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Für Malmöer ist Falafel mehr als nur Fast Food

Schweden lieben ihr nahöstliches Essen. Wir erklärt man sich sonst die extreme Beliebtheit der perversen Kebab-Pizza? Falafel gibts aber fast nur in Malmö, wo die Leute ihre Kichererbsen ziemlich wichtig nehmen.

Die südschwedische Stadt Malmö ist grundsätzlich für drei Dinge bekannt: seine kulturelle Vielfalt, seine Fußballmannschaft Malmö FF und die sonderbare Beliebtheit der frittierten Kichererbsenbällchen, die wir als Falafel kennen.

Vielleicht ist es aber gar nicht so merkwürdig, wie es scheint. Wenn man bedenkt, wie extrem beliebt Kebabs als Fast Food sind—und noch beliebter ist die kulinarische Perversion von Kebab-Pizza, ein völlig unwiderstehliche Kreation für jeden, der Jogginghosen trägt oder einen Kater auskuriert (odes beides)—, scheinen Schweden einen Hang zu Essen aus dem Nahen Osten zu haben. Die Falafel-Tradition beschränkt sich aber mehr oder weniger auf Malmö.

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Falafel wurde von Immigranten aus Israel und dem Libanon nach Malmö gebracht. Youssif Iskandarani war einer der ersten Falafel-Unternehmer der Stadt. Zusammen mit seinen Brüdern baute er das Falafel No 1-Imperium auf: eine Gruppe von Falafel-Verkäufern mit einem einheitlichen Konzept—basierend auf der Philosophie und dem Rezept des Vaters der Iskandaranis—, die lange Zeit mehr Filialen als McDonald's in Malmö hatte. Iskandarani erklärt, dass es den Falafel-Wrap in zwei Größen gibt: groß und extragroß. „Das mittelgroße Brot ist zu klein. Man müsste zwei oder drei essen, um satt zu werden", findet er. Neben den Falafeln werden Salat, Petersilie, Tomaten, Zwiebeln, Essiggurken und manchmal eingelegte Rüben sowie ein Dressing nach Wahl (mild, scharf und Knoblauch oder meistens eine Kombination) in ein Fladenbrot eingerollt. Im Vergleich zu vielen anderen Fast Food-Optionen ist das eine recht gesunde Alternative.

„Es ist kein besonders angesehenes Essen, auch nicht im Nahen Osten, aber die Leute hier sind trotzdem sehr stolz darauf. Das ist typisch für die Malmöer Seele", sagt der Journalist Federico Moreno. Der ehemalige Redakteur des Falafelbloggen (Der Falafelblog), der von der Tageszeitung Sydsvenska Dagbladet betrieben wird, veröffentlichte eine Reihe von Artikeln über das Falafel-Geschäft in Malmö und übernahm die prätentiöse Aufgabe, das beste Falafel der Stadt zu küren.

Der Blog wurde sehr beliebt und erreichte extrem viele Leute. Während der kurzen sieben Wochen, in denen der Blog regelmäßig aktualisiert wurde, konnte Moreno nirgendwo hingehen, ohne von seinen Lesern angesprochen zu werden. „Die Beziehung der Malmöer zu Falafel ist absolut einzigartig", sagt er. „So viel kann durch Falafel über die Stadt gesagt werden; Dinge, die die Stadt zusammenhalten, und ihr ihre moderne Identität verleihen."

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Um zu verstehen, wie Falafel in Malmö so wichtig wurde, ist ein bisschen Hintergrundwissen notwendig. Ende der 1980er-Jahre steckte Schweden in einer selbstverschuldeten Finanzkrise fest und das Land hatte mit einer wirtschaftlichen Depression und Massenarbeitslosigkeit zu kämpfen. Gemeinden wie Malmö, die stark von der Produktionsindustrie abhängig waren, traf es besonders hart.

Damals war Falafel noch ein relativ neues Konzept, aber mehrere wichtige Faktoren sorgten für die Popularität. 1995 kostete ein Falafel-Wrap umgerechnet 1,30 Euro, während man für einen Big Mac laut dem Big-Mac-Index des Economist bei McDonald's in Schweden 3,75 Euro hinlegen musste. Der niedrige Preis und die großen Portionen machten den Falafel-Wrap zur ersten Imbiss-Wahl vieler Leute.

In den letzten 30 Jahren ist der Preis gar nicht so viel gestiegen. 2015 kostet ein Falafel-Wrap um die 2,80 Euro, aber hin und wieder findet man auch einen für weniger als zwei Euro. „Mit solch niedrigen Preisen ist es schwierig, mitzuhalten", sagt Moreno. „Das kann als Marketing-Tool dienen, wenn man eine neues Geschäft eröffnet, aber ich glaube nicht, dass man Falafel dauerhaft für 15 kronor [1,60 Euro] verkaufen kann, ohne dabei rote Zahlen zu schreiben. Außer man hat es mit Schwarzarbeit zu tun." Er glaubt, dass Schwarzarbeit eine wichtige Rolle für die Einführung von Falafel in Malmö spielte, weil dadurch die Kosten auf Seiten der Produzenten sowie der Konsumenten in einer Stadt, in der viele ums Überleben kämpften, niedrig gehalten wurden.

Iskandarani hat eine andere Erklärung für die niedrigen Preise. „Mein Vater wollte nie reich werden. Als wir anfingen, sagte er zu uns, dass wir uns keine Sorgen über den Profit machen sollten. Wir sollten den Leuten einfach nur ermöglichen, qualitativ hochwertiges Essen zu bekommen, und jeden Tag 300 Falafel-Bällchen verschenken. Wenn wir auf Profit aus wären, würden wir alles verlieren, sagte er immer. Wenn wir aber auf die Qualität achten, dann würde der Profit schon zu uns kommen", erzählt Iskandarani. Sein Restaurant, The Orient House of Falafel No 1, wurde vom Falafelblog zu Malmös bestem ernannt.

Während der Hauptgrund für die Langlebigkeit von Falafel-Wraps sicherlich die erschwinglichen Preise sind, darf man auch die Bedeutung der immer zahlreicher werdenden Vegetarier in Schweden nicht vergessen. Als eine der wenigen fleischlosen Fast Food-Optionen wird Falafel von vielen Vegetariern als schneller Snack geschätzt, wenn sie mal keine Lust auf Popcorn haben. Die Nachfrage nach guter vegetarischer Küche hat einen beachtlichen Einfluss auf die Food-Szene in Malmö, wo man schon seit Jahren vegetarische Restaurants findet, und spielt eine wichtige Rolle dabei, Falafel als gesunde und ökologisch sinnvolle Option zu positionieren und voranzutreiben.

Moreno merkt an, dass Falafel in Malmö zu einem Phänomen geworden ist und sich der Ruf bereits über die Stadtgrenzen hinaus verbreitet hat, wo Falafel immer noch eine Seltenheit ist. Deshalb verspüren viele Besucher eine gewisse Pflicht: Wenn du in Malmö bist, musst du Falafel probieren. Daraus entsteht ein Gemeinschaftssinn—und ein bescheidenes Bällchen aus frittierten Kichererbsen wird zum Symbol einer ganzen Stadt.