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Restaurant Confessionals

Mein Job als Bäckerin hat meinen Körper zerstört

In der handwerklichen Bäckerei, in der ich arbeitete, machte ich manchmal mehr als 800 Brotlaibe pro Tag. Das war keine gute Idee.
Photo via Flickr userPauline Make

Willkommen zurück zu den Restaurant Confessionals, wo wir den Leuten aus der Gastronomie eine Stimme geben, die ansonsten viel zu selten zu Wort kommen. Hier erfährst du, was sich hinter den Kulissen in deinen Lieblingsrestaurants so alles abspielt.

In einer Bäckerei zählt jede Sekunde.

In jeder Bäckerei, in der ich bisher gearbeitet habe, wurde alles von Hand gemacht. Manchmal machte ich 800 Brotlaibe pro Tag. Es gab einen Timer, der die Zeit stoppte, wie lang ich für etwas brauchte. Wenn ich jede Minute weniger als neun Kilo Brot wog, bekam ich nicht mehr als ein Assistenten-Gehalt. Ich wollte unbedingt in dieser Bäckerei arbeiten, weil es gut auf meinem Lebenslauf aussah, deshalb machte ich lange Zeit einfach alles mit.

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Das handwerkliche Backen erlebt ein Comeback und ich finde das fantastisch. Brot aus dem Supermarkt schmeckt nach nichts, weil es so viele Bedingungen erfüllen muss: Es sollte lange frisch bleiben und es sollte mild genug sein, um gut zu „allem" zu passen. In industriellen Bäckereien, wo diese Brote herkommen, ist alles sehr ergonomisch ausgerichtet, und Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz spielen eine wichtige Rolle. In kleinen Bäckereien, wo junge Bäcker ins Handwerk eingeführt werden wollen, ist das oft nicht der Fall.

Es ist harte Arbeit. Und für Frauen ist es noch härter, als für Männer.

In allen Restaurants und Cafés, in denen ich bisher gearbeitet habe, wurde harte Arbeit auf eine gewisse Weise als „cool" angesehen. Es war cool, an seine Grenzen zu stoßen, zehn Stunden ohne Pause zu arbeiten und schwere Dinge zu tragen. Als ich in der Bäckerei anfing, war ich diese Mentalität gewöhnt. Ich wollte beweisen, dass ich eine starke Frau bin und beschwerte mich deshalb nie, obwohl ich keine kräftigen Gelenke habe. Ich habe mir den falschen Beruf ausgesucht.

Dann bekam ich das RSI-Syndrom. Das kann jeden treffen, der immer und immer wieder die gleiche Bewegung macht. Wenn man beispielsweise ein Baguette formt, nimmt man den Teig zwischen die Finger und faltet ihn über die Daumen, und das drei Mal pro Laib. Irgendwann schmerzten meine Handgelenke davon.

Ich schleppte auch 25 Pfund schwere Mehlsäcke, was über dem laut Arbeitsschutzgesetz erlaubten Gewicht liegt. Wenn man die Säcke für handwerkliche Konditoreien und Bäckereien einfach in der Hälfte auseinander schneiden würde, wäre das eine enorme Verbesserung. Diese Säcke sind für industrielle Bäckereien gemacht, wo sie in Wägen transportiert werden. Als ich solche Bäckereien besuchte, wurde mir klar, dass man die Angestellten dort nicht als Bäcker bezeichnen kann. Sie drücken einfach nur auf Knöpfe. Rein körperlich gesehen ist das wahrscheinlich besser, aber das kann nicht das Ziel eines Bäckers sein.

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Wer generell häufiger Muskelverspannungen hat, entwickelt viel eher das RSI-Syndrom. Ich bin überzeugt, dass der Druck bei der Arbeit nicht so hoch sein sollte. Man hat einen stressigen Zeitplan und man muss immer weiter machen. Die ersten vier Stunden, in denen ich alleine in der Bäckerei war, konnte ich nicht einmal meine Kollegen um Hilfe bitten. Die Mehlsäcke befanden sich am anderen Ende der Küche, also musste ich sie selbst hin- und herschleppen.

Erst als ich einen Termin bei einem Ergonomiker hatte, wurde mir klar, wie anstrengend meine Arbeit für meinen Körper war. Ich wurde von der Bäckerei zurückgewiesen: Ich kann den Job, den ich gelernt habe, nicht mehr ausüben. Wegen der schweren Gewichte verschob sich ein Wirbel und das RSI-Syndrom wurde chronisch. Irgendwann konnte ich nicht einmal mehr meine Haustür öffnen. Ich musste leichtere Pfannen kaufen und meinen Küchentisch höher schrauben.

Zum Glück wurde es nach sehr viel Yoga und Schwimmen wieder besser.

In einer Bäckerei muss man oft multitasken: Man muss an der Theke helfen, Kaffee und Brot servieren und zurück zu seinem Teig rennen. Die drei Sekunden, die du vielleicht auch länger für ein Brot brauchst, sollten keine Rolle spielen. Man kann nicht den ganzen Tag nur sprinten. Man hält viel länger durch, wenn man mit einem entspannteren Tempo unterwegs ist.

Aufgezeichnet von Felicia Alberding