwas dagegen tun kann?
Ich denke, mehr Kultur-Festivals wären ein guter Weg, um erfahrbar zu machen, wie es woanders aussieht, riecht und schmeckt. Im Internet erreicht das die Leute nicht – um Kulturaustausch möglich zu machen, muss man sich sehen.

Aram, 24, Wirtschaftsinformatik-Student aus Syrien

Aram lebt seit mehr als zwei Jahren mit seiner Familie in Berlin. Er bewirbt sich gerade für einen IT-Master an mehreren Universitäten und ist Gasthörer an der TU Berlin. Um bessere Chancen zu haben, belegt er einen Deutschkurs.

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VICE: Was sind das für Leute, die Hate Speech benutzen?

Aram: Ich glaube, dass Rassisten und andere Hater eigentlich die Minderheit sind. Das Internet gibt ihnen die Möglichkeit, ähnliche Leute zu finden und sich sicherer zu fühlen. Auf der Straße würden diese Menschen in den meisten Teilen von Deutschland keine Chance haben, weil sie keine Argumente, sondern nur ihre Gefühle haben.

Wurdest du schon mal Opfer von Hate Speech?
Online erlebt man das ja jeden Tag, aber ich lasse das nicht an mich ran. Ich reagiere da nicht, weil ich denke, dass es alles nur noch schlimmer macht.

Ist Hate Speech wirklich ein Problem?
Idioten gibt es überall. Wir haben online und offline ganz ähnliche Situationen in Syrien, aber hier in Deutschland schützt mich das Gesetz vor Hass. Dennoch glaube ich, dass Anti-Hate-Speech-Kampagnen nötig sind. Damit erreicht man zwar nicht diejenigen, die voller Hass sind – denn solche Menschen glauben nicht mehr an Fakten, sondern lassen sich von Emotionen leiten. Aber man zeigt Flagge und gibt Menschen eine Plattform, um sich gegen diese Leute auszusprechen. Vielleicht erreicht man damit dann die kommenden Generationen.

Beschäftigt dich der Hass im Netz viel?
Manchmal, wenn es wirklich schlimm wird, macht mich das traurig. Aber ich versuche, immer positiv zu denken. Ich glaube, dass die meisten Menschen auf der Welt Gutes wollen.

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