So sehen internationale Nachwuchsfotografen die Schweiz

FYI.

This story is over 5 years old.

Foto

So sehen internationale Nachwuchsfotografen die Schweiz

Statt Berge und Bauern zeigen die Künstler junge Menschen auf der Suche nach sich selbst und faule Selfie-Touristen.

Titelfoto von Alinka Echeverría[ Reiseberichte](https://www.vice.com/de/article/kamele-drogen-nazis-und-hare-krishna-was-bilder-nicht-verraten-erzaehlt-uns-dafuer-amira-fritz) haben oft ein Problem: Sie sehen alle gleich aus. Wer in Paris war, knipst kurz den Eiffelturm und wer nach Zermatt fährt, eben das Matterhorn. Eine neue Ausstellung versucht diese Uninspiriertheit zumindest hierzulande zu lindern und dem Betrachter Perspektiven zu bieten, die ohne Kühe am Meter und rosa Bergspitzen auskommen. Fünf internationale Fotografen reisten dafür auf Einladung von Schweiz Tourismus wochenlang durchs Land und schufen fotografische Reisetagebücher nach ihrem Gusto: Der Chinese Zhang Xiao folgte dem Rhein, der Amerikaner Shane Lavalette begab sich in ein Dorf und die aus Mexiko und Grossbritannien stammende Alinka Echeverría porträtierte junge Schweizer beim Erwachsenwerden.

Anzeige

Zu sehen sind die Fotoarbeiten in der Ausstellung Fremdvertraut bei der Fotostiftung Schweiz in Winterthur. Wir haben mit vier der Fotografen über ihre Reiseberichte gesprochen.

Shane Lavalette, USA

VICE: Wer ist der Mann auf dem Foto?
Shane: Ich habe für das Projekt zwölf Dörfer besucht, die schon vom Schweizer Fotografen Theo Frey für die Schweizer Landesausstellung 1939 fotografiert worden waren. Den abgebildeten Mann habe ich zufällig an einer Bushaltestelle in Schwyz getroffen, als er dort wartete.

Was unterscheidet deine Arbeit von Theo Freys Ansatz?
Frey war ein Dokumentarist, der einen systematischen Ansatz hatte, mit dem er Fotos schoss. Ich dagegen arbeite offener mit einem Interesse am Glück, der Vielzahl der Bedeutungen von Bilder, der Beziehung zwischen ihnen und wie Fotografien Orte, Kulturen und Zeiten widerspiegeln.

Der Leitspruch der gesamten Ausstellung ist fremdvertraut . Was heisst dieser Begriff für dich?
Es gibt von Natur aus etwas Unvertrautes bei allen Fremden. Wenn du dir aber die Zeit nimmst, um mit ihnen zu reden oder einfach einen Moment innehältst, um sie wirklich zu sehen, kannst du etwas Vertrautes finden.

Zhang Xiao, China

VICE: Du bist für deine Arbeit den Rhein entlang gereist. Was war dein Ansatz?
Zhang: Meine Serie erzählt von Konfrontationen und der Neugier, die mir fremdartigem Touristen aus dem Osten begegnete. Aufgrund der kulturellen Unterschiede und der Sprachbarriere spiegelt meine Arbeit meine persönliche Erfahrung und meine eigene Sichtweise auf die Schweiz in der heutigen Zeit wider, statt das zugrundeliegende Gewebe und die tiefer liegenden Themen der schweizerischen Gesellschaft zu erforschen.

Anzeige

Du warst zum ersten Mal in der Schweiz. Was hat dich auf deiner Fotoreise am meisten überrascht?
Die Sauberkeit. Im Speziellen sind mir die Blumen an den Wegrändern im Gedächtnis geblieben, das haben wir in China nicht. Vom Land hatte ich bisher nur Eindrücke über das Internet gewonnen: ein nahezu perfektes Bild, mit wunderschöner Landschaft und exzellenten Fürsorgesystemen.

Simon Roberts, Grossbritannien

VICE: Du hast in deiner Serie nur Aussichtsplattformen fotografiert. Warum?
Simon: Ich habe mit der Software Sightsmap, die meistbesuchten Touristenorte ausfindig gemacht. Dabei hat sich gezeigt, dass sich die Hotspots alle in der Nähe von Aussichtsplattformen befinden. Fotografie hat heute eine zentrale Funktion in der Erfahrung als Tourist. Sie ist auch stark verknüpft mit der Kommerzialisierung und Promotion der Identität einer Nation. Diese Verbindung habe ich mit meinen Fotos erforscht.

Was für eine Anziehung geht für dich von den Plattformen aus?
Mich fasziniert, dass man nicht mehr länger nach den besten Orten suchen muss, um eine gute Aussicht zu bekommen. Wir werden stattdessen zu offiziell markierten Stellen gelotst, um unsere Fotos zu machen. Oft mit Horden von anderen Menschen. Im 18. Jahrhundert, dem Beginn des Tourismus in Europa, mussten die Touristen noch tagelang klettern und wandern, um Aussichtspunkte zu erreichen und diese spektakulären Aussichten zu erleben.

Anzeige

Alinka Echeverría, Mexiko, Grossbritannien

VICE: Du hast für deine Arbeit junge Erwachsene porträtiert. Wie bist du an dein Projekt herangegangen?
Alinka: Als ich meine Reise antrat, interessierte mich vor allem, wie Jugendliche auf dem einzigartigen historischen, geopolitischen und imaginären Terrain der Schweiz erwachsen werden. Genauso wie territoriale Grenzen neu definiert werden können und die umkämpften Grenzlinien einer Nation darstellen, stellt auch die Adoleszenz eine komplexe Übergangsphase dar, in der Körper sich ausdehnen, Hormone aufwallen, voller aufgeladener Begierde und roher Gefühle. Ich wurde Zeugin, wie sich junge Liebende bei Sonnenaufgang im Bett in den Armen lagen und machte mit neuen Freunden nach einer durcherzählten Nacht gemeinsam Frühstück.

In deinem Teil der Ausstellung gibt es eine Wand mit selbstgeschossenen Snaps deiner Protagonisten. Warum?
Dieser Teil ist das Gegenstück zu meinen Fotos. Er bietet einen Einblick, wie sich diese jungen Menschen in ihrem sozialen Umfeld präsentieren. Snaps sind für mich so wie Negative oder alte Kartografien, die von der Zeit überflüssig gemacht werden: So wie wir uns und andere gestern gesehen haben, ist vielleicht nicht mehr länger relevant und muss laufend angepasst werden.

VICE auf Facebook.